Momentan tagen Politiker der G7-Nationen auf Schloss Elmau im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Sie diskutieren nicht nur über Fragen zur Außen- oder Sicherheitspolitik. Erstmals geht es auch gezielt um Antibiotikaresistenzen und armutsassoziierte Tropenkrankheiten.
Gesundheit ist eine zentrale Voraussetzung für Ausbildung, Arbeit und Wohlstand, schreibt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Grund genug für Politiker, beim G7-Gipfel vernachlässigte, armutsassoziierte Tropenkrankheiten (NTD, neglected tropical diseases) und Antibiotika-Resistenzen auf ihre Agenda zu setzen. Neben Repräsentanten der sieben wichtigsten Industrienationen nehmen Staats- und Regierungschefs aus afrikanischen Ländern und aus dem mittleren Osten an einzelnen Beratungen teil – „am Katzentisch“, wie G7-Gegner anmerken.
Entsprechenden Ländern machen NTD sehr zu schaffen – Jahr für Jahr sterben etwa 500.000 Menschen an diesen Krankheiten. Gemäß der Londoner Deklaration von 2012 sollten häufige Leiden bis 2020 zumindest stark eingedämmt werden. Davon ist die internationale Staatengemeinschaft aber weit entfernt, wie Ebola-Ausbrüche in mehreren afrikanischen Ländern schmerzhaft gezeigt haben. Malaria, HIV, Tuberkulose, Lepra oder Wurmerkrankungen gelten als größte Herausforderung – mit etwa einer Milliarde direkt betroffener und 1,9 Milliarden gefährdeter Menschen. Gemeinsam wollen die G7-Staaten mit der Weltbank, der Weltgesundheitsorganisation WHO, mit internationalen, forschenden Pharmaunternehmen und der Bill & Melinda Gates Foundation Abhilfe schaffen. Allein im Jahr 2013 wurden Medikamente für 1,35 Milliarden Behandlungen gespendet; die meisten davon gegen lymphatische Filariose. NGOs kritisieren den kurzfristigen, wenig nachhaltigen Ansatz – und fordern mehr Hilfe zur Selbsthilfe. Je nach regionalen Gegebenheiten lassen sich Wirkstoffe vor Ort produzieren. Dazu gehört beispielsweise das alte Antiparasitikum Ivermectin. Viele gespendete Präparate erreichen aufgrund logistischer Probleme ihre Empfänger ohnehin nicht. Für Transport und Verteilung wäre jedenfalls ein milliardenschweres Budget erforderlich. Und trotz etlicher Programme werden nicht alle NTD wissenschaftlich untersucht. G7-Kritiker sprechen vom mangelnden Interesse großer Konzerne.
Außer NTD stehen einmal mehr Antibiotikaresistenzen auf der politischen Agenda – mit weltweit zehn Millionen Todesfällen pro Jahr auch rein zahlenmäßig ein schwerwiegendes Thema. Der Versuch, Maßnahmenpakete für Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer zu schnüren, gilt bei Experten als wenig aussichtsreich. Deutschlands Bundesregierung plädiert dafür, entsprechende Substanzen weltweit der Verschreibungspflicht zu unterstellen. Gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern sind Antibiotika noch häufig als OTCs erhältlich. Doch lösen ärztliche Rezepte das Problem? Wohl kaum: Einerseits fehlen in schlecht versorgten Regionen Ärzte. Andererseits zeigen Studien, dass jede dritte Verordnung zumindest als „fragwürdig“ einzustufen ist – in Deutschland, wohlgemerkt. Der Einsatz antibiotischer Substanzen in der Massentierhaltung führt ebenfalls zu Resistenzen. Auch hier löst ein kollektives Verbot, wie es Schwarz-Rot gerne in aller Herren Länder sehen würde, das grundlegende Dilemma nicht. Unser Tisch ist reich gedeckt. Moderne Technologien sind greifbar, aber auch bezahlbar. Entwicklungsländern gelingt es bis heute nicht, Grundnahrungsmittel in ausreichender Menge herzustellen. Verschiedene Hilfseinrichtungen haben deshalb zusammen mit forschenden Herstellern einen Appell an die Gipfelteilnehmer gerichtet. Alle Unterzeichner fordern neben Forschung und Entwicklung auch Unterstützung durch einen globalen Fonds, damit alle Länder von etablierten Maßnahmen der Antibiotikaminimierung profitieren.
Antibiotikaresistenzen oder vernachlässigte, armutsassoziierte Tropenkrankheiten: Einmal mehr befassen sich Spitzenvertreter der einflussreichsten Nationen mit absoluten Mainstream-Themen, die medizinische Realitäten vor Ort nur teilweise abbilden. Bereits heute leiden weltweit 400 Millionen Menschen an Typ-2-Diabetes. Bis 2035 rechnen Experten sogar mit 600 Millionen Betroffenen. Die Stoffwechselkrankheit gilt als eine der weltweit häufigsten Todesursachen. Es geht keinesfalls nur um Industrienationen. Gerade in Schwellenländern und in Regionen mit benachteiligten Bevölkerungsgruppen schnellen die Fallzahlen nach oben. Präventionsangebote sind wirksam, erreichen jedoch nur wenige Bevölkerungsgruppen. Menschen in südamerikanischen Slums ändern ihr Verhalten nicht aufgrund von Flyern, Vorträgen und Websites. Hier helfen nur niedrigschwellige Angebote vor Ort, inklusive bezahlbarer Lebensmittel. Mehr als 70 Prozent aller Diabetesfälle könnten durch entsprechende Maßnahmen vermieden oder zumindest hinausgezögert werden. Von oralen Antidiabetika der neueren Generation profitieren momentan nur zahlungskräftige Patienten aus Europa und Nordamerika. An geltende Standards beim Patentschutz wagen sich G7-Vertreter momentan nicht. Ob vom Gipfel ansonsten Impulse ausgehen werden, ist fraglich.