Deutschlands Hausärzten reißt allmählich der Geduldsfaden. Nur verimpfen, was das Impfzentrum übrig lässt? Inakzeptabel, findet ein Allgemeinmediziner: „Wir sind nur Resteverwerter.“ Währenddessen fallen viele Impfzentren durch Patzer auf.
Rund läuft es wirklich nicht in den Impfzentren Deutschlands, so viel lässt sich zur aktuellen Lage schon mal sagen. „Wir werden derzeit langsamer statt schneller beim Impfen! Der AstraZeneca-Stopp hat uns zusätzlich zurückgeworfen. Spätestens jetzt müssten wir reagieren, 24/7 impfen und Haus- & Fachärzte sofort einbinden. Es liegt zu viel Impfstoff in Kühlschränken“, fordert Gesundheitsexperte und Politiker Janosch Dahmen (Bündnis 90/Die Grünen).
Es scheitert einerseits an fehlendem Impfstoff und an Impfterminabsagen, vielerorts anscheinend aber auch am internen Orga-Chaos. In den sozialen Medien erzählen Menschen, was sie in den Impfzentren erleben.
Die Eindrücke von Impfzentrum-Besuchern sind mal positiv, mal unterirdisch: „Sitze gerade als Arzt im Impfzentrum“, schreibt ein Anästhesist. „Papiere werden vorher ausgefüllt, Aufklärungsgespräch ohne Wartezeit […] Zeit von Ankunft bis Impfung ist sehr kurz.“ Doch auch das absolute Gegenteil kann man nachlesen: „Im Impfzentrum hat die Impfung einer 5-köpfigen Personengruppe insgesamt 1 Stunde und 45 Minuten gedauert. Falls wir uns nochmal fragen, warum wir mit den Impfungen nicht vorankommen“, erzählt ein Anwalt.
Dass die vielen kommunikativen Patzer von und mit AstraZeneca nicht ohne Folgen bleiben, zeigt zum Beispiel die triste Terminsituation in den Berliner Zentren. „Leider passiert, was in einer Pandemie nicht passieren darf. Ohne Ende ungenutzte Impftermine in Berlin für AstraZeneca. Es warten Ärzte mit Impfstoff in leeren Impfzentren. Ohne Code geht nix in Berlin – warum haben den inzwischen nicht ALLE Ü60? Warum Code? Perso würde doch reichen“, lautet ein verzweifelter Post zur aktuellen Lage.
„Im Impfzentrum Berlin-Tegel sind übrigens morgen noch nahezu alle Termine für eine Impfung mit AstraZeneca frei“, bestätigt ein User am Montag Nachmittag. Screenshots der freien Online-Termine findet man noch und nöcher im Netz – Screenshots von überlasteten Terminsystemen aber auch.
„Links: Impfzentrum Arena Berlin (BioNTech/Pfizer) Rechts: Impfzentrum Berlin Tegel (AstraZeneca) DAS KANN NICHT WAHR SEIN!!“, ärgert sich ein Informatiker.
Das hohe Alter der Impflinge scheint ein Faktor zu sein, der in der Organisation häufig nicht ausreichend berücksichtigt wurde. „München. EIN Impfzentrum! Für 1,6 Millionen Münchner. Auf dem Messegelände östlich der Stadt. Für alte Leute ohne Begleitung eine Weltreise“, ärgert sich jemand in einem Post. Das Impfzentrum am ehemaligen Flughafen Tempelhof scheint gut versteckt zu sein. „Falsche Wegbeschreibungen und fehlende Ausschilderungen“ sorgen laut Tagesspiegel dort für Verwirrung. Die Öffnungszeiten sind teilweise nicht nachvollziehbar: „Bin gerade wieder am Impfzentrum vorbeigefahren. Ist geschlossen. Öffnet erst um 14:00. Ein totales Desaster!“, twittert ein User.
