Astra-Impfung und Sinusvenenthrombosen – die EMA verkündete heute einen möglichen Zusammenhang, empfiehlt jedoch keine Einschränkung. Doch wie hoch ist das Risiko tatsächlich? Unser Thrombosen-Check.
Die EMA sieht einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der AstraZeneca-Impfung und seltenen Sinusvenenthrombosen. Das verkündete sie heute Nachmittag in einer Pressemitteilung. Darin heißt es, dass die mit Thrombozytopenie assoziierten ungewöhnlichen Blutgerinnsel als seltene Nebenwirkung von Vaxzevria® gelistet werden sollten.
Dem zugrunde liegt eine detaillierte Analyse von 62 Fällen von Sinusvenenthrombosen und 24 Fällen von Splanchnikus-Venenthrombosen, von denen 18 Fälle tödlich endeten. Laut der EMA sind nach den Impfungen mehr solcher Fälle aufgetreten als es in der Normalbevölkerung zu erwarten wäre. Trotzdem empfiehlt die Arzneimittelbehörde die Anwendung des AstraZeneca-Impfstoffes weiterhin uneingeschränkt. Der Nutzen sei höher zu bewerten als die Risiken.
Schon gestern hatte der Chef der EMA-Impfabteilung, Marco Cavaleri, im Interview mit der italienischen Zeitung Il Messagero eine Verbindung zwischen der AstraZeneca-Impfung und dem vereinzelten Auftreten gefährlicher Thrombosen insbesondere bei jüngeren Geimpften hergestellt. „Meiner Meinung nach können wir mittlerweile sagen, dass es klar ist, dass es einen Zusammenhang mit dem Impfstoff gibt. Was diese Reaktion auslöst, wissen wir aber noch nicht.“
In Deutschland hatten Bund und Länder Ende März nach einer Empfehlung der STIKO beschlossen, AstraZeneca in der Regel nur noch für Menschen ab 60 Jahre einzusetzen.
Derweil haben dänische Wissenschaftler in einer Studie untersucht, ob Thrombosen jeglicher Art nach AstraZeneca-Impfungen häufiger vorkommen. Die Experten der Universitätsklinik Aarhus berechneten dazu die durchschnittlichen Raten von Thrombosen in der dänischen Bevölkerung vor der COVID-19-Pandemie.
Dänemark hat dazu hervorragende Daten, weil dort jeder ambulante oder stationäre Krankenhausaufenthalt inklusive Diagnose und Behandlung in ein zentrales Register einfließt – für Epidemiologen ist das ein echter Datenschatz.
In ihre Analyse flossen die Daten von knapp 5 Millionen Bewohnern Dänemarks über 18 Jahren ein. Die Wissenschaftler konzentrierten sich auf venöse Thromboembolien, da die bis zum 10. März 2021 im Zusammenhang mit dem AstraZeneca-Impfstoff gemeldeten thromboembolischen Ereignisse laut EudraVigilance überwiegend venös waren. Da es sich allgemein bei venösen Thromboembolien in 95 % der Fälle um tiefe Venenthrombosen (ICD-10: I80.1–3) oder Lungenembolien (ICD-10: I26) handelt, schlossen die Autoren letztlich diese beiden Diagnosen für ihre Analyse ein.
Die Studie ergab, dass man bei einer durchschnittlichen Gruppe von fünf Millionen Menschen etwa 169 Fälle von venösen Thromboembolien pro Woche oder 736 Fälle pro Monat erwarten könnten, wenn keiner von ihnen geimpft würde. Speziell in der Altersgruppe der 18- bis 64-Jährigen erwartet man eine Inzidenz von 91 Fällen von venösen Thromboembolien pro Woche oder 398 Fällen pro Monat.
Weiterhin stellten die Wissenschaftler fest, dass der EMA bis zum 10. März nur 30 Fälle venöser Thromboembolien gemeldet wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatten etwa fünf Millionen Menschen in der EU den Impfstoff von AstraZeneca über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten erhalten.
Østergaard et al. schreiben: „Basierend auf den Inzidenzraten vor der Pandemie in der gesamten dänischen Bevölkerung berichten wir, dass die Anzahl der venösen Thromboembolien, die im Zusammenhang mit dem Oxford-AstraZeneca Covid-19-Impfstoff berichtet wurden, nicht über die erwartete Inzidenzrate hinaus erhöht zu sein scheint.“
Über eine Häufung von Sinusvenethromobosen konnten die Forscher leider keine Aussagen machen, da sie diese nicht in ihre Analyse einbezogen. Allerdings fügen sie hinzu, dass die bisher gemeldeten Sinusvenenthrombosen „besorgniserregend sind und die gebührende Aufmerksamkeit der Gesundheitsbehörden erhalten.“ In Deutschland etwa wurden dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bis zum 29. März bei etwa 2,2 Millionen verabreichten Impfdosen der Firma AstraZeneca 31 Fälle einer Sinus- oder Hirnvenenthrombose gemeldet.
