Trauma Transsexualität
Dr. Nicole Sauerland
03.10.2020
Transidente Menschen leiden stark an ihrer Fehlanpassung an die Gesellschaft. Diese Fehlanpassung lässt sich nur durch tiefgreifende Eingriffe in Körper und Psyche der Betroffenen auflösen. Oft gelingt dies nicht vollständig und es bleiben behandlungsbedürftige Reste dieser Auseinandersetzung mit sich selbst, nicht selten lebenslang.
Wie gut letztendlich das Leid dieser Patienten gelindert werden kann, hängt wesentlich davon ab, wie gut sie selbst ihre neue Rolle in der Gesellschaft akzeptieren. Ist ein gutes „Passing“ gewährleistet, ist diese Akzeptanz meist gut. Jedoch lässt sich gutes Passing nicht immer erreichen. Typischerweise ist dies der Fall, wenn Reste der „alten“ Körperlichkeit nach dem Rollenwechsel noch sichtbar sind, etwa der männliche Knochenbau bei Transfrauen oder die weibliche Beckenausformung bei Transmännern.
Ist das Passing nicht so gut, fällt die Akzeptanz schwerer. Diese Patienten sind nach dem Rollenwechsel weiterhin in mehr oder weniger starkem Maße der Ausgrenzung durch die Gesellschaft ausgesetzt, wenn sie - unabhängig davon, ob dies der Realität entspricht oder nicht - davon überzeugt sind, dass ihre „alte Identität“ von außen noch sichtbar ist und die Gesellschaft mindestens teilweise sehr empfindlich auf diese Missweisung reagiert. In solchen Fällen sind bleibende behandlungsbedürftige psychische Störungen zu erwarten, die sich nicht wirklich auflösen lassen und in Schüben, abhängig von dem aktuellen Erleben der Betroffenen, immer wiederkehren. Wichtigstes Ziel des Therapeuten ist es in diesem Falle, den Transidenten die Akzeptanz ihrer gesamten Persönlichkeit einschließlich ihrer Körperlichkeit nahezubringen und die Reaktionen des ablehnenden Teils der Gesellschaft die eigene Gewissheit ihrer Identität entgegenzusetzen. Dazu gehört auch, die Patienten dahin zu bringen, dass sie sich, um sich vor Verletzungen zu schützen, nicht isolieren und vereinsamen. Dies ist insgesamt eine schwierige und langjährige Aufgabe für den Therapeuten.
Die Auseinandersetzung der Transidenten mit der eigenen Identität erfolgt in mehreren Aspekten, die durchaus nicht immer klar getrennt sind und sich überlappen können. Aus diesem Grund wird hier nicht die sonst in der Traumabewältigung übliche Bezeichnung „Phase“ verwendet. Auch können die einzelnen Aspekte in unterschiedlich starker Ausprägung und verschieden lang auftreten.
Darüber hinaus können die einzelnen Aspekte auch nach zunächst erfolgter Bewältigung erneut auftreten, sodass eine abschließende Bewältigung nicht immer gewährleistet ist und überdies nur schwer eindeutig festgestellt werden kann. Die einzelnen Strategien der Auseinandersetzung der Betroffenen mit ihrer Transidentität sollen im Folgenden dargestellt werden.
Aspekt der Verleugnung
Zunächst erkennen transidente Menschen lediglich, dass sie anders sind als ihre Mitmenschen. Bis sie wirklich begreifen, worin dieser Unterschied liegt, vergeht meist eine Weile, deren Dauer wesentlich davon abhängt, wie vertraut sie und ihre Umgebung mit dem Phänomen Transidentität sind.
Haben sie endlich erkannt, dass ihr Körpergeschlecht nicht mit ihrer cerebralen Identität übereinstimmt, finden sie sich vor das schwerwiegende Problem eines Wechsels der sozialen Rolle gestellt, da ihre soziale Rolle zunächst mit ihrem Körpergeschlecht identisch ist. Dabei erwarten sie anfangs, dass sie den sich aus einem Rollenwechsel ergebenden körperlichen und psychischen Problemen nicht gewachsen sein werden. Deshalb versuchen sie zunächst, den Anforderungen der Gesellschaft an ihre Rolle in ihrem Körpergeschlecht gerecht zu werden und sich passend zu verhalten und zu kleiden. Mitunter entwickeln sie eine durchaus glaubhafte soziale Anpassung an ihr Körpergeschlecht.