Probleme gibt es zu Hauf und zwar in unterschiedlichster Form. So scheint es auch beim Einladungssystem noch Schwierigkeiten zu geben: „Der Mann kommt früher von der Arbeit im Impfzentrum nach Hause, weil sie heute nur ungefähr die Hälfte an Leuten geimpft haben, die sie am Tag impfen könnten“, erzählt eine Userin. Warum? An Impfstoff und Impfwilligen mangele es nicht. „Es sind keine Leute da, weil die noch keine Einladung haben.“ Ein anderer User postet einen Screenshot einer Mail, die ein Impfzentrum an fast 1.500 Menschen geschickt hat mit den Worten „Das Impfzentrum Ennepe Ruhr nimmt es ganz genau mit Datenschutz. 1.500 Mailadressen auf cc.“
Auch Hausärzte äußern sich zunehmend in den sozialen Medien: „Die gute Nachricht: Hausärzte sollen tatsächlich ab 06.04. mit Impfstoff beliefert werden. Die schlechte Nachricht: Wir sind nur die Resteverwerter – das heißt, wir bekommen nur so viel an Impfstoff, wie die Impfzentren übrig lassen. Das ist inakzeptabel“, kritisiert ein Allgemeinmediziner. „Wer schon mal seinen Hund heimlich unter dem Tisch gefüttert hat, weiß, wie wir uns vorkommen. Wir sind Hausärzte, keine Hausschweine.“
Die in Aussicht gestellte Menge von 20 Impfdosen pro Woche hält er für „ein[en] Witz – und außerdem nicht bedarfsgerecht.“ Es werde weder gerecht noch sinnvoll verteilt: „Wir sind eine große Praxis mit knapp 2.500 Patienten pro Quartal. Warum bekommen wir genauso viel Impfstoff wie jemand, der 500 Patienten pro Quartal behandelt? Wir bräuchten mindestens 100 Dosen pro Woche, nur um unsere Priorität 1+2 Patienten innerhalb der nächsten 2 Monate zu versorgen.“
Von einem „kommunale[n] Kirchturmdenken“ hält der Hausarzt nichts. Ein Handeln nach der Devise „Mein Impfzentrum muss versorgt werden!“ sei hier fehl am Platz. Sein Fazit: „Wir als Hausärzte sehen 95 % der COVID-19 Patienten, seit Beginn der Pandemie. Wir sind diejenigen, die seit über einem Jahr die Aufklärungsarbeit für die Politik leisten, weil es immer noch keine vernünftige Infomationskampagne gibt. Wenn wir schon einen Großteil der Last in dieser Pandemie tragen, dann lasst uns auch endlich zur Lösung beitragen.“
Die Idee des Impfzentrums an sich wird mittlerweile von vielen Menschen infrage gestellt. „Wird eigentlich offiziell irgendein Grund genannt, warum es diese Impfzentren überhaupt noch geben muss und nicht gleich aller Stoff an die Hausärzte geht?“, fragt sich ein Biotechniker. „Die Impfzentren waren politische Prestigeprojekte“, argumentiert ein Notarzt. „Es gibt viel, viel mehr Hausärzte als Impfzentren. Der maximal mögliche Durchsatz, wenn wir in den Hausarztpraxen impfen, liegt weit, weit über dem, was die Impfzentren erreichen können.“
So sieht es auch ein Notfallmediziner: „Wir haben eine erprobte und flächenmäßig gut ausgebaute Impf-Infrastruktur, aber wenn sie gebraucht wird, weil wir schnell viele impfen müssen, verzichten wir drauf. Reminder: Impfzentren wurden gebaut, weil Comirnaty -70°C braucht, nicht weil Hausärzte zu blöd zum Impfen sind.“
Ein weiterer wesentlicher Faktor in der Diskussion: Das Vertrauen in den Hausarzt dürfte bei vielen Menschen höher sein als das in die Impfzentren, wie aus einigen Berichten hervorgeht. „Meine Eltern sind fast 80, Risikogruppe und impfberechtigt“, erzählt ein User. „Ich habe ihnen angeboten, die Impfung im Impfzentrum zu organisieren. Das lehnen sie ab. Wollen den Stress nicht. Sie hoffen auf die baldige Impfung bei ihrem Hausarzt (des Vertrauens).“
Ähnliche Erfahrungen macht eine Landärztin. In ihre Praxis kommen ältere Patienten und sagen „‚Frau Doktor, aber bis zum Impfzentrum, wie soll ich das schaffen? Ich warte lieber, bis Sie hier impfen“. Täglich führt sie dazu Gespräche: „Zig mal muss ich sagen, ich weiß nicht, ob und wann. Bitte verlieren Sie keine Zeit, melden Sie sich an, melden Sie sich, wenn Sie Hilfe brauchen.“
Doch es gibt auch kreative Lösungsansätze, die eine friedliche Co-Existenz oder gar Zusammenarbeit von Hausärzten und Impfzentren ermöglichen. „Habe heute einige Zeit verbracht, aus meiner Praxis-Software die Risiko-Patienten zu filtern“, erzählt eine Hausarzt-Famulantin. „Nach Impfung bisher noch nicht im Impfzentrum vorstellig gewordenen Hausbesuch-Patienten (‚Herr Doktor, ich warte, dass Sie das machen‘ – JEDEN Tag!) machen wir das wie folgt“, erklärt sie ihr momentanes Vorgehen:
Der Ablauf sieht so aus: „Die Patienten werden dann mit einem sogenannten ‚Pizza-Pieper‘ (wie in Kantinen oder manchen Restaurants) aufs Ende der Beobachtungszeit hingewiesen und melden sich am Empfang. Überwachung zwischendurch intervallartig durch Rundgang. Wir werden das mit weit weniger Mitarbeitern machen, als das in den Impfzentren notwendig ist: Parkplatz, Registratur, Impfstraßen, Nachbeobachtung, Dispo, Lager, Leitung usw. Wir sind effizienter, aber die Impfzentren braucht es trotzdem! Alle Impfstellen hoch-willkommen!“
Bildquelle: Gilles San Martin, flickr