Mittels Genschere können Mutationen an Muskelstammzellen korrigiert werden. Das könnte ein erster Schritt auf dem Weg zur Zelltherapie gegen Muskelschwunderkrankungen sein.
Muskelstammzellen ermöglichen den Muskelaufbau und die Regeneration. Sind jedoch bestimmte Gene der Stammzelle mutiert, geschieht das Gegenteil. Die Diagnose: Muskeldystrophie. Bei Betroffenen schwindet die Skelettmuskulatur schon im Kindesalter. Nicht wenige Betroffene sind bereits in jungen Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Eine Therapie gibt es bisher nicht.
Muskeldystrophien sind eine Gruppe von rund 50 verschiedenen Erkrankungen. „Sie nehmen alle den gleichen Verlauf, unterscheiden sich jedoch durch Mutation verschiedener Gene. Und an diesen Genen können wiederum verschiedene Stellen mutiert sein“, erklärt Prof. Simone Spuler, Leiterin der Arbeitsgruppe, die nun einen neuen Therapieansatz untersucht hat. „Bei den Patient*innen liegen Genmutationen vor, die nun mit der CRISPR-Cas9-Technologie zugänglich werden“, sagt Spuler.
Die Wahl der Forscherinnen für ihr Projekt fiel nach Genomanalyse ihrer Patienten auf einen an Limb-Girdle-Muskeldystrophie 2D/R3 leidenden Jungen. Diese Form der Erkrankung ist relativ häufig, schnell fortschreitend und weist zudem nahe der Mutation an der DNA eine passende Andockstelle für die Genschere auf.
Für die Studie entnahmen die Forscherinnen dem zehnjährigen Patienten Muskelgewebe, isolierten die Stammzellen daraus, vermehrten sie in vitro und tauschten mittels Base-Editing an der mutierten Stelle des Gens ein Basenpaar aus. Base-Editing ist eine neuere Variante der CRISPR-Cas9-Technologie. Während bei der klassischen Methode der DNA-Doppelstrang von der Genschere zerschnitten wird, zupfen die für das Base-Editing verwendeten Cas-Enzyme lediglich den Zuckerrest einer bestimmten Base ab und hängen einen anderen daran. Dadurch entsteht an dieser Stelle eine andere Base.
Nach der Entnahme injizierten die Forscherinnen die editierten Muskelstammzellen in Mausmuskeln, die fremde menschliche Zellen tolerieren können. Diese vermehrten sich im Nager und entwickelten sich zum größten Teil zu Muskelfasern weiter.
„Wir konnten damit erstmals zeigen, dass es möglich ist, kranke Muskelzellen durch gesunde zu ersetzen“, so Spuler. Nach weiteren Tests wird auch der Patient seine reparierten Stammzellen zurückerhalten.
„Das Base-Editing ist also eher eine Pinzette als eine Schere, perfekt geeignet für gezielte Punktmutationen an einem Gen. Das macht die Methode auch sehr viel sicherer, denn unerwünschte Veränderungen sind extrem selten. Bei den genreparierten Muskelstammzellen haben wir keinerlei Fehl-Editierung an unerwünschten Stellen des Genoms gesehen“, sagt Dr. Helena Escobar, die die Methode für die Muskelzellen entwickelte.
Durch eine autologe Zelltherapie, bei der den Patient*innen ihre eigenen, zuvor editierten Stammzellen in den Muskel injiziert werden, werden Betroffene, die schon im Rollstuhl sitzen, nicht wieder gehen können, da der abgebaute Muskel bereits durch Bindegewebe ersetzt wurde. Auch die Menge der Zellen, die in vitro editiert werden können, ist begrenzt.
Die Studie zeigt jedoch erstmals auf, dass eine bisher unheilbare Gruppe von Erkrankungen überhaupt behandelt werden kann. Kleine Muskeldefekte, wie zum Beispiel am Fingerbeuger, könnten sich damit reparieren lassen. Doch dies ist nur ein erster Schritt. „Der nächste Meilenstein wird sein, eine Möglichkeit zu finden, den Base-Editor direkt in den Patienten zu geben. Wo er dann für kurze Zeit durch den Körper schwimmt, alle Muskelstammzellen editiert und danach schnell wieder abgebaut wird“, erläutert Spuler.
Wenn auch das funktioniert, könnten künftig Neugeborene auf entsprechende Genmutationen untersucht werden. Die heilende Behandlung könnte dann zu einem Zeitpunkt beginnen, zu dem noch vergleichsweise wenige Zellen editiert werden müssen.
Wie könnte eine In-vivo-Therapie für Muskeldystrophie konkret aussehen? Da virale Vektoren zu lange im Körper verbleiben, sei das Risiko von Fehl-Editierungen und toxischen Effekten zu groß, sagt Escobar. „Eine Alternative wären mRNA-Moleküle, welche die Information für den Editor enthalten, um die Werkzeuge direkt in vivo zu synthetisieren. mRNA wird im Körper sehr schnell wieder abgebaut, so dass die therapeutischen Enzyme nur für kurze Zeit aktiv werden können“, so die Molekularbiologin.
Vermutlich ließe sich die Behandlung sogar wiederholen, wenn nötig. „Ob ein Therapiezyklus aus mehreren Anwendungen erforderlich sein wird, wissen wir aber noch nicht.“ Anders als bei der autologen Zelltherapie, müsste dann auch nicht jede Patientin und jeder Patient ganz individuell behandelt werden. Für jede Form der Muskeltherapie würde ein „Werkzeug“ genügen, um den Muskelschwund zu heilen, noch bevor größere Beeinträchtigungen auftreten.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft. Die Originalpublikation findet ihr hier.
Bildquelle: Cesar Carlevarino Aragon, Unsplash