In den USA versäumen zahlreiche Impflinge ihre zweite Dosis. Das könnte Virusmutanten in die Hände spielen. Wird es bei uns auch so weit kommen?
Millionen US-Amerikaner haben ihre Zweitimpfung verpasst, titelte kürzlich die New York Times. Sie bezieht sich auf neuere Daten der Behörde CDC, denen zufolge 8 % der teilweise Geimpften – umgerechnet fünf Millionen Menschen – ihren Folgetermin nicht wahrgenommen haben.
Während der ersten Impfwelle sah das noch anders aus. Laut dem CDC-Bericht vom 19. März erhielten zwischen dem 14. Dezember und dem 14. Februar noch 95,6 % der Geimpften ihre zweite Dosis innerhalb des empfohlenen Intervalls. Bei Biontech/Pfizer ist das ein Abstand von drei bis maximal sechs Wochen, bei Moderna vier bis sechs Wochen.
Umfragen unter diesen Personen ergaben verschiedene Gründe für das Schwänzen des zweiten Termins. Viele gaben an, Angst vor Nebenwirkungen zu haben – damit sind vor allem die unmittelbaren Impfreaktionen wie grippeähnliche Symptome gemeint und nicht etwa die seltenen Hirnvenenthrombosen. Ein weiterer Grund für das Versäumnis laut der Umfrage: Befragte dachten, dass eine einzige Impfdosis für ausreichend Schutz sorgt.
Doch das ist ein Trugschluss, über den Ärzte ihre Impflinge unbedingt aufklären müssen. „Wenn das Immunsystem erstmals mit einem neuen Antigen konfrontiert wird – in diesem Fall dem Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus – braucht es in der Regel zwei Impfungen, um einen ausreichend hohen Antikörpertiter zu erreichen, der auch über längere Zeit anhält“, erklärt Prof. Anke Huckriede, Professorin für Vakzinologie am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Groningen.
„Die erste Impfung aktiviert sogenannte kurzlebende Plasmazellen, die für einen ersten Boost an Antikörpern und damit auch für einen Infektionsschutz sorgen. Wie der Name sagt, sind diese Zellen aber nur kurzfristig aktiv. Um über längere Zeit einen gewissen Spiegel an Antikörpern zu gewährleisten, sind auch langlebige Plasmazellen und Memory B Zellen nötig, die häufig erst nach einer zweiten Impfung gut aktiviert werden“, so die Expertin weiter. Für die mRNA-Impfstoffe führe die zweite Impfung auch zu wesentlich höheren Antikörper-Titern und auch qualitativ besseren Antikörpern – mehr sogenannte neutralisierende Antikörper, so die Expertin. „Bei Impfstoffen, die Gebrauch von viralen Vektoren machen, ist der Effekt der zweiten Impfung etwas weniger ausgeprägt.“
Auch mit Blick auf ältere Bevölkerungsgruppen ist die zweitimpfung enorm wichtig, erklärt Prof. Huckriede. „Bei älteren Menschen reicht die erste Dosis meist nicht aus, um befriediegende Antikörper-Titer zu erreichen.“
Ob das Versäumnis der Zweittermine hierzulande auch noch zum Problem werden könnte, ist unklar. Daten dazu gibt es nicht. Deutsche Ärzte haben zumindest mehr Möglichkeiten dazu, ihre Impflinge auf die Relevanz der Zweitimpfung hinzuweisen. In den USA ist ein Aufklärungsgespräch vor der Impfung – anders als hierzulande – keine Pflicht. Es gibt lediglich ein Informationsblatt, das über den Ablauf und die Risiken aufklärt. So ist es zwar möglich, dass in den USA besonders schnell, besonders viele Menschen in Supermärkten, Apotheken und Drive-Throughs geimpft werden können. Doch möglicherweise bleibt die Aufklärung dabei auf der Strecke.
Für Verwirrung könnte auch die Tatsache sorgen, dass es Impfstoffe gibt, die ihren Zweck auch mit nur einer einzigen Dosis erfüllen. Prof. Huckriede: „Johnson & Johnson hat von Anfang an darauf gesetzt, einen Impfstoff anbieten zu können, der bereits nach einmaliger Injektion ausreichenden Schutz gegen eine Infektion bietet und hat seine klinische Studien dementsprechend aufgesetzt. Die Resultate belegen, dass die einmalige Injektion ab Tag 14 nach der Impfung einen Schutz von 67 % bietet. Wie lange dieser Schutz anhält, ist allerdings bislang nicht zu sagen. Auch die anderen Impfstoffe geben bereits nach einer Impfung einen guten Schutz, aber wie lange der anhält ist nicht untersucht, weil nach 4 bis 12 Wochen eine zweite Impfung verabreicht wurde.“
Damit bewegt sich der Impfstoff von Johnson & Johnson mit seiner Wirksamkeit in etwa dort, wo auch die mRNA-Impfstoffe nach der ersten Dosis liegen. Inzwischen gibt es zur Wirksamkeit der mRNA-Impfstoffe auch schon Real-Life-Daten: In einer Beobachtungsstudie in Israel mit 596.618 Probanden reduzierte die Impfung der ersten Dosis des Biontech-Vakzins das Risiko einer symptomatischen COVID-19-Erkrankung um 57 %. Schwere Verläufe verhindert es zu 62 %. Mit der zweiten Impfung steigen beide Werte auf über 90 Prozent.
„Übrigens untersucht auch Johnson & Johnson eine 2 Dosis-Impfstrategie. Die meisten Experten gehen davon aus, dass eine einmalige Impfung wahrscheinlich nicht ausreicht, um einen dauerhaften Schutz aufzubauen“, erklärt Prof. Huckriede.
Interessant ist auch die Frage, ob es Virus-Mutationen in die Hände spielt, wenn viele Menschen auf ihre zweite Dosis verzichten. Die Vakzinologin kann darüber nur spekulieren: „Wenn der Antikörper-Titer im Blut sinkt, kann es zu ‚break through‘-Infektionen kommen. Da die Impfstoffe sowieso etwas weniger wirksam sind gegen Varianten, wie z.B. die südafrikanische Variante, als gegen das ursprüngliche Virus sind, werden die Virusvarianten bei langsam abnehmenden Antikörper-Titern nach einmaliger Impfung vermutlich schneller durchbrechen und Geimpfte also auch zu deren Verbreitung beitragen können.“
Nicht alle der vom CDC befragten US-Amerikaner haben ihren Impftermin aus Angst vor Nebenwirkungen oder vermeintlich ausreichendem Schutz nach der ersten Dosis sausen lassen. Laut dem Bericht der New York Times mussten mehrere Impfanbieter, darunter Walgreens, die größte Apothekenkette der USA, ihre Termine absagen oder Kunden zu anderen Apotheken schicken, weil Impfstoffe nicht vorrätig waren. Walgreens selbst gab hingegen an, dass fast 95 Prozent der bei ihnen Erstgeimpften auch bei dieser Apothekenkette ihre zweite Dosis erhielten. In Deutschland scheint das eher kein Problem zu sein, da hierzulande bewusst Dosen für die zweite Impfung zurückgelegt werden.
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