Manche stürzen herein und haben nur eine Frage: „Welcher Impfstoff?“ Andere wollen wissen: „Muss ich nach der Impfung noch Maske tragen?“ Wie ich als Ärztin die Arbeit im Impfzentrum erlebe, lest ihr hier.
Sonntagmorgen, 6 Uhr 30 und der Wecker schellt, was kein Versehen ist. Heute ist Einsatz im Impfzentrum, und es fällt nicht einmal schwer aufzustehen. Die Vorfreude auf das bunte Potpourri an Eindrücken und die Gewissheit, wieder einen kleinen Beitrag zum Teil der Lösung beizutragen, lässt die Müdigkeit schnell vergessen.
Kurz vor acht angekommen am Mitarbeitereingang des Impfzentrums, herrscht hier schon ein reger Betrieb. Mehrere Rettungswägen und das THW sind auf dem Gelände, die Polizei fährt Patrouille, Security -Mitarbeiter stehen an den Eingängen. Als erstes erfolgt der Personencheck: Registrierung des Namens und eine persönliche Unterschrift, die Symptomfreiheit und keine Quarantäneverpflichtung garantiert.
Mitarbeiter von Impfzentren stehen in der Priorisierung ganz oben, daher sind nahezu alle bereits geimpft. Dennoch erfolgt der obligatorische Temperaturcheck, Händedesinfektion und natürlich FFP2-Maskenpflicht. Alle tragen Ausweise um den Hals und wer möchte Einmalkittel.
Danach findet vor jeder Schicht eine kurze Lagebesprechung der Impfärzte statt: Was und wieviel wird heute geimpft? Gibt es Neuigkeiten vom RKI, der STIKO oder der Organisationsleitung? Danach schwirren alle in die Kabinen aus. Die Stimmung ist richtig gut, jeder will möglichst effizient seinen Beitrag an der größten Impfkampagne überhaupt leisten.
In einem der größten Impfzentren im Südwesten wären im Dreischichtenbetrieb etwa 2.200 Impfungen pro Tag möglich, vorausgesetzt es gäbe genug Impfstoff. Momentan arbeiten wir an guten Tagen in zwei Schichten mit jeweils 20 Ärzten. Über 250 Ärzte haben sich zur Verfügung gestellt, darunter Kollegen aus der Klinik, Praxen und im Ruhestand.
Hier bekommt man das eine oder andere Gesicht zu Telefonaten, Briefen oder Namenslisten. „Ach, von Ihnen sehe ich immer wieder Patienten“ oder „Schön, Sie auch einmal persönlich kennenzulernen.“ Das Miteinander ist offen und wertschätzend. Auch gegenüber den beiden Ärzten der Schichtleitung. Sie stehen jederzeit für Fragen zu Verfügung und kommen bei Problemen in die einzelnen Kabinen.
Jede Schicht besteht aus vier Stunden, danach wird man abgelöst, es sei denn man hat sich für eine Doppelschicht eingetragen. Vier Stunden sind sehr intensiv, die Stimme versagt gegen Ende, da viele ältere Menschen schlecht hören und der Geräuschpegel in der großen Halle hoch ist. Die zweite Schicht geht bis 16 Uhr, eine dritte ggf. bis 20 Uhr. Wir würden auch bis 24 Uhr arbeiten, hätten wir genug Impfstoff. Geimpft wird auch am Wochenende und an Feiertagen.
Die Dienstpläne stehen online, jeder trägt sich nach seinen persönlichen Möglichkeiten ein. Per E-Mail werden alle ständig auf dem Laufenden gehalten, persönliche Fortbildung über die STIKO@rki App ist selbstverständlich.
