Könnte die Impfung gegen COVID-19 bei adipösen Menschen weniger wirksam sein? Erste Studiendaten legen das nun nahe.
Ein italienisches Forschungsteam verglich die Antikörperreaktion bei 248 in Gesundheitsberufen tätigen Menschen. Sieben Tage nach der zweiten Dosis des Impfstoffs von Biontech/Pfizer zeigten sich dabei deutliche Unterschiede in der Immunantwort zwischen adipösen und normalgewichtigen Probanden. Die Ergebnisse der italienischen Studie sind bislang noch nicht begutachtet worden und vorerst nur als Preprint erschienen.
„Inwieweit Übergewicht und Adipositas die Wirksamkeit des COVID-19 Impfstoffes beeinflussen oder gar reduzieren, ist vergleichsweise noch unzureichend untersucht“, sagt Wiebke Fenske. Die Professorin leitet die Sektion für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechselmedizin am Universitätsklinikum Bonn. Aus der Erfahrung mit Impfungen gegen Hepatitis B oder auch Tollwut wisse man zwar, dass adipöse Patientinnen und Patienten eine verminderte Antikörperantwort erzielten. „Doch hieraus sollten keine voreiligen Rückschlüsse auf die Situation bei COVID-19 gezogen werden.“
Dass Adipositas das Risiko erhöht, einen schweren Verlauf bei COVID-19 zu entwickeln, ist hingegen inzwischen recht gut belegt. Mehrere Meta-Analysen zeigen, dass adipöse COVID-19-Patienten häufiger im Krankenhaus behandelt und auch häufiger auf die Intensivstation verlegt werden müssen. Das Risiko, zu versterben, ist ebenfalls deutlich erhöht.
Zunächst zeigen diese Beobachtungen zwar nur Zusammenhänge. Doch mehrere plausible Erklärungsansätze werden bereits unter Expertinnen und Experten diskutiert. Eine besondere Rolle könnte dabei die Hyperkoagulabilität und die Neigung zu thromboembolischen Ereignissen bei Adipösen spielen [siehe auch hier und hier]. Im Verlauf