Bei diversen Lungenkrebsarten erzielen personalisierte Therapien große Erfolge. Die Kehrseite: höhere Kosten durch Sequenzierungsleistungen. Immer häufiger erkennen auch Krankenversicherungen den nachhaltigen Nutzen der Untersuchungen an.
Willkommen in der Zukunft: Lungenkrebs gilt bei Apothekern und Ärzten heute als Paradebeispiel für die personalisierte Diagnostik und Therapie. Wie erfolgreich molekularbiologische Vorhersagen heute sind, berichten Forscher aus den USA in einer Veröffentlichung.
Die Strategie: Ärzte haben Gewebeproben von mehr als tausend Patienten mit metastasiertem Adenokarzinom molekularbiologisch untersucht. Im Fokus standen zehn Schlüsselgene, die pathologische Prozesse auslösen beziehungsweise forcieren. Bei 64 Prozent aller Biopsien war zumindest einer dieser Bereiche mutiert, besonders häufig KRAS (25 Prozent), EGFR (17 Prozent) und ALK (8 Prozent). Drei Prozent aller Tumoren hatten Anomalien in zwei oder mehr Bereichen. Doch was bringt dieses Wissen überhaupt? Onkologen behandelten 260 Patienten aus der Studie entsprechend der molekularbiologischen Erkenntnis. Weitere 318 erhielten aus nicht erfassten Gründen eine standardisierte Therapie. Die mediane Überlebenszeit betrug den Autoren zufolge 3,5 Jahre versus 2,4 Jahre – ein signifikanter Gewinn. Entsprechende Untersuchungen seien auch finanzierbar, heißt es im Beitrag. An der Technik scheitert es auch nicht mehr.
Dazu einige Beispiele aus Deutschland: Bereits im März 2010 hatten Ärzte der Kölner Lungenkrebsgruppe das Netzwerk Genomische Medizin (NGM) Lungenkrebs gegründet. Zunächst kamen Patienten aus Nordrhein-Westfalen in den Genuss einer umfassenden molekularen Diagnostik. Mittlerweile geben 100 Krankenhäuser und onkologische Praxen aus dem Bundesgebiet Sequenzierungen in Auftrag. Seit April 2014 erstattet die AOK Rheinland/Hamburg Kosten für die Molekulardiagnostik sowie für einen Zweitmeinungsservice. Laut NGM seien Forschungs- und Therapierfolge ein zentraler Grund für die Entscheidung gewesen. Ab Juli 2015 profitieren Versicherte der BARMER GEK ebenfalls von molekularbiologischen Untersuchungen bei Lungenkrebs. Kassenvertreter haben mit der Uniklinik Köln einen Vertrag zur integrierten Versorgung geschlossen – das erste Dokument mit bundesweiter Gültigkeit.
Andere Regionen lassen sich nicht lumpen. In Heidelberg entsteht derzeit die größte Sequenziereinheit Deutschlands. Bund und Land Baden Württemberg werden den Ausbau des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) zu einem „Spitzenzentrum der individualisierten Krebsmedizin“ finanzieren, gab Bundesforschungsministerin Professor Dr. Johanna Wanka (CDU) Ende 2014 bekannt. Auch die medizinische Fakultät der Universität und das Universitätsklinikum Tübingen legen nach. Gemeinsam haben sie ein Zentrum für Personalisierte Medizin (ZPM) gegründet. Neben malignen Erkrankungen stehen individuelle Besonderheiten bei Patienten mit Herz-, Stoffwechsel- oder Autoimmunerkrankungen im Fokus. Von den Daten versprechen sich Ärzte Verbesserungen bei der Therapie. Bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe geht es in erster Linie um Peptide und Antikörper, die als Vakzine gegen Krebs individuell im Tübinger GMP-Zentrum hergestellt werden. Hinzu kommt das „Drug Repositioning“, also die Erweiterung des Anwendungsspektrums bereits zugelassener Medikamente.
Ein Schritt weiter: Wissenschaftler suchen nicht nur nach Mutationen in einzelnen Genen, sondern sequenzieren das komplette Genom von Tumoren. Dabei entstehen gewaltige Mengen an Bits und Bytes. Bei der Totalsequenzierung von Medulloblastomen traten mehr als 760 Mutationen in knapp 600 Genen zu Tage. Ziel von Big Data ist, große Datenvolumina nach sinnvollen Algorithmen, aber auch in einer vernünftigen Zeit, zu analysieren. Die technischen Voraussetzungen sind da. Jetzt geht es primär darum, inhaltliche Zusammenhänge zu schaffen. Bei unbekannten Genmutationen kann das dauern. Grund genug, über eine alternative Herangehensweise bei der personalisierten Therapie bei Lungenkrebs nachzudenken. Über sogenannte Fütterzellen (feeder cells) gelingt es Studien zufolge häufig, aus Biopsien von Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom Zellkulturen anzulegen. Alle Personen litten nach erfolglosen Behandlungsversuchen mit Tyrosinkinase-Inhibitoren an Rezidiven. In vitro untersuchten Forscher den Effekt von 76 Pharmaka, inklusive neuer Moleküle. Genau 59 Substanzen befanden sich noch in der Zulassung. Kombinationen waren ebenfalls denkbar. Der Veröffentlichung zufolge führten beispielsweise ein MEK-Inhibitor und ein ALK-Inhibitor zum gewünschten Erfolg. In anderen Fällen machten SRC-Inhibitoren die Resistenz von ALK-positiven Tumoren zu Nichte. Im nächsten Schritt versuchen Forscher, ganze Substanzbibliotheken automatisiert zu testen. Entsprechende Arbeiten zur personalisierten Therapie stellen klassische Herangehensweisen bei der Entwicklung neuer Arzneimittel mehr und mehr infrage.