TTIP steht erneut unter Beschuss. Apotheker und Ärzte versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Ihre Forderungen: Schutz von Patienteninteressen, Erhalt der freien Berufe inklusive Selbstverwaltung und Maßnahmen gegen Kapitalgesellschaften.
Seit Mitte 2013 verhandeln europäische und amerikanische Abgesandte über TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) – im stillen Kämmerlein. Befürworter argumentieren vor allem mit neuen Arbeitsplätzen und mit dem Abbau wirtschaftlicher Hemmnisse. Gegner sehen europäische Standards in Gefahr, etwa bei Lebensmitteln oder im Gesundheitssystem. Jetzt wenden sich die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Bundeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung mit einer gemeinsamen Erklärung an die Politik.
Sie befürchten, unser selbstverwaltetes, am Gemeinwohl orientiertes Gesundheitswesen könne amerikanischen Standards zum Opfer fallen. Bereits heute folgen US-Pendants marktwirtschaftlichen Prinzipien und sind deutlich weniger solidarisch ausgerichtet als hierzulande – trotz „ObamaCare“. Schutzmechanismen wie Zulassungsvoraussetzungen für Vertrags(zahn)ärzte, Bedarfsplanungen oder Sicherstellungsaufträge von Körperschaften dürften nicht aufgegeben werden, um rein gewinnorientierten Unternehmen Profitmöglichkeiten durch Apotheken oder Arztpraxen zu ermöglichen. „Wir fordern die Bundesregierung auf, das Gesundheitswesen vor Fehlentwicklungen im Zuge von Öffnungs- und Privatisierungsverpflichtungen zu schützen“, stellen Apotheker, Ärzte und Zahnärzte klar. „Freihandelsabkommen dienen der wirtschaftlichen Entwicklung, aber sie müssen dort ihre Grenzen haben, wo sie die medizinische Versorgung der Patienten beeinträchtigen.“
Momentan stehen die Behandlungsqualität, der schnelle Zugang zur Gesundheitsversorgung und das hohe Patientenschutzniveau an erster Stelle. Die Selbstverwaltung und die Freiberuflichkeit kommen als tragende Säulen mit hinzu. Um medizinische Versorgung auf hohem Niveau zu gewährleisten, sind Kammern und Verbände erforderlich – mit Aufgaben im Bereich der Qualitätssicherung, der Aus- und Fortbildung sowie in Berufspolitik und Berufsrecht. „Die Grundsätze der Freiberuflichkeit und der Selbstverwaltung durch Kammern sowie die Vorschriften für den Berufszugang und die Berufsausübung müssen daher auch unter der Geltung von TTIP beibehalten werden“, heißt es im Dokument. „Wir fordern daher, dass Gesundheitsdienstleistungen aus dem Anwendungsbereich von Freihandelsabkommen ausgeschlossen werden.“ Dass EU-Mitgliedstaaten gesundheitspolitisch ihre Souveränität behalten, ist nicht erst seit dem EuGH-Urteil gegen Apothekenketten klar. „Bei der Tätigkeit der Union wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung gewahrt“, heißt es im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 168. Auch sind Gesundheitsservices nicht Teil der Dienstleistungsrichtlinie.
Genau hier befürchten Health Professionals unschöne Änderungen: Beim TTIP soll nach aktuellem Stand ein Expertenrat Regulierungsansätze zu Arzneimitteln und Medizinprodukten klären. Da es in erster Linie um die Markteinführung neuer Produkte und Dienstleistungen geht, stehen Herstellerinteressen weit vorne. Viele Kollegen erinnern sich noch an Diskussionen über vermeintlich sinnlose Werbeverbote bei Rx-Arzneimitteln oder über den Zugang zu klinischen Studiendaten. Konzerne liebäugeln auch mit amerikanischen „Medical and Surgical Procedure Patents“ – eine Möglichkeit, nicht nur Medizinprodukte zu patentieren, sondern auch diagnostische oder therapeutische Verfahren. Das europäische Patentabkommen setzt entsprechenden Bemühungen Grenzen: „Europäische Patente werden nicht erteilt für (...) Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden.“ An diesem Passus halten Heilberufler fest, um den medizinischen Fortschritt nicht zu bremsen.
Firmen haben – wenig überraschend – eher wirtschaftliche Interessen. Sehen sie Investitionen gefährdet, können sie vielleicht schon bald private Schiedsgerichte einschalten. Aufgrund mangelnder Transparenz steht dieses Gremium in der Kritik. Hier treten internationale, auf Handelsrecht spezialisierte Anwälte Vertretern unterschiedlicher Gesundheitssysteme der Vertragsstaaten gegenüber – eine unglückliche Konstellation. „Selbst wenn für die Anrufung solcher Schiedsgerichte hohe Hürden errichtet würden, so reicht doch bereits das Drohpotential möglicher Schadensersatzforderungen aus, um von notwendiger Gesetzgebung zugunsten der öffentlichen Gesundheit abzusehen“, schreiben Experten in ihrer Resolution. Steter Tropfen höhlt den Stein: Alle Verhandlungen zu TTIP sollten eigentlich bis Ende 2015 abgeschlossen werden. Nach massiven Widersprüchen von allen Seiten wurde dieser Zeitplan längst Makulatur.