Eine aktuelle Langzeitstudie liefert Argumente dafür, alle Neugeborene auf Hormon- und Stoffwechselstörungen zu screenen. Experten sind dafür, das Regelscreening entsprechend zu erweitern.
Angeborene Stoffwechsel- und Hormonstörungen können unentdeckt zu Organschäden, körperlicher oder geistiger Behinderung oder sogar zum Tod führen. Das Neugeborenenscreening ermöglicht eine frühe Diagnose und Behandlung und damit die Vermeidung von schweren Behinderungen und Todesfällen. Eine neue Studie des Universitätsklinikums Heidelberg untersucht, welchen Einfluss das Neugeborenenscreening langfristig auf die Entwicklung und Gesundheit betroffener Menschen hat.
Am Universitätsklinikum Heidelberg werden jährlich Proben von mehr als 140.000 Neugeborenen aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland getestet. Etwa bei jedem tausendsten Kind wird eine Krankheit entdeckt und rechtzeitig behandelt. Im besten Fall gibt es ein Medikament gegen die jeweilige Erkrankung; anderen Betroffenen kann zum Beispiel durch eine lebenslange Diät geholfen werden. Das Studienprogramm Neugeborenenscreening und Stoffwechselmedizin 2020: Langzeitbeobachtung und Outcome hat sich mit der langfristigen Entwicklung der betroffenen Kinder beschäftigt, um die Wirksamkeit des Screenings als Präventivmaßnahme zu prüfen. In einer weltweit einzigartigen Langzeitstudie verfolgten die Mediziner, wie sich die dank des Neugeborenenscreenings frühzeitig therapierten Kinder entwickeln.
Für die Studie wurden Kinder, die im Neugeborenenscreening seit 1999 mit einem positiven Testergebnis identifiziert wurden, in festgelegten Zeitabständen nachuntersucht, um herauszufinden, ob und wie die frühe Diagnose bei der Behandlung helfen konnte und ob dies den Gesundheitszustand der Kinder nachhaltig verbessern konnte. Die Langzeitstudie belegt, dass die Mehrzahl der gescreenten Kinder von der frühen Diagnosestellung innerhalb des Untersuchungszeitraums profitierte.
„Ein durch das Screening ermöglichter, frühzeitiger Behandlungsbeginn nutzt der Gesundheit von Kindern mit einer angeborenen Stoffwechselstörung. Es ist uns gelungen, dies umfassend und detailliert nachzuweisen“, fasst Prof. Stefan Kölker, Leiter der Sektion für Neuropädiatrie und Stoffwechselmedizin, die Ergebnisse zusammen.
„Allerdings zeigt die Studie auch, dass es zwischen den einzelnen Krankheiten zum Teil deutliche Unterschiede gibt und dass das Langzeitergebnis von der Therapie- und Betreuungsqualität abhängt. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass das Auftreten von Stoffwechselentgleisungen diagnoseabhängig unterschiedlich war und trotz des Neugeborenenscreenings nicht in jedem Fall komplett verhindert werden konnte“, erklärt Dr. Ulrike Mütze, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin.
Die Daten liefern wertvolle Hinweise für eine Weiterentwicklung der Therapie und Förderung der betroffenen Kinder. Umso mehr, weil in die Studie auch Daten aus einem parallelen Projekt Eingang fanden, das die Erweiterung des Panels um 26 neue Zielerkrankungen erforscht. Die Erkenntnisse aus der Langzeitstudie seien eine wichtige Argumentationsgrundlage bei der Beantragung der Übernahme dieser neuen Krankheiten in das Regelscreening, damit zukünftig Kinder in ganz Deutschland auch auf die neuen Zielkrankheiten gescreent werden können, so die Experten.
Während der ersten Studie ist das Durchschnittsalter der untersuchten Kinder kontinuierlich gestiegen, jetzt liegt der Altersschwerpunkt im frühen Schulalter. Einige Patienten wurden bereits bis zum Jugend- und jungen Erwachsenenalter nachuntersucht, aber die Gruppe ist noch zu klein, um schon verlässliche Aussagen über diese Altersgruppen zu treffen. Nachdem die Daten den Nutzen des Regelscreenings bestätigt haben, soll das Nachfolgeprojekt auch erstmalig eventuelle Langzeit- und Spätfolgen von Erkrankungen und Therapien untersuchen.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Heidelberg. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Kelly Sikkema, Unsplash