Diese Anpassung kann jahrelang funktionieren, führt aber zu schweren inneren Konflikten und in der Folge zu ausgeprägten Depressionen, die letztendlich weder durch eine psychiatrische Behandlung noch medikamentös befriedigend aufgelöst werden können. Auch Angststörungen und eine erhöhte Suizidalität treten häufig auf.
Neben der obligaten Psychotherapie durch einen einschlägig sachkundigen Psychotherapeuten bringt die Therapie mit einem Antidepressivum und gegebenenfalls mit einem angstlösenden Medikament durch einen Neurologen oder Psychiater Erleichterung. Hierbei werden durch einen gravierenden Eingriff in die Gehirnchemie die Depressionen und Ängste teilweise unterdrückt. Dabei wird das eigentliche Problem, nämlich die Identitätsstörung, nicht gelöst.
Aspekt des Verhandelns
Gegen die Veränderungen, denen sich transidente Menschen ausgesetzt sehen, gibt es im Prinzip zwei Arten von inneren Widerständen:
Intellektuelle Widerstände ergeben sich aus den tatsächlich vorhandenen Nachteilen und Schwierigkeiten, die mit dem Wechsel der sozialen Geschlechterrolle einher gehen. Viele Patienten verlieren immer noch nach ihrem Outing ihren Job und büßen soziale Kontakte ein. Nicht selten verlegen sie ihren Lebensmittelpunkt weiträumig, um mit einem sonst erforderlichen Outing zusammen hängenden negativen Erlebnissen aus dem Weg zu gehen. Akzeptieren nämlich weder Arbeitgeber noch soziales Umfeld die neue gesellschaftliche Rolle, hat der Betroffene kaum eine Chance auf ein auch nur halbwegs akzeptables Leben. Diese Fälle enden vermehrt im Suizid.
Hat der Betreffende bereits versucht, sich ein bürgerliches Leben aufzubauen und sind aus einer Ehe gar Kinder hervorgegangen, ergeben sich darüber hinaus gravierende finanzielle Verluste, die beispielsweise aus dem Folgen einer Trennung der Ehepartner entstehen können. Daraus kann ein finanziell-sozialer Abstieg folgen, den einfach so hinzunehmen durchaus nicht jeder bereit ist.
Wegen der in aller Regel auftretenden Verluste der sozialen Einbettung muss nach dem Wechsel der Geschlechterrolle eine Resozialisierung erfolgen. Diese wird zwingend nötig, um einer Vereinsamung mit den entsprechenden gravierenden psychischen Problemen zu entgehen. Findet der Patient eine dauerhafte Festanstellung in seinem Beruf, so kann die Resozialisierung über die Kollegen in dem arbeitgebenden Betrieb erfolgen. Gibt es keine solche Einbindung, etwa weil der Betroffene in Rente ist oder aus anderen Gründen arbeitsunfähig ist oder weil er schlicht und einfach keine passende Arbeitsstelle findet, muss die Resozialisierung über Freizeitaktivitäten erfolgen. Dies ist ungleich schwieriger als eine Resozialisierung über das Arbeitsumfeld, da Freizeitangebote zwangsläufig nur einen vergleichbar geringen Zeitrahmen einnehmen. Während Resozialisierung über das berufliche Umfeld praktisch zwangsläufig abläuft, erfordert sie im privaten Umfeld eigene Initiative und kostet weitere Kraft.
In diesem Aspekt neigen einige Betroffene dazu, eine Rechnung aufzumachen: Was bekomme ich und was muss ich dafür bezahlen. Dabei sind die finanziellen Kosten leicht bezifferbar, die emotionalen Kosten wie zum Beispiel der Verlust der sozialen Einbindung lassen sich jedoch schwerlich in eine solche Betrachtung einbinden. Der Gewinn beim sozialen Rollenwechsel ist rein emotionaler Natur und von niemandem - auch nicht von den Therapeuten nicht - in der Intensität des Erlebens vorhersagbar und vom Betroffenen auch gar nicht vorstellbar. Diese Rechnung führt praktisch immer zur intellektuellen Ablehnung des Rollenwechsels. Das Aufbrechen dieser Ablehnung durch den Therapeuten kann, je nach Veranlagung des Patienten, sehr schwierig und langwierig sein. Sie kann in hartnäckigen Fällen beim Vorliegen negativer Lebenserfahrungen bei früheren, emotional begründeten Entscheidungen des Patienten jahrelang dauern und mit erheblichen Belastungen für Therapeut und Patient einhergehen.