Nach der Registrierung, Prüfung der Priorisierung und Vergabe der Aufklärungs- und Anamnesebögen, reihen sich die Impflinge vor den Aufklärungskabinen ein. Auch bei ihnen wurde Temperatur gemessen, fand eine Händedesinfektion statt und jeder trägt einen korrekten Mund-Nasen-Schutz. Die Security sorgt fürs Abstandhalten. Kabine 1 und 2 sind für Rollstühle und Rollatoren besonders geeignet und in den Kabinen schützen Plexiglasscheiben vor einem direkten Kontakt. Hochbetagte Menschen, fast immer begleitet von einem Angehörigen, wechseln sich ab mit Arbeitnehmern aus dem Gesundheitssystem, Lehrern, pflegenden Angehörigen und allen anderen, die jetzt an der Reihe sind.
Meist wird pro Schicht derselbe Impfstoff verabreicht, hin und wieder findet ein Chargen-Wechsel statt, so dass neue Aufkleber aus der Apotheke gebracht werden. Durch die Turbulenzen um den AstraZeneca-Impfstoff muss Vieles an den Abläufen nun neu justiert werden und hat die Arbeit im Impfzentrum komplizierter gemacht.
Eine gewisse Nervosität liegt bei nahezu allen Impflingen in der Luft, die zur Erstimpfung kommen. Die meisten sind froh, endlich an der Reihe zu sein, wollen nicht mehr viel reden, sondern einfach nur schnell geimpft werden. Wir gehen den Aufklärungsbogen durch, dann die Unterschriften.
Im Anamnesebogen geht es vor allem um Allergien, blutverdünnende Medikamente, Impfabstände oder eine stattgefundene COVID-19 Erkrankung. Da die Impfung im Moment noch nicht in der Schwangerschaft zugelassen ist, wird auch dies abgefragt. Gibt es Unklarheiten, etwa eine ernsthafte Allergieanamnese oder eine laufende immunschwächende Therapie, erfolgt ein Anruf bei der Schichtleitung. Ist alles geklärt und unterschrieben, dann folgt der Eintrag im Impfpass oder einer separaten Impfbescheinigung.
Die meisten Personen sind gut informiert. Wirkungsmechanismen der einzelnen Impfstoffe sind Randthemen, wichtiger erscheinen mögliche Nebenwirkungen und wann genau der Schutz beginnt. „Muss ich danach noch immer Maske tragen?“ „Wann dürfen mich meine Enkel endlich wieder besuchen?“ „Kann ich nach der Impfung noch Überträger sein?“. Schneller geht es, wenn jemand zur Zweitimpfung kommt und die Nervosität ist meist auch geringer. Wir versuchen, möglichst zügig zu arbeiten und sollten alle sechs Minuten einen neuen Impfling in unserer Kabine begrüßen. Gibt es einen medizinischen Grund, dass nicht geimpft werden kann, erfolgt der Abbruch mit Begründung und Vermerk auf den Unterlagen. Die Person muss mit Hilfe der Security zur Abmeldung gebracht werden.
Normalerweise geht es nach dem Aufklärungsgespräch in die Impfkabine gegenüber. Dort impfen Medizinische Fachangestellte in etwa dem gleichen Rhythmus wie die ärztliche Aufklärung stattgefunden hat.
Ab und zu gehen die Chargen-Aufkleber aus, dann ist der Gang in den Apothekenbereich obligat, wo man sonst selten vorbeikommt. Der Ort, an dem der Impfstoff gelagert und verarbeitet wird, ist etwas Besonderes. Hier wacht die Security auch genau, wer ein und ausgeht. Bisher wurden dort alle zugelassenen Impfstoffe vorbereitet und an die Impfkabinen ausgegeben. Ein verantwortlicher Apotheker und seine Mitarbeiter arbeiten hier im Schichtbetrieb, ähnlich wie die Ärzte, MFAs und Dokumentationskräfte.
