Ohnmächtig umfallen und wieder aufstehen – jeder Zweite kennt das. Hinweise auf eine deutliche erbliche Komponente bei Reflexsynkopen finden sich nun in einer großen schwedischen Registerstudie.
Hinter einem zeitweiligen Verlust des Bewusstseins, im Allgemeinen Ohnmacht, Kreislaufkollaps oder, in der Gesundheitszunft, Synkope genannt, kann sich alles Mögliche verbergen. Bradykarde Herzrhythmusstörungen mit plötzlicher Verringerung des Herzzeitvolumens sind eine wichtige Differenzialdiagnose, auch zerebrovaskuläre Erkrankungen und Erkrankungen der Halsschlagadern können Synkopen verursachen. Das sind aber eher die Ausnahmen. Weit häufiger sind Reflexsynkopen, auch neurogene Synkopen oder, im deutschsprachigen Raum, vasovagale Synkopen genannt.
Inzidenz und Lebenszeitprävalenz dieser Art von Synkopen sind ziemlich unklar, weil die meisten derer, die eine derartige Synkope erleiden, damit nicht zu Arzt oder Ärztin gehen. Die Gesamtinzidenz wird auf 18 bis 40 pro 1.000 Personenjahre geschätzt. Umfragen sprechen dafür, dass mehr als 40 Prozent der Menschen irgendwann in ihrem Leben eine vasovagale Synkope erleiden. Wahrscheinlich höchstens jeder zehnte wird deswegen vorstellig. Auch bei denen, die wegen wiederholter Synkopen oder wegen Komplikationen solcher Synkopen in Praxis oder Krankenhaus auftauchen, steht die vasovagale Genese im Vordergrund: Zumindest werden etwa 60 bis 70 Prozent aller Synkopen in Praxis oder Klinik als „unspezifische Synkope“ codiert.
Für vasovagale Synkopen sind unterschiedliche Reflexbögen bekannt, teils gut, teils weniger gut beschrieben. Doch warum neigen manche Menschen zu solchen im Alltag eher weniger hilfreichen Reflexen? Bisher gab es dazu recht wenige Daten. In einigen Familienstudien fanden sich Hinweise auf eine erbliche Komponente, aber die Ergebnisse von genomischen Assoziationsstudien waren bisher nicht eindeutig. Erschwert wird die Ursachenforschung unter anderem dadurch, dass es keinen „Biomarker“ für die vasovagale Synkope gibt. Umso wichtiger wären systematische, bevölkerungsbasierte Gesamterhebungen. Die können den Bias, der dadurch entsteht, dass die Betroffenen gar nicht erst bei Arzt oder Ärztin auftauchen, zwar auch nicht beseitigen. Aber sie können ihn zumindest durch eine breite Datenbasis etwas abmildern.
Genau das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Dr. Artur Federowski von der Lund Universität im schwedischen Malmö jetzt getan. Sie haben eine aufwändige, bevölkerungsbasierte Registerstudie durchgeführt, bei der die Häufigkeit von vasovagalen bzw. als „unspezifisch“ codierten Synkopen bei Geschwistern, Halbgeschwistern sowie Cousins/Cousinen ausgewertet wurde. Das geht in Schweden deswegen gut, weil dort elektronische Register existieren, die sich für wissenschaftliche Untersuchungen relativ unkompliziert verknüpfen lassen. Für die jetzt publizierte Synkopen-Auswertung wurden das schwedische, generationsübergreifende Bevölkerungsregister, die Krankenhaus-Entlassdatenbank sowie zwei ambulante Versorgungsregister „zusammengeschaltet“.
Insgesamt wurden knapp 2,7 Millionen Menschen für die Auswertung berücksichtigt, die zwischen 1948 und 2005 in Schweden geboren wurden. Primärer Fokus der Analyse waren Menschen mit Geschwistern, von denen etwas über 1,5 Millionen in die Analyse eingingen. Diese wurden ergänzt durch gut eine Viertelmillion Halbgeschwister und etwas über eine Million Cousins und Cousinen. In dieser Gesamtpopulation lag die Inzidenz von Synkopen, die in Krankenhäusern oder Arztpraxen als „unspezifische Synkope“ codiert wurden und bei denen im Verlauf die Codierung nicht weiter konkretisiert wurde, im Zeitraum von 1997 bis 2015 bei 2,3 Prozent. Es gab also gut 60.000 ICD-codierte Synkopen-Ereignisse, zwei Drittel davon betrafen Frauen, und das mediane Alter zum Zeitpunkt der jeweils ersten, dokumentierten Synkope lag bei jungen 23 Jahren.
Sind Männer-Ohnmächte erblicher?
Das Hauptinteresse bei den Untersuchungen galt nicht Geschlecht oder Alter, sondern den relativen Wahrscheinlichkeiten für eine Synkope in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad. Und hier gab es eine recht klare Abstufung: Je enger verwandt desto wahrscheinlicher war es bei einem Synkopenfall, dass auch der jeweilige Verwandte eine Synkopendiagnose aufwies. Bei Zwillingsgeschwistern eines Menschen mit klinisch dokumentierter, vasovagaler Synkope war das Risiko im Vergleich zur Gesamtpopulation um den Faktor 2,4 erhöht (95 % CI 1,61–3,53). Bei „normalen“ Geschwistern war das Risiko um 80 Prozent höher (95 % CI 1,71–1,91), bei Halbgeschwistern um knapp 30 Prozent (95 % CI 1,20–1,37) und bei Cousins/Cousinen um 13 Prozent (95 % CI 1.10–1,17).
All diese Risikoerhöhungen, bis „hinunter“ zur Ebene von Cousins und Cousinen, waren auch nach Adjustierung noch statistisch signifikant. Am höchsten war das Risiko für männliche Zwillinge von Synkopen-Betroffenen. Die hatten im Vergleich zum Durchschnitt ein um den Faktor fünf erhöhtes Synkopen-Risiko. Insgesamt war die familiäre Komponente bei den Synkopen bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen.
All diese Ergebnisse sprächen deutlich dafür, dass vasovagale Synkopen eine stark erbliche Komponente aufwiesen, so die Autoren. Mit ihrem bevölkerungsbasierten Ansatz und der klaren Korrelation von Synkopenhäufigkeit und Verwandtschaftsgrad liefere die schwedische Arbeit den bisher stärksten Hinweis auf genetische Grundlagen, insbesondere weil der Zusammenhang auch bei den Cousins und Cousinen hält, die in der Regel nicht im selben Haushalt wohnen.
Weitgehend unklar ist weiterhin, welche Gene genau an der Vererbung einer Neigung zu vasovagalen Synkopen beteiligt sein könnten. Gezielte Studien, in denen Kandidatengene untersucht werden oder bevölkerungsbasiert aufsetzende, genomweite Assoziationsstudien wären ein möglicher nächster Schritt, um hier zu mehr Klarheit zu kommen. Fänden sich Gene, dann könnten diese Ansatzpunkte für Präventivstrategien liefern. Das wäre zumindest für jene ein Segen, die häufiger vasovagale Synkopen erleiden und entsprechend unfallgefährdet sind.
Bildquelle: Tushar Escape, unsplash