Das Thema Verweildauer in der Klinik könnte sich zu einem Streitthema entwickeln. Ausnahmen werden anscheinend auch in der Pandemie nicht gemacht – das kann für Kliniken teuer werden. Ein Fallbeispiel.
Wenn ein Patient freitags im Krankenhaus das benötigte Antibiotikum erhält, dann hätte die Entlassung der Person an einem Samstag passieren können – wenn es erst später dazu kommt, dann werden diese Tage vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) gekürzt. Dieses Vorgehen ist bekannt und nachvollziehbar.
Auf der Intensivstation ist das Thema Verweildauer schon etwas komplizierter – zumal dann, wenn es um COVID-19 geht. Das wird durch ein Beispiel deutlich, das derzeit auf Twitter diskutiert wird. Ein Patient aus der ersten Corona-Welle wurde lange beatmet.
Der beatmete Intensivpatient wurde aus Sicht des MDK zu spät in die Weaning-Klinik verlegt. Statt nach 50 Tagen erfolgte die Verlegung erst nach 60 Tagen. Daher hat der MDK die Verweildauer gekürzt, sodass die Krankenkasse nur einen Teil der Kosten übernehmen muss. Einerseits ist das im Rahmen des Üblichen. Andererseits stellt sich die Frage, wie streng die Kostenträger hier sein müssen, zumal weil es sich um einen Patienten in der frühen Phase der Corona-Pandemie handelte, wo es noch eine Menge Unsicherheit im Umgang mit den Patienten gab. Komplikationen gab es auch: Der konkrete Patient im Beispiel hatte, während man noch auf einen Verlegungstermin gewartet hatte, "endobronchial geblutet."
Auch unabhängig von Corona scheint die Verlegung in Richtung Weaning-Klinik ein heißes Eisen zu sein: „Die meisten Patienten liegen deutlich länger hier als notwendig, weil die Rehakliniken voll sind oder wegen Notverlegungen Aufnahmestopp haben“, wirft ein Notarzt in die Diskussion ein. Was also, wenn man als Behandler ein Nein nach dem anderen erhält? Eine Lösung scheint es im Moment dafür nicht zu geben.
Auch problematisch scheint hier der Aspekt Corona-Test zu sein: „Weil die PCRs überlang positiv sind, [fällt die] Entisolierung bei Mutanten schwerer als früher, weil man unsicher ist. Rehakliniken hier haben oft keine Positiv-Kapazitäten.“, ergänzt eine Intubationspersonal-Mitarbeiterin die Twitter-Debatte. Auch hier spielt wieder der Zeitpunkt mit hinein: Die quantitiave PCR, die heute Standard ist und die bessere Aussagen über Infektiosität erlaubt als die "Ja-Nein-PCR", war damals, in der frühen Pandemie, noch nicht überall Standard. Muss der MDK hier wirklich ein Exempel statuieren?
Liegedauern von 50 oder 60 Tagen sind auch nicht die Obergrenze: „Ich frag mich, wie das mit den Langliegern laufen soll. Wir haben einen Patienten, der bald 100 Tage bei uns liegt. Ist jetzt relativ stabil, Tk/PEG, sollte eigentlich in die Weaning-Klinik, aber VRE und die nehmen aktuell niemanden auf, um Beatmungsplätze freizuhalten“, twitterte ein Krankenpfleger bereits im März 2020.
Wir haben über das Thema etwas ausführlicher mit einem Intensivmediziner diskutiert, der anonym bleiben möchte. Er sieht ein grundsätzliches Problem: „Seitens des MDK wird bei COVID-Patienten teilweise mit einem Wissen argumentiert, das zu dem Zeitpunkt, zu dem der Patient behandelt wurde, noch nicht existierte, und es wird mit Strukturen argumentiert, die es damals noch nicht gab - und es teilweise auch jetzt noch nicht gibt. Wir kriegen solche Patienten nicht verlegt. Vor einem Jahr gab es die Bereitschaft zur Übernahme nicht, und spezielle weiterbehandelnde Covid-Stationen gab es noch nicht. Heute sind die übernehmenden Kliniken zwar darauf vorbereitet, aber sie sind voll."
Erst Corona-Wellen, dann MDK-Wellen?
Klar ist: Von der Problematik sind alle Kliniken betroffen, in denen Covid-Patienten für lange Zeiträume liegen. Die ersten MDK-Gutachten für Patienten aus der ersten Welle erreichen gerade erst die Krankenhäuser. Es steht zu befürchten, dass die Infektionswellen nachgelagerte Wellen an MDK-Abfragen auslösen.
Wie so oft bei Corona werden bestehende Probleme dabei eher akzentuiert als dass sie komplett neu auftreten: „Schon lange gibt es den Vorwurf, es werde zu lange beatmet, weil das Geld bringt, man kümmere sich nicht um die Entwöhnung. Das kann vielleicht in einzelnen Fällen stimmen. Aber ich kann sagen, dass das für uns nie eine Rolle spielt, wir wollen immer medizinisch entscheiden“, so der Intensivmediziner, mit dem wir gesprochen haben. Was aber, wenn keine Weaning-Klinik zur Verfügung steht? Ein Systemfehler, der in den nächsten Monaten für große Probleme sorgen könnte.
Bildquelle: Mufid Majnun, unsplash