Hausärzte sind frustriert: Im April werden die Impfstoff-Lieferungen an die Praxen für zwei Wochen stark gekürzt – zugunsten der Impfzentren. Wird die Verteilung vom Impfstoff zum Machtkampf?
Kaum nimmt die COVID-19-Impfkampagne dank Einbindung der Hausärzte richtig Fahrt auf, droht sie schon wieder zu stocken. Der Grund: Ab Mitte April werden die Lieferungen an die Hausärzte für zwei Wochen deutlich gekürzt – stattdessen gehen Hunderttausende Dosen an die Impfzentren. Das geht aus einem neuen Lieferplan des Bundesgesundheitsministeriums hervor, der an die Länder geschickt wurde und Business Insider vorliegt. Die Entscheidung sorgt für Frust bei den Hausärzten. Manche fordern, die Impfzentren schnellstmöglich zu schließen, um die Impfkampagne nicht zu gefährden.
Auslöser der Planänderung sollen drohende Lieferausfälle für die Impfzentren sein. Nach Informationen von Business Insider kommen in der 17. Kalenderwoche knapp 1,7 Millionen weniger Dosen des AstraZeneca-Vakzins als geplant. Außerdem befürchten die Länder weiterhin reduzierte Lieferungen von Moderna. Um die Engpässe in den Impfzentren auszugleichen, hätten die Länder den Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gebeten, Impfstoff von den Praxen abzuknapsen.
Jetzt sollen in der 16. Kalenderwoche (19.–25. April) 463.320 Biontech-Dosen und 568.000 AstraZeneca-Dosen an die Praxen gehen, insgesamt somit 1.031.320 Dosen. Das sind 700.000 weniger als von Bund und Ländern eigentlich für die Hausärzte geplant waren. In Kalenderwoche 17 sollen dann zwar wieder mehr Dosen an die Praxen gehen: 1.153.620 Dosen Biontech und 556.800 Dosen AstraZeneca. Geplant waren in dieser Woche aber insgesamt 2,6 Millionen Dosen, also knapp 900.000 Dosen mehr.
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) weist hingegen darauf hin, dass in den Impfzentren in relevantem Umfang Dosierungen für Zweitimpfungen gelagert werden, sodass eigentlich nicht von einer Impfstoffknappheit gesprochen werden könne.
Vor allem, weil die Impflieferungen mittlerweile deutlich zuverlässiger einträfen, sollte dem ZI zufolge darüber nachgedacht werden, lieber die Dosierungen für die Zweitimpfungen überbrückend zu verimpfen, statt die Arztpraxen an die kurze Leine zu nehmen.
Für Irritation sorgt auch die nun vorgesehene Belieferung der Praxen mit AstraZeneca. Denn in diesem Zeitraum sollten die Niedergelassenen ursprünglich ausschließlich Biontech-Dosen erhalten. Die Lieferänderungen könnte dazu führen, dass Impftermine gehäuft wieder abgesagt werden, weil der Impfstoff von AstraZeneca nur für Personen ab 60 Jahre empfohlen wird, befürchtet die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).
Die kurzfristige Umstellung sorgt auf Seiten der Hausärzte für Ärger: „Es kann nicht sein, dass jetzt bereits zugesagte Lieferungen an die Praxen zugunsten der Impfzentren gemindert werden sollen. Vielmehr erwarten wir, dass aller verfügbarer und für die Praxen zugesagter Impfstoff vollständig in den Praxen ankommt“, kritisiert KBV-Vostand Dr. Stephan Hofmeister.
Überblick über den aktuellen Verlauf der Impfkampagne in Deutschland. Quelle: Corona-Impfindex vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung.Nach dem Einstieg der Hausärzte in der letzten Woche hat sich das Tempo der Corona-Impfungen in Deutschland sprunghaft erhöht. Am vergangenen Donnerstag meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) 717.884 Erst- und Zweitimpfungen innerhalb eines Tages, der höchste Wert seit Beginn der Impfkampagne. Ein Teil davon geht auf das Konto der Hausärzte, vor allem aber wurde in der vergangenen Woche deutlich mehr Impfstoff geliefert als die Wochen zuvor. Dr. Andreas Gassen, ebenfalls KBV-Vorstand, sieht dennoch ein klares Signal: „Die Zahlen zeigen sehr deutlich, dass die Musik bei den Corona-Impfungen jetzt in den Arztpraxen spielt.“
Viele Kassenärzte und ihre Vertreter sprechen sich nach dem Patientenansturm auf die Praxen dafür aus, die nun anlaufende Phase der Massenimpfungen in ihre Verantwortung zu legen. Vor allem wollen Hausärzte keine Bevorzugung der Impfzentren hinnehmen, das macht eine Gruppe von Niedergelassenen auch auf Twitter deutlich:
In einer Petition fordert die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), die COVID-Impfungen jetzt von den Impfzentren auf die Praxen zu verlagern. Ihr Ziel ist es, die zentralen Impfzentren bis auf wenige notwendige Einrichtungen zu schließen. Zu Beginn der Impfkampagne sei es richtig gewesen, die COVID-Impfungen auf Impfzentren zu konzentrieren, jetzt sei das nicht mehr vermittelbar. „Wir sehen die Koexistenz von Impfzentren und flächendeckender Impfung in Arztpraxen kritisch“, sagt ein KVBW-Sprecher zum Tagesspiegel. Impfzentren seien schwer erreichbar und Termine nur unter erhöhtem Aufwand zu bekommen, außerdem aufgrund des hohen Personalaufwands auch zu teuer, meinen die Kassenärzte-Vertreter.
In der Kritik steht vor allem, dass der Impfstoff bis zur Kapazitätsgrenze an die Impfzentren geliefert werde und nur der Rest an die Praxen gehe. So würde das flächendeckende Impfen in Praxen ausgebremst werden. Diese Meinung teilen auch Hausärzte in anderen Bundesländern wie Berlin. „Sobald genug Impfstoff da ist, gibt es eigentlich keinen Grund mehr für den Fortbestand von Impfzentren“, sagt Dörthe Arnold, Sprecherin der KV Berlin.
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