Auch Grobritannien meldet mittlerweile mehr Sinusvenenthrombosen nach AstraZeneca-Impfung, laut dem letzten Datenschnitt waren es 22 bei über 15 Millionen Impfungen. Allerdings hat Großbritannien auch nicht, wie Deutschland, AstraZeneca prioritär bei jungen Menschen verimpft, sondern weit überwiegend im höheren Alter, sodass es zumindest plausibel wäre, dass die Fälle dort erst mit Verzögerung auffällig wurden. Bei einem früheren Datenschnitt nach rund 10 Millionen Impfungen waren vier Fälle berichtet worden.
Klar ist, dass Sinusvenenthrombosen mit und ohne Impfung selten sind, aber wie selten, das ist gar nicht so einfach zu sagen. Im Zusammenhang mit dem Impfstopp wird meist von 3 bis 4 pro 1 Millionen pro Jahr gesprochen. Es gibt aber auch andere, höhere Zahlen. „Cerebrale Sinus- und Venenthrombosen (CSVT) treten in Deutschland jedes Jahr bei einem bis zwei von 100.000 Personen [10–20 / 1 Mio.] auf und betreffen mehrheitlich Frauen“, heißt es etwa in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Selbst wenn die Impfung wesentliche Ursache für die Thrombosen bzw. die Gerinnungsstörung sein sollte, handelte es sich dennoch um eine extrem seltene Nebenwirkung, die durch die Vorteile der Impfung bei weitem aufgewogen wird.“
Möglicherweise spielt auch der sogenannte „Reporting Bias“ eine nicht unerhebliche Rolle – das bedeutet, dass die Zahl der Nebenwirkungsmeldungen zeitlichen, aber nicht kausalen Verzerrungen unterliegen könnte. Grund ist die erhöhte Aufmerksamkeit durch die öffentliche Diskussion. „Die zentralvenöse Sinusthrombose ist schwer zu diagnostizieren, so dass es wahrscheinlich ist, dass viele Fälle normalerweise übersehen oder nicht gemeldet werden“, erklärt Dr. Peter English, Experte für Infektionskrankheiten. „Angesichts der Publizität über den möglichen Zusammenhang mit der Impfung werden Ärzte die Diagnose einer zentralvenösen Sinusthrombose bei Patienten, von denen bekannt ist, dass sie vor kurzem einen COVID-19-Impfstoff erhalten haben, möglicherweise eher in Betracht ziehen.“ Fälle, die andernfalls vielleicht übersehen oder nicht gemeldet worden wären, würden möglicherweise nun mit größerer Wahrscheinlichkeit gemeldet, so Dr. English.
Über mögliche Auslöser der zerebralen Sinusvenenthrombose nach einer Impfung gibt es aber dennoch erste Hypothesen. Wie Greifswalder Forscher kürzlich berichteten, haben die Fälle eine große Ähnlichkeit mit einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT). Bei einer HIT handelt es sich um eine ernste Nebenwirkung einer Heparin-Therapie. Dabei werden Antikörper gegen einen Komplex aus Heparin mit dem Plättchenfaktor 4 (PF4) gebildet. PF4 ist ein für die Blutgerinnung wichtiges Protein der Thrombozyten. Der resultierende Antigen-Antikörper-Komplex führt über eine Aktivierung an deren Fc-Rezeptor zu einer Thrombozytenaggregation. Diese Verklumpung geht mit einer Thrombozytopenie einher.
Die Forscher schlagen vor, das Phänomen auch Impfstoff- oder Virus-induzierte prothrombotische Immunthrombozytopenie (VIPIT) zu nennen. Unklar ist aber weiterhin, welcher Partner mit PF4 im Fall einer Impfung einen Komplex bilden könnte. Bekannt ist aber, dass viele der Betroffenen Autoantikörper gegen PF4 aufweisen. Daraus lässt sich auch eine Therapieoption ableiten: hochdosiertes, intravenös appliziertes Immunglobulin, das den Plättchenfaktor aus dem Immunkomplex verdrängt.
Auch zum Thema venöser Thromboembolien nach einer COVID-19-Erkrankung gibt es Neuigkeiten. Zwar wirkt SARS-CoV-2 akut prothrombotisch, doch das Risiko für venöse Thromboembolien scheint längerfristig nicht erhöht zu sein. Das zeigt eine neue Studie aus den USA. Darin untersuchten die US-Forscher retrospektiv die Daten von insgesamt 220.500 Patienten. Bei rund 26.000 Personen fiel ein Test auf SARS-CoV-2 positiv aus.
In den darauffolgenden 30 Tagen kam es bei den positiv getesteten Personen zwar signifikant häufiger zu venösen Thromboembolien als bei den negativ getesteten (4,7 vs. 1,6 Fälle pro 1.000 getesteter Personen). Doch diese Ereignisse traten meist schon während des Klinikaufenthaltes auf. So war bei den COVID-19-Patienten, die bereits aus dem Krankenhaus entlassen worden waren, keine erhöhte Rate an venösen Thromboembolien feststellbar als bei Patienten mit negativem SARS-CoV-2-Test (1,0 vs. 1,1 Fälle pro 1.000 getesteter Personen).
Allerdings muss einschränkend erwähnt werden, dass die Patienten mit positivem SARS-CoV-2-Test während des Klinikaufenthaltes womöglich eine Antikoagulation oder andere Medikamente bekommen haben, die das Thromboserisiko längerfristig beeinflusst haben könnten.
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