Emotionale Widerstände werden hauptsächlich aus Ängsten gespeist, die im nächsten Abschnitt näher beleuchtet werden sollen.
Aspekt von Angst und Wut
Ist dem Betroffenen erst einmal klar, dass mit der Diagnose „Transidentität“ Prozesse in Gang kommen, die sein Leben radikal auf den Kopf stellen werden, entsteht Angst: Angst vor dem Unbekannten, Angst vor dem Verlust von sozialer Stellung und Einbindung und Angst von dem Verlust der Sicherheit spendenden Lebensgewohnheiten. Zu den Verlustängsten kommt noch die Angst vor Zurückweisung, Ablehnung und Kritik. Selbstverständlich kommt auch die Angst vor den notwendigen chirurgischen Eingriffen hinzu, die durchaus nicht unbegründet ist. Die psychischen Reaktionen auf diese Angst reichen vom sozialem Rückzug über vollständige Handlungsunfähigkeit bis hin zu schweren psychischen Störungen.
Diese Ängste lösen auch Aggressionen aus. Die Frage, die sich den Betroffenen aufdrängt, ist die Frage, warum ausgerechnet er mit einer Auflösung seines bisherigen Lebens konfrontiert wird und andere ihr Leben weiter ungestört führen dürfen und nicht mit all den angstbesetzten Änderungen kämpfen müssen. Hieraus entwickeln sie Wut, die konkret auf Mitmenschen gerichtet sein kann, aber auch in allgemeiner, unspezifischer Aggression ihren Niederschlag finden kann, oder die sich schlimmstenfalls gegen die eigene Persönlichkeit richtet.
Interessanterweise empfinden diese Patienten selbst ihr Leiden manchmal als unbedeutend verglichen mit konkretem Leid anderer, etwa mit deren schweren körperlichen Erkrankungen, denn ihr Leiden findet in ihrer Psyche statt und ist von außen nicht sichtbar. Sie gehen deshalb - meist berechtigterweise - davon aus, dass ihre Mitmenschen ihr Leid nicht nachvollziehen können und es fehlt ihnen an den benötigten positiven Rückmeldungen von ihrem sozialen Umfeld. Mitgefühl und Hilfestellung erfahren die Betroffenen aus Ihrem Umfeld deshalb nicht immer in ausreichendem Maße. Letztendlich folgt auch aus diesen Empfindungen eine Nichtakzeptanz der eigenen Situation und hieraus wiederum Angst und Aggression.
Verleugnen Transidente ihre Identität aus Angst vor den Reaktionen und dem Urteil anderer Menschen, funktionieren sie nur noch. Äußerlich sind sie unauffällig und angepasst, doch was ihnen fehlt, ist eine positive Lebenseinstellung und das Urvertrauen. An dieser Stelle fragen sich manche Betroffenen, ob es nicht besser ist, ein Leben, das sie nicht hassen, fortzuführen oder durch Suizid zu beenden.
Unterdrücken sie ihre Wünsche und Bedürfnisse aus Angst vor Ablehnung oder Kritik anderer, erfolgt zwangsläufig der soziale Rückzug. Die Angst blockiert jede Veränderung in ihrem Leben, denn ihre Selbstentfaltung setzt die Überwindung ihrer Ängste voraus. Sie müssen den Mut und das Selbstbewusstsein entwickeln, ihr Leben aus ihrer inneren Überzeugung heraus zu gestalten. Dies kann sich als ungemein schwierig erweisen, denn diese Ängste haben einen sehr realen Hintergrund, denn sie werden auf jeden Fall Ablehnung, Kritik oder sogar Verurteilung erfahren. Die Gesellschaft steht nichtnormativem Verhalten häufig negativ gegenüber, was das Selbstbewusstseins der Betroffen schädigt, das ohnedies durch Ihre Fehlanpassung meist nur sehr schwach ausgeprägt ist. Sie werden auch Verständnis und Akzeptanz erfahren, aber welche von beiden Erfahrungen sie häufiger machen und welche Erfahrungen sie als die Bedeutendere empfinden, ist im Einzelfall sehr unterschiedlich und hängt von der Vorgeschichte der Betroffenen und auch erheblich von ihrem sozialen Umfeld ab.
