Bewegungsmangel wurde im Zusammenhang mit COVID-19 womöglich unterschätzt. Couch-Potatoes scheinen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf zu haben.
Oft wurden im letzten Jahr die Risikofaktoren für einen schweren COVID-19-Verlauf genannt: Alter, männliches Geschlecht, Vorerkrankungen, Rauchen und andere. Jetzt kommt raus: Auch Bewegungsmangel spielt eine Rolle. Eine Umfrage ergab, dass sich 38 Prozent der Erwachsenen in Deutschland im letzten Jahr weniger bewegt haben. Zudem sind während des Lockdowns viele Menschen neu ins Lager der Couch-Potatoes gewechselt. Dass sie das Faulenzen früher oder später mit ihrer Gesundheit bezahlen müssen, ahnen wohl die meisten von ihnen. Die aktuelle WHO Richtlinie empfiehlt allen Erwachsenen von 18 bis 64 Jahren (auch chronisch Kranken oder Menschen mit Behinderung) jede Woche mindestens 150 bis 300 Minuten aktiv zu sein.
In der Wohnung hin und her laufen reicht da leider nicht, denn gemeint sind damit aerobe Aktivitäten von moderater bis hoher Intensität. Zusätzlich wird an 2 oder mehr Tagen in der Woche zu einem alle wichtigen Muskelgruppen umfassenden Krafttraining von mindestens moderater Intensität geraten. Ältere Menschen ab dem 65. Lebensjahr sollten an mindestens 3 Tagen die Woche den Fokus auf Gleichgewicht, Koordination und Stärkung der Muskelkraft legen, um langfristig fit zu bleiben.
Auch bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 scheinen aktive Menschen zu profitieren: Eine große retrospektive Beobachtungsstudie aus den USA kam zu dem Ergebnis, dass Menschen, die körperlich nur wenig aktiv sind, schwerer an COVID-19 erkranken und öfter an der Krankheit versterben. Die Ergebnisse wurden im British Journal of Sports Medicine veröffentlicht.
Covid-Patienten, die während der letzten zwei Jahre vor der Pandemie konsequent körperlich inaktiv waren, wurden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ins Krankenhaus eingeliefert, benötigten häufiger Intensivpflege und starben öfter als körperlich aktive Personen, so die Ergebnisse der Studie.
Dies galt nach Adjustierung für wichtige Störgrößen wie Alter und Geschlecht sowie eine ganze Reihe von Grunderkrankungen, die Einfluss auf die körperiche Aktivität nehmen können. Tatsächlich war Bewegung nicht nur geringfügig mit dem COVID-19-Verlauf assoziiert, sondern sehr stark: Als Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf wurde körperliche Inaktivität nur von fortgeschrittenem Alter und einer Anamnese mit Organtransplantation übertroffen.
Um die möglichen Auswirkungen von fehlender Bewegung auf den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung zu untersuchen, verglichen die Autoren die Krankheitsverläufe von 48.440 Erwachsenen mit bestätigter Sars-CoV-2-Infektion zwischen Januar und Oktober letzten Jahres. Voraussetzung war, dass von jedem Patienten mindestens drei Angaben über die eigene körperliche Aktivität vorlagen – diese mussten mithilfe des EVS-Fragebogens (Exercise Vital Signs) innerhalb der letzten 2 Jahre erhoben und in der elektronischen Patientenakte hinterlegt worden sein.
Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 47 Jahre; fast zwei Drittel waren Frauen (62 %). Der BMI der Patienten lag im Durchschnitt bei 31. Etwa die Hälfte (51,4 %) hatten keine Grunderkrankungen wie Diabetes, COPD, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenerkrankungen und Krebs; 17,4 % hatten nur eine, und fast ein Drittel (31,3 %) hatten zwei oder mehr Grunderkrankungen.
Bei den Abfragen zur Aktivität wurden die Angaben anhand der wöchentlichen Zeit mit Bewegung wie folgt unterteilt: konsequent inaktiv (0–10 Min./Woche), etwas Aktivität (11–149 Min./Woche), oder konsequent die Richtlinien für körperliche Aktivität erfüllend (150+ Min./Woche). Etwa 7 % der Patienten erfüllten die empfohlenen Richtlinien für körperliche Aktivität; 15 % waren durchgehend inaktiv, der Rest gab eine gewisse Aktivität an.
Insgesamt wurden 8,7 % der SARS-CoV-2-positiven Patienten ins Krankenhaus eingeliefert, 2,5 % benötigten eine Intensivbehandlung und 1,6 % verstarben.Nach Berücksichtigung potenziell beeinflussender Faktoren wie Ethnie, Alter und zugrundeliegende Erkrankungen war die Wahrscheinlichkeit einer Krankenhauseinweisung bei Patienten mit COVID-19, die konsequent körperlich inaktiv waren, mehr als doppelt so hoch wie bei denjenigen, die sich jede Woche mehr als 150 Minuten körperlich betätigten.
Auch zwischen Couch-Potatoes und mäßig aktiven Menschen gab es Unterschiede: Patienten, die konsequent inaktiv waren, hatten ein um 20 % höheres Risiko, ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, ein um 10 % höheres Risiko intensivmedizinisch behandelt werden zu müssen und ein um 32 % höheres Risiko, an ihrer Infektion zu sterben als Patienten, die sich regelmäßig körperlich betätigten.
Die durchgeführte Beobachtungsstudie hat ihre Limitationen: So stützt sie sich auf die Selbsteinschätzung der Patienten zu ihrer körperlichen Aktivität. Außerdem gab es kein Maß für die Intensität der körperlichen Betätigung, welches über den Schwellenwert „mäßige bis anstrengende Bewegung“ (wie z. B. ein flotter Spaziergang) hinausging.
Die Autoren betonen aber: „Es ist bemerkenswert, dass konsequente Inaktivität ein stärkerer Risikofaktor für schwere COVID-19-Verläufe zu sein scheint als jeder der Risikofaktoren, die bisher bekannt waren – mit Ausnahme des Alters und einer Organtransplantation.“ Sie schlussfolgern deshalb: „Wir empfehlen den Gesundheitsbehörden, alle Bevölkerungsgruppen darüber zu informieren, dass neben der Impfung und der Befolgung der AHA-Regeln, regelmäßige [körperliche] Aktivität die wichtigste Einzelaßnahme sein könnte, um einen schweren COVID-19-Verlauf und seine Komplikationen zu verhindern."
Zur gesamten Studie kommt ihr hier.
Bildquelle: Ashim D’Silva, unsplash