Einkaufsvorgänge optimieren und Kosten senken – diese Ziele setzen pharmazeutische Hersteller häufig über Reverse Auctions um. Rückwärtsauktionen mausern sich mehr und mehr zum Erfolgsmodell der New Economy, falls alle Beteiligten gewisse Spielregeln einhalten.
Ein Blick zurück: Vor mittlerweile 13 Jahren gelang der damaligen Aventis AG, heute Sanofi, ein Meilenstein im e-Sourcing: Per Internetauktion vergab der Konzern im Industriepark Höchst, Frankfurt am Main, Bauaufträge über elf Millionen Euro. Seither entwickelten sich E-Reverse Auctions (internetbasierte Rückwärtsauktionen mit fallendem Preis) zum Erfolgsmodell im E-Procurement. Das Spektrum reicht von Labormaterial bis hin zu komplexen Dienstleistungen, wie sie Pharma- oder Healthcare-Agenturen anbieten. Die Details:
„Reverse Auctions sind für uns ein wirkungsvolles Instrument, um bei der Beschaffung bestimmter Waren wettbewerbsfähige Konditionen zu erzielen“, erklärt ein Sprecher der Wacker Chemie AG gegenüber DocCheck. Entsprechende Beschaffungsmodalitäten hätten sich in erster Linie aufgrund „signifikanter Einsparungen“ bewährt. Detaillierte, branchenübergreifende Zahlen gibt es dazu kaum. In verschiedenen Veröffentlichungen ist von Einsparungen zwischen 20 und 40 Prozent die Rede, verglichen mit der normalen Auftragsvergabe über Ausschreibungen beziehungsweise Verhandlungen mit mehreren Bietern. Zur Technik selbst: Konzerne der pharmazeutischen und der chemischen Industrie setzen auf Ariba, GEP, IBX (Capgemini), PerfectCommerce, Synertrade oder ähnliche Portale, um Dienstleistungen oder Güter per Reverse Auction auszuschreiben. Wichtig ist jedoch, grundlegende Regeln zu beachten. „Das Verfahren eignet sich nur für Waren und Leistungen, die eindeutig und exakt spezifiziert werden können“, erklärt ein Sprecher der Wacker AG weiter. „Wenn das nicht gegeben ist, besteht das Risiko, dass die Angebote nicht vergleichbar sind, was dann in der Konsequenz zu Lasten des Nutzwertes und der Qualität der beschafften Güter gehen kann.“ Je erklärungsbedürftiger Aufträge sind, desto schwieriger gestaltet sich das Verfahren. Zudem sei eine ausreichende Basis potenzieller Lieferanten, die Waren oder Dienstleistungen in der ausgeschriebenen Spezifikation anbieten, wichtig. Ansonsten gehen möglicherweise zu wenige Angebote ein, um Preisvorteile zu realisieren.
Es geht aber nicht nur um monetäre Einsparungen, sondern um den Aufwand selbst. Im Vergleich zu traditionellen, langwierigen Verhandlungen mit Bietern laufen Reverse Auctions deutlich zügiger. Oft sparen Firmen mehrere Wochen ein, falls der Ausschreibung standardisierte Verträge zu Grunde liegen. Experten raten, Angaben zur Qualität und zum Leistungszeitraum mit aufzunehmen. Sonst drohen unliebsame Überraschungen. Grund genug für manche Konzerne, vorab geeignete Firmen zu identifizieren und anzusprechen. Im System selbst werden sie auf Basis von Referenzen oder Projektbeispielen freigeschaltet. Eine Alternative: Scoring Auctions. Dabei müssen interessierte Firmen sowohl Angaben zum Preis als auch zur Qualität ihrer Dienstleistung machen. Über spezielle Aggregationsregeln wählt ein Expertenteam des Auftraggebers geeignete Dienstleister aus. Ökonomen raten, Regeln möglichst offen zu kommunizieren. Ansonsten gehen entscheidenden Vorteile, sprich ein starker Preis- und Qualitätswettbewerb bei Anbietern, schnell verloren. Nicht der einzige Nachteil: Firmen müssen auch damit rechnen, aktuelle Dienstleister vor den Kopf zu stoßen, sollten plötzlich Reverse Auctions durchgeführt werden.
Bei der Auftragsvergabe liegen alle Vorteile klar auf der Hand. Für Pharma- oder Healthcare-Agenturen bieten Reverse Auctions ebenfalls zahlreiche Chancen. Sie gewinnen ohne großen Akquise-Aufwand im besten Falle neue Kunden. Der Erstauftrag mit niedrigem Volumen erscheint akzeptabel, falls über das aktuelle Projekt hinaus Folgeaufträge winken – inklusive langfristiger Bindung an Konzerne. Trotzdem lohnt es sich, besonnen vorzugehen. Professor Dr. Axel Ockenfels von der Universität Köln hat B2B-Auktionen wissenschaftlich untersucht. Hat der Gewinner einer reversen Auktion seine Kosten zu niedrig kalkuliert, geht er im schlimmsten Fall pleite. Zur Theorie: Verhaltensökonomen sprechen bei Höchstpreis-Auktionen vom „Fluch des Gewinners“ („Winner’s curse“). Meistbietende zahlen systematisch einen zu hohen Preis, sollten ihnen entscheidende Informationen zum Auftrag fehlen. Das Modell gilt vom Grundansatz her auch für Reverse Auctions. Was tun? Als Möglichkeit, hier gegenzusteuern, arbeiten Konzerne teilweise mit offenen Auktionen. Sehen Bieter das allgemeine Preisniveau ihrer Konkurrenten, agieren sie deutlich vorsichtiger. Ansonsten bleibt Interessenten nur, mit einem Sicherheitsabschlag mögliche Ungewissheiten bei der Angebotsabgabe in ihr Kalkül zu ziehen. Profitieren beide Seiten von der innovativen Auftragsvergabe, entsteht eine echte Win-Win-Situation.