Mittlerweile ist die Abschätzung der benötigten Impfdosen pro Tag so gut eingespielt, dass wenige Dosen am Ende des Tages übrigbleiben. Über eine Prioritätsliste werden diese Restdosen an berechtigte Personen kurzfristig vergeben. Es werden keine Dosen verworfen. Auch der Astra-stopp wurde gut abgefangen: Alle noch ausstehenden Impfungen konnten an diesem Tag mit einem mRNA-Impfstoff durchgeführt werden. Unter 60-jährige bekommen nun an der Registrierung einen Vermerk und die Möglichkeit, einen mRNA-Impfstoff zu erhalten.
Nach der Impfung bleibt jeder Impfling noch in der Nachbeobachtung. Dafür stehen viele Stühle auf Abstand in einer großen Halle, Notfallsanitäter laufen umher, um eventuelle Kreislaufreaktionen abzufangen. Es herrscht ein reges Stimmengemurmel, manch einer postet seinen Impfpass im Netz, ältere Menschen dösen, andere lesen oder telefonieren. Bei uns herrscht eine generelle Nachbeobachtungszeit von 30 Minuten, danach erfolgt die Abmeldung an der Registrierung.
Das Schönste an der Arbeit im Impfzentrum sind Wertschätzung und Dankbarkeit, die einem entgegengebracht werden. „Toll, dass Sie das machen!“ oder „Danke. Ich bin so glücklich, dass ich endlich an der Reihe bin.“ Eine ältere Dame reicht lächelnd eine Schokolade in Form eines großen Smilies unter der Plexiglasscheibe durch. Und ab und zu springt die Erleichterung und Freude der Menschen, die glücklich über ihre Impfung sind, auf einen selbst über.
Man lernt hier so viele unterschiedliche Menschen kennen und erhält einen kurzen Einblick in Lebensgeschichten, wie etwa komplizierte Krankheitskonstellationen oder Hochbetagtheit, die einen berühren. Ab und zu ist auch zufällig eine Patientin aus der Praxis oder ein Kollege dabei, den man kennt. Oder es sitzt plötzlich der eigene Nachbar vor einem, was dann schon ein wenig skurril anmutet. Fast lustig erschien das Gespräch mit einem weißhaarigen Physikprofessor, der schwärmte als gäbe es nichts anderes: „Alles im Leben ist Physik. Es gibt nichts Schöneres.“
Es ist auch wie ein Revival durch das eigene Medizinstudium: Krankheitsbilder aus Vorlesungen, Famulaturen und aus dem PJ ziehen am inneren Auge vorbei. „Klar, das war Innere, Neuro, Derma…“.
Mancher ist auch von weiter her gereist und erzählt Anekdotisches. Wie ein aufgeregter älterer Herr, der Inhaber eines Handwerkerunternehmens war. Ganz stolz sei er, dass er vor vielen Jahren im Hause der Biontech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci Reparaturarbeiten durchgeführt habe. „Und jetzt bekomme ich diesen Impfstoff!“
Mitunter ist es anstrengend, wenn viele Hochbetagte nacheinander kommen und die Stimme langsam versagt. Manche stürzen herein und fragen als erstes: „Welcher Impfstoff?“ Bisher hatte ich keinen Dienst an Tagen, an denen AstraZeneca geimpft wurde. Ich höre nur von längeren Warteschlangen und Kollegen, die über anstrengendere Aufklärungsgespräche berichten. Deshalb wurden nun zusätzliche Arztschichten für diese Tage eingerichtet.
Am Schichtende steht draußen ein Imbisswagen bereit und wir stehen noch corona-konform beieinander. Tauschen uns aus, lernen uns kennen und sprechen über den einen oder anderen Verbesserungsvorschlag. Es könnte alles schneller gehen, hätten wir mehr Impfstoff und weniger Bürokratie.
Wir sind so viele unterschiedliche Kollegen, aber alle ziehen an einem Strang und haben das eine gemeinsame Ziel:
Möglichst viele Menschen in kurzer Zeit zu impfen. Damit diese schreckliche Pandemie bald ein Ende hat.
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