Für die Joko-Klaas-Pflegedoku öffnete die Uniklinik Münster ihre Pforten. Ich denke, das war ein guter Vorwand, um von Problemen im eigenen Haus abzulenken.
Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf haben mal wieder Fernsehgeschichte geschrieben. Letzte Woche konnten die Zuschauer eine komplette Frühschicht im Knochenmark- und Transplantationszentrum der Uniklinik Münster mitverfolgen. Der Pflegerin Meike Ista wurde eigens eine Kamera umgehängt, um das Fernsehpublikum möglichst nah ans Geschehen zu bringen. Pflegerinnen und Pfleger anderer Einrichtungen kamen, zwischendurch eingeblendet, auch zu Wort.
Es geht um Überstunden ohne Ende, um Arbeiten ohne Pause, um Frust, um Erschöpfung, um fehlende Wertschätzung. Es geht aber auch darum, wie sehr die meisten Pflegekräfte ihren Beruf schätzen – nur nicht unter diesen Bedingungen. Schnell wird klar: Die Corona-Pandemie war nicht Auslöser der Misere, sie deckt Missstände nur gnadenlos auf. Plötzlich interessieren sich Medien für das Thema.
„Schon wieder brauchen wir Joko & Klaas, um zu begreifen, dass wir bei einem unfassbar wichtigen Thema wie #nichtselbstverstaendlich komplett versagt haben“, schreibt eine Userin auf Twitter. „Die machen schon die bessere Unterhaltung. Wie peinlich ist es für uns alle, dass sie auch die besseren Politiker wären?“
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Gesundheitspolitiker haben nach wie vor keine Lösung gefunden. Sie lavieren sich, so kommt es mir vor, durch die nächsten Monate – in der Hoffnung, dass bis zur Bundestagswahl alle Menschen geimpft worden sind. Problem gelöst? Wohl kaum, denn auch ohne Schreckensbilder von COVID-19-Patienten bleibt die Situation für Pflegende schlichtweg katastrophal. Es liegt aber nicht nur an der Politik, wie es Vorstandsetagen von Klinken gern suggerieren.
Pikantes Beispiel: Die Uniklinik Münster macht auf Transparenz und erlaubt es ProSieben, vor Ort zu drehen. Schnell denkt man: Da haben die Chefs wohl nichts zu verbergen.
Weit gefehlt: Bereits Ende Februar hatten Pflegekräfte dieses Krankenhauses in der WDR-Lokalzeit krankmachende Arbeitsbedingungen wie Personalmangel und etliche Überstunden kritisiert. Einer von ihnen war der Intensivpfleger Martin L.*. Bereits im November hatten Pflegekräfte ihre Kritikpunkte in einem offenen Brief an die Klinikleitung zusammengefasst. Gespräche des Personalrats mit den Vorständen führten nicht zum gewünschten Ergebnis. L. wollte mehr Kolleginnen und Kollegen mobilisieren, was ihm wohl zum Verhängnis geworden ist. Die Klinikleitung hat ihn rausgeworfen.
In der Community kommt das nicht gut an. „Schade, dass @officiallyjoko und @damitdasklaas nicht mehr mit [L.] reden konnten“, schreibt der Narkosedoc. Viele User kennen seinen DocCheck-Blog. Er ergänzt, L. habe „öffentlich auf bekannte Defizite in der Patientenversorgung hingewiesen. Fand @UK_Muenster nicht so doll. #nichtselbsverstaendlich“
Das Krankenhaus schoss umgehend zurück: „Bei uns werden Mitarbeitende nicht entlassen, wenn sie ihre Meinung sagen – das zeigt ja nicht zuletzt das so offene und ungeschliffene Format von gestern.“ Zu Einzelfällen werde man sich nicht äußern.
Rechtfertigt eine Doku alle internen Missstände? Dazu nochmals der Narkosedoc: „Netter Versuch der PR-Abteilung, das glatt wegzubügeln. Unabhängig von der Causa [L.] ist das Intensivpflegepersonal – nicht nur im UKM – am Ende. Überarbeitet, überfordert, unterbesetzt. Aber schön nach außen immer alles wegbügeln und als Einzelfall brandmarken.“
Mit solchen Aktionen tut sich die Uniklinik Münster selbst keinen Gefallen. Pflegekräfte sind rar. Schlechte Publicity und – laut L. – schlechte Arbeitsbedingungen sind nicht gerade ein Magnet für neue Fachkräfte. Die Prophezeiung beginnt, sich selbst zu erfüllen. „Ich frage mich ja immer noch, was man mit dieser fristlosen Entlassung zu erreichen glaubte“, kommentiert ein weiterer User. „Wenn man so an einen gewissen offenen Brief aus dem November denkt, muss man ja vermuten, dass sich da schon vorher viel Unzufriedenheit aufgestaut hat. Wird jetzt nicht besser sein.“
Das will heißen: Arbeitgeber, kehrt erst mal vor eurer eigenen Tür. Die Politik hat Mist gebaut, viel Mist. Aber es gibt dennoch weitere Verantwortliche.
* Name von der Redaktion nachträglich geändert
Bildquelle: Samuel Scalzo, Unsplash