Der Tabubruch ist da: Chinesische Forscher veröffentlichten ihre gentechnischen Arbeiten an menschlichen Embryonen. Trotz ernüchternder Ergebnisse fordern Wissenschaftler dringend ein Moratorium. Aber ist es dafür nicht längst zu spät?
Rein wissenschaftlich betrachtet waren die Ergebnisse des chinesischen Forscherteams um Junjiu Huang nicht gerade umwerfend. Der Genforscher und seine Kollegen von der Sun-Yat-sen-Universität in Guangzhou hatten versucht, mit dem Crispr-Verfahren das defekte Beta-Globin-Gen zu korrigieren. Dieses spielt bei der Erbkrankheit Beta-Thalassämie die entscheidende Rolle. Doch nur etwa ein Drittel ihrer Versuche war erfolgreich, und selbst diese nicht immer in der gewünschten Form. Dennoch schafften es die Forscher um Huang mit ihren Versuchen, eine heiße Diskussion zu entfachen: Darf der Mensch in seine eigene Evolution eingreifen?
Huang hatte ethisch bedenkliches Neuland betreten und erstmals publiziert, die Keimbahn menschlicher Embryonen verändert zu haben. Babys hätten aus den Embryonen einer Kinderwunschklinik zwar nicht entstehen können, da sie zu viele Chromosomen enthielten - ein Tabubruch war die Arbeit dennoch. Denn sind solche Versuche nicht erst dann sinnvoll, wenn früher oder später echte, menschliche Embryonen verwendet werden?
Doch so weit sind die Forscher noch nicht. Die im Jahr 2012 publizierte [Paywall] Crispr-Cas9-Tecnologie wird seitdem als Durchbruch in der Gentechnik gefeiert. Für die Zeitschrift „MIT Technology Review“ ist die neue Methode sogar die „größte Biotech-Entdeckung des Jahrhunderts“. Einfach und hoch präzise lassen sich damit Gene verändern, Mutationen erzeugen oder beheben, sogar ganze Gene gezielt stilllegen. Und das alles in einem für Wissenschaftler sehr überschaubaren Zeitrahmen von wenigen Wochen. Seit etwa Mitte der 1970er Jahre kann der Mensch gezielt das Erbgut von Lebewesen verändern. Präzisionsprobleme und unerwünschte Nebeneffekte waren aber stets mit von der Partie. Crispr-Cas9 hingegen ist eine Art molekulares Präzisionsschneidewerkzeug, das Molekularbiologen aus Bakterien übernommen und ein wenig modifiziert haben. Die Kombination aus einer „Such“-RNA und einer Enzym-„Schere“ ist in der Lage, jedes beliebige Gen zu finden und punktgenau zu durchtrennen. Crispr ist ein für Fachleute verhältnismäßig einfach anwendbares Verfahren und scheint bei Zellen verschiedener Art gut zu funktionieren – so auch bei verschiedenen somatischen Zellen des Menschen.
Huangs Versuche waren zwar grenzüberschreitend, seine Ergebnisse aber ernüchternd: Von den 86 Embryonen, die der Forscher mit Crispr-Cas9 bearbeitete, waren nur 28 nachweislich genetisch verändert. Bei vielen Embryonen traten zudem ungeplante Mutationen auf – ein bisher nicht kalkulierbares Sicherheitsrisiko für mögliche Therapien in der menschlichen Keimbahn. „Diese Studie sollte eine ernst zu nehmende Warnung für alle sein, die glauben, diese Technologie eigne sich bereits dazu, genetische Krankheiten auszumerzen“, äußerte sich der Stammzell-Biologe George Daley von der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts, in einem Kommentar im Fachmagazin „Nature“.
Seit mehreren Monaten diskutieren Wissenschaftler bereits, ob Veränderungen der menschlichen Keimbahnen grundsätzlich ethisch vertretbar sind. Für einige ist der Gedanke verlockend, genetisch bedingte Krankheiten bereits vor der Geburt heilen zu können [Paywall]. Für andere sind solche Maßnahmen eine ethische Grenzüberschreitung. Bereits im März dieses Jahres, zwei Monate vor Huangs Veröffentlichung, warnten Wissenschaftler in „Nature“ vor den Konsequenzen genetischer Veränderungen an menschlichen Embryonen. Denn anders als die gentherapeutischen Modifikationen von Körperzellen sind Veränderungen der Keimbahn vererbbar. Die Auswirkungen auf künftige Generationen seien nicht absehbar, schreiben sie. Grundsätzlich eröffne die gezielte Veränderung menschlicher Embryonen mit der Crispr-Cas9-Methode Tür und Tor für den „unethischen Gebrauch der Technologie“. Gemeint sind Designerbabys, die nach Wunsch kreiert werden könnten. Die Technik sei so einfach, dass sie durchaus in den nächsten Jahren Einzug in Kinderwunschkliniken halten könnte. Deshalb wollen einige Wissenschaftler jetzt eine klare Grenze ziehen und die Arbeit mit Embryonen erst mal verhindern, bis es einheitliche Regelungen dafür gibt.
Dafür plädiert auch die International Society for Stem Cell Research (ISSCR). In einer Pressemeldung befürwortete der ISSCR-Präsident und Molekulargenetiker Rudolf Jaenisch ebenfalls für ein Moratorium. Bereits vor 40 Jahren hatten Molekularbiologen zum Innehalten und Nachdenken aufgerufen, nachdem es 1975 erstmals gelungen war, einzelne Gene in einen fremden Organismus zu übertragen. Der spätere Nobelpreisträger Paul Berg hatte damals im kalifornischen Asilomar 140 Experten zusammengerufen. Sie sollten sich über die Konsequenzen der neuen gentechnischen Möglichkeiten beraten. Um weder die Öffentlichkeit, noch Laborpersonal, Tiere oder Pflanzen zu gefährden, unterwarfen sich die Wissenschaftler strengen, selbst auferlegten Regeln. Ob es für solche Maßnahmen im aktuellen Fall nicht bereits zu spät ist, wird sich zeigen. Denn laut eines Artikels in der Fachzeitschrift MIT Technology Review ist Huang offenbar nicht der einzige Wissenschaftler, der mit humanen Embryonen arbeitet. Einen seltsamen Beigeschmack verleiht Huangs Arbeit die Art der Publikation. Wider erwarten erschien sein Werk in einem eher unbedeutenden Journal. „Science“ und „Nature“ hätten nach Angaben der Autoren wegen ethischer Bedenken abgelehnt. Das Journal „Protein & Cell“ hatte es hingegen offenbar sehr eilig, Huangs Arbeit zu publizieren. Für den gesamten „Peer Review“ benötigte das Heft nur zwei Tage, von der Einreichung der Daten bis zur Publikation. Originalpublikation: CRISPR/Cas9-mediated gene editing in human tripronuclear zygotes Puping Liang et al.; Protein & Cell; 2015