Die Spannung zwischen Anspruch an sich selbst und mangelndem Selbstwertgefühl verbraucht viel Lebensenergie. Junge Menschen suchen nach Selbstwertgefühl und einer positiven Lebenseinstellung, ältere Menschen kämpfen um den Erhalt ihres bisherigen Lebens. Wiederholtes Anpacken und Scheitern festigt ihre subjektive Erkenntnis der eigenen Lebensuntauglichkeit und führen zu einer lebensverneinenden Grundhaltung, die katastrophale Folgen hat. Deshalb sind die Betroffenen sehr stark abhängig positiven Rückmeldungen in ihrer neuen gesellschaftlichen Rolle sowie von der Hilfe zum Aufbau eines besseren Selbstbewusstseins durch ihren Psychotherapeuten.
Aspekt von Depression und Leid
Die subjektive Erkenntnis der eigenen Lebensuntauglichkeit mündet schließlich in Depression und Leid. Dabei resultiert die Depression aus der Erwartung bevorstehender Verluste, während das Leid durch die bereits bestehenden Verluste gespeist wird.
Die Behandlung dieser Depression ist nicht einfach. Zwar wird den Patienten durch den behandelnden Psychotherapeuten ein besseres Leben in Aussicht gestellt, wenn sie sich zu ihrer echten Identität bekennen und auch so leben. Das Problem dabei ist, dass sie selbst überzeugt sein müssen, dass das auch wirklich so ist. Abhängig von den Lebenserfahrungen des Einzelnen kann die Vermittlung dieser Überzeugung eine enorme Herausforderung sein oder schlichtweg misslingen. In einem solchen Falle hilft nur die Vermittlung der Einsicht an den Betroffenen, dass er nie erfahren wird, wie sich sein Leben verändern wird, wenn er die Risiken des Wechsels seiner Rolle nicht bedingungslos eingeht.
Ohne ein subjektives Erkennen der eigenen Angst und Verzweiflung ist eine Weiterentwicklung nicht möglich. Manchmal bleibt nichts anderes übrig, als das Leid anwachsen zu lassen, bis es so groß wird, dass alles andere davor zurücktritt und die reine Verzweiflung Motivator der Weiterentwicklung wird.
Bei einigen Patienten ist es ausreichend, ihnen ein späteres gutes Leben in Aussicht zu stellen und kurzerhand zu behaupten, alles werde sich zum Guten entwickeln. Ob es aber zu vertreten ist, dieses aus unserem Urvertrauen entstammende Vertrauen zu dem Therapeuten dazu zu nutzen, die Patienten zu schwerwiegenden Veränderungen ihres Lebens zu motivieren und mögliche negative Folgen zu akzeptieren, sei dahingestellt. Spätestens wenn das Leben in der neuen Rolle zum Beispiel wegen mangelhaften Passings nicht relativ konfliktarm verläuft, könnte der Patient sich die Frage stellen, ob er gut beraten war.
Die Stärkung von Selbstbewusstsein und Mut, die unabdingbar für die Inangriffnahme des Rollenwechsels trotz seiner nicht unerheblichen Problematik ist, fordert den behandelnden Psychotherapeuten erheblich. Hierzu ist auch ein bejahendes Umfeld nötig, das dazu in der Lage ist, Angst und Depression durch positives Verhalten und entsprechende Kommentare in Grenzen zu halten und das Leid teilnahmsvoll zu begleiten. Das ist nicht immer einfach und verlangt auch dem Umfeld einiges ab, da sich die aus den Ängsten resultierenden Aggressionen auch gegen bejahende Personen richten können. Darüber hinaus ist es auch nicht einfach, einen nahestehenden Menschen so depressiv und mutlos zu sehen und immer wieder Kraft zu spenden, denn dies fordert auch vom Spender viel Kraft und Durchhaltevermögen. Zudem ist es nicht einfach, die notwendigerweise für den Betroffenen auftretenden Rückschläge zu relativieren ohne sie gering zu schätzen, was den Leidenden nur in weitere Depressionen stürzen würde.
Aspekt der Akzeptanz
Ist für den Betroffenen die Entscheidung gefallen, den körperlichen und sozialen Rollenwechsel vorzunehmen, stellt sich bei den Betroffenen zunächst eine große Erleichterung mit einem Stimmungshoch ein, die dem depressiven Stimmungshoch der Suizidenten gleicht, nachdem ihr Entschluss zum Suizid endlich feststeht und Ort, Zeit und Methode gewählt sind.
Nicht immer ist der Behandlungserfolg für den begleitenden Psychotherapeuten einfach zu unterscheiden vom Aufgeben des Patienten, das den allmählichen Rückzug aus der Gesellschaft einleitet. Dieses Phänomen kann selbst nach erfolgter geschlechtsangleichender Operation noch auftreten. Vereinsamung und stetes Grübeln, ob die zuvor getroffene Entscheidung richtig war macht den Patienten erheblich zu schaffen. Manchmal bildet sich sogar der Wunsch aus, alles rückgängig zu machen und in das „alte“ Leben zurückzukehren, das immerhin Sicherheit und gesellschaftliche Anerkennung bot.
Ist denn der Rollenwechsel wirklich in Angriff genommen, sind die einzelnen Schritte der Transidenten im Verfahren zum Wechsel der gesellschaftlichen Geschlechterrolle wie der Besuch beim Amtsrichter und den Gutachtern oder der Klinikbesuch für geschlechtsangleichende Operationen zwar nach eingetretener Selbstakzeptanz im einzelnen noch immer angstbesetzt, werden aber in positiver Grundhaltung angegangen. Auch die notwendige Resozialisierung wird nicht mehr nur als Problem gesehen, sondern als Chance für einen Neuanfang eines positiven Lebens. Dabei tritt jegliche rationale Betrachtung in den Hintergrund.
Ist dieser Zustand erreicht, gilt es, rasch und konsequent zu handeln. Wie oben bemerkt, ist dies nicht Endzustand einer linearen Entwicklung, sondern ein in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen zeitlich begrenzter Zustand, der von einem der vorangehenden Zustände wieder abgelöst werden kann. Kleine, einzeln betrachtet harmlose oder unbedeutende Vorfälle, die der Betroffene erlebt, können zu einem solchen Rückfall führen. Um dem vorzubeugen, bedarf es in dieser Phase immer wieder der positiven Bestätigung und Motivation und des raschen Handelns, um dem Patienten auch positive Erfahrungen zu ermöglichen.
Sind die Schritte zum Rollenwechsel getan, haben die vorgenannten Aspekte immer noch teils gravierende Nachwirkungen, die abzubauen Aufgabe des begleitenden Psychotherapeuten ist. Im Grunde ist auch noch nach erfolgtem Rollenwechsel das Trauma der Transsexualität nicht vollständig überwunden. Die Betroffenen wollen zunächst nichts mehr mit ihrem „alten“ Leben zu tun haben und lehnen jede weitere Beschäftigung mit dem Thema und manchmal sogar mit anderen Betroffenen ab. Sie wollen nicht mehr an die Zeit vor dem Rollenwechsel erinnert werden. Sie vergessen erhebliche Teile ihrer Vergangenheit tatsächlich. Auch dies ist nur ein Zwischenstadium auf dem Weg zur Bewältigung ihres Traumas und sollte sich allmählich im Laufe der Zeit zurück entwickeln, bis sich ein gesundes Verhältnis zur eigenen Vergangenheit und zu der neuen Rolle in der Gesellschaft einstellt.
Die beschriebene Entwicklung zieht sich über Jahre hinweg und ist eine schwere Belastung für die Patienten und deren Umfeld. Es bleiben Psychosen und Ängste zurück, die oft lebenslang von einem Psychotherapeuten behandelt werden müssen. Sie treten allerdings meist nur noch sporadisch auf und erfordern nicht immer eine dauerhafte, durchgängige Behandlung. Ein positives Erleben ihrer Existenz versetzt sie gegebenenfalls in die Lage, wie die meisten anderen Menschen ihre Probleme selbst zu lösen. Dieser Zustand ist neben einem erfüllten, glücklichen Leben Ziel aller Maßnahmen, die die behandelnden Ärzte ergreifen.