Nach Abklingen einer Infektion mit SARS-CoV-2 leiden viele Patienten unter neurologisch-kognitiven Defiziten. Jetzt wurde ein Auslöser für die Schäden entdeckt.
Im Verlauf der SARS-CoV-2-Pandemie zeigt sich zunehmend, welche neurologischen Manifestationen COVID-19 mit sich bringen kann. Neben schweren akuten neurologischen Komplikationen, wie beispielsweise Schlaganfällen, sind inzwischen auch zahlreiche Folgeerscheinungen und Defizite bekannt, die nicht nur bei schweren Verläufen auftreten. Die Beschwerden können schon früh während der Infektion beginnen und deutlich über die akute Erkrankungsphase hinaus bestehen bleiben.
Dr. Jonas Hosp, Leiter der Post-COVID Ambulanz der Neurologie der Universitätsklinik Freiburg, und sein Team führten während der ersten Pandemie-Welle in enger Zusammenarbeit mit Prof. Philipp T. Meyer, dem Ärztlichen Direktor der Nuklearmedizin der Universitätsklinik Freiburg, eine prospektive Studie bei stationär behandelten COVID-19-Patienten durch.
Die Patienten wurden systematisch gescreent, auffällige neurologische und kognitive Befunde erfasst und nach möglichen nachweisbaren Ursachen gesucht. In die Studie wurden Patienten eingeschlossen, die mindestens ein neu aufgetretenes neurologisches oder neurokognitives Defizit aufwiesen, wie z. B. einen gestörten Geruchs- oder Geschmackssinn, weniger als 26/30 Punkte im kognitiven MoCA-Test (Montreal Cognitive Assessment) und/oder pathologische Befunde bei der klinisch-neurologischen Untersuchung. Ausschlusskriterien waren vorbestehende kognitive Defizite, neurodegenerative Erkrankungen oder eine ausschließliche Behandlung auf der Intensivstation.
Patienten mit mindestens zwei neu aufgetretenen neurologischen Symptomen wurden in der subakuten Phase (unmittelbar nach abgeklungener Infektiosität) zusätzlichen Untersuchungen unterzogen. Dazu gehörten umfassende neuropsychologische Tests, eine zerebrale Kernspintomographie und eine 18FDG-PET, ein etabliertes Verfahren in der zerebralen Funktionsdiagnostik (z. B. in der Demenz-Diagnostik). Das Molekül 18FDG wurde von der Glukose abgeleitet, die der einzige Energielieferant des Gehirns ist. Durch die schwach radioaktive Markierung mit einem 18Fluor-Atom kann die regionale Aufnahme und Metabolisierung von 18FDG als Marker des Glukosestoffwechsels gemessen werden. Mittels der PET entstehen so dreidimensionale Bilddatensätze der Hirnfunktion, die sich wiederum mit gesunden Menschen gleichen Alters vergleichen lassen, um Rückschlüsse auf Funktionsstörungen in bestimmten Hirnregionen zu ziehen.
Von 41 gescreenten COVID-19-Patienten wurden 29 in das klinikinterne Neuro-COVID-19-Register aufgenommen (65,2 ± 14,4 Jahre; 38 % Frauen). Die häufigsten neurologischen Störungen betrafen den Geruchs- (25/29) und Geschmackssinn (29/29). 18/26 Patienten hatten im MoCA-Test auffällige Ergebnisse (mittlerer Score 21,8/30 Punkten), wobei insbesondere frontoparietale Funktionen betroffen waren (z. B. Gedächtnis, Exekutivfunktionen und Visuokonstruktion). Insgesamt 26/29 Patienten zeigten mehr als ein Symptom, sodass weitere Untersuchungen erfolgten. Bei 15 Patienten erfolgte eine ausführliche neuropsychologische Untersuchung, in der die Defizite im MoCA-Test bestätigt werden konnten. In der 18FDG-PET konnte bei 10/15 Patienten in frontoparietalen Hirnregionen (Stirn- und Scheitellappen) ein verminderter Glukosestoffwechsel (Hypometabolismus) nachgewiesen werden. Statistische Analysen zeigten eine hohe Korrelation der MoCA-Testwerte mit der Ausprägung der Stoffwechselerniedrigung in genannten Hirnregionen.
Bei einer verstorbenen Patientin, die das charakteristische Muster des zerebralen Glukose-Hypometabolismus zeigte, ergab die Untersuchung postmortaler Gewebeproben eine deutliche Aktivierung von Mikroglia-Zellen vor allem in der weißen Substanz, wohingegen die kortikale graue Substanz relativ wenig betroffen war. Dies deutet darauf hin, dass die kortikalen Funktionen vor allem indirekt gestört waren.
„Bei einem Großteil von Patienten, die wegen einer akuten COVID-19-Erkrankung stationär behandelt werden mussten, konnten in der subakuten Phase definierte kognitive Beeinträchtigungen festgestellt werden“, fasst Hosp zusammen. „Die Befunde passen zu dem im 18FDG-PET sichtbar verminderten Glukosestoffwechsel, d. h. einer regionalen Leistungseinschränkung in den entsprechenden Bezirken der Großhirnrinde.“
Die Arbeitsgruppe publizierte bereits Ergebnisse eines Follow-ups von acht Patienten der Originalstudie. Im Verlauf kam es zu einer signifikanten Besserung der neurokognitiven Defizite, die mit einer weitgehenden Normalisierung des Hirnstoffwechsels einherging. Die neurokognitiven Beeinträchtigungen korrelierten also mit dem Grad der Verminderung des Glukosemetabolismus, so dass dieser als Biomarker für kognitive Post-COVID-Symptome herangezogen werden könnte.
„Als erfreuliches Ergebnis lässt sich festhalten: Die kognitiven Einschränkungen sind per se reversibel. Allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass einige Betroffenen auch sechs Monate nach der Akuterkrankung noch kein Normalniveau erreicht hatten, die vollständige Wiederherstellung der Gesundheit also in einigen Fällen langwierig zu sein scheint“, so Hosp.
„Diese Befunde belegen, dass neurokognitive Probleme nach einer COVID-19-Erkrankung eine messbare Ursache haben. Um das gesamte Ausmaß besser zu verstehen und den Post-COVID-Verlauf unter Therapie beurteilen zu können, sind nun prospektive Follow-up-Studien notwendig “, ergänzt Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Die Studie und das Follow-up haben wir euch im Text verlinkt und ihr findet sie hier und hier.
Bildquelle: David Clode, unsplash