Die Behandlung entarteter Speiseröhrenepithelzellen mit „epigenetisch“ wirksamen Substanzen macht deren Erbgut brüchig. Die Krebszellen sterben ab, die gesunden Zellen überleben. Die Therapie könnte bei nicht operablem Speiseröhrenkrebs gezielter wirken als Chemotherapien.
6.500 Menschen erkrankten im Jahr 2012 in Deutschland an Speiseröhrenkrebs, der damit zwar zu den selteneren Tumorerkrankungen gehört; gleichzeitig zeigt er aber eine der höchsten Zuwachsraten an Neuerkrankungen. Die Zahlen haben sich seit 1990 mehr als versiebenfacht. Grund sind vermutlich verändertere Lebens- und Ernährungsgewohnheiten. Wichtigste Risikofaktoren sind langjähriges Sodbrennen, Alkoholkonsum und Rauchen. Bislang werden Erkrankte chirurgisch, mit Strahlen- oder Chemotherapie oder einer Kombination aus beidem behandelt. Wegen der meist späten Diagnose überlebt aber gerade einmal jeder fünfte Patient mehr als fünf Jahre – trotz Therapie. Einen gänzlich neuen Ansatz im Kampf gegen Speiseröhrenkrebs hat nun die Forschergruppe von Prof. Dr. Silke Lassmann und Prof. Dr. med. Martin Werner am Institut für Klinische Pathologie des Universitätsklinikums Freiburg erprobt. Im Labor behandelten die Wissenschaftler Zellkulturen aus normalen und entarteten Zellen mit vier „epigenetisch“ wirksamen Substanzen, die das Erbmaterial auflockern und dadurch zerbrechlicher machen. Bricht das Erbmaterial, führt dies meist zum Absterben der Zelle. Die Wirkstoffe wurden jeweils allein und in Kombination auf die Zellen aufgebracht. Während sich die Zellen gegen einzelne Substanzen zur Wehr setzen konnten, starben die Krebszellen bei der Kombination der beiden Stoffe Entinostat und Azacitidin. Gesunde Zellen nahmen auch dann keinen Schaden.
„Gesunde Zellen haben offenbar noch einen Plan B, also Schutz- und Reparatur-Mechanismen, die bei Krebszellen nicht mehr funktionieren. Das macht die Krebszellen anfälliger“, sagt Prof. Lassmann. Welche Schutzmechanismen bei gesunden Zellen vorhanden sind und bei Krebszellen fehlen, möchten die Forscher als nächstes herausfinden. Azacitidin ist bereits für die Behandlung von Leukämien zugelassen. Für Entinostat läuft derzeit die Zulassung in der Krebstherapie. Speiseröhrenkrebszellen in der Petrischale angefärbt: Blau: DNA im Zellkern, Rot und Grün: Eiweißstoffe in der Zelle. © Universitätsklinikum Freiburg In Gewebeschnitten von operativ entferntem Speiseröhrenkrebs wiesen die Forscher jene Zielstrukturen nach, gegen die die epigenetischen Wirkstoffe gerichtet sind. Auch in Darmkrebs-Gewebe und anderen Tumorarten des Magen-Darm-Trakts ließen sich dieselben molekularen Ziele identifizieren. Das spricht dafür, dass sich die Erkenntnisse zumindest teilweise auf andere Tumorarten übertragen lassen. „Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, dass sich daraus ein neuer Ansatz im Kampf gegen Speiseröhrenkrebs entwickeln lässt. Aber klar ist: das ist nur ein erster Schritt und viele weitere müssen folgen“, dämpft Prof. Lassmann zu große Hoffnungen. Originalpublikationen: Selective inhibition of esophageal cancer cells by combination of HDAC inhibitors and Azacytidine Silke Lassmann et al.; Epigenetics, doi: 10.1080/15592294.2015.1039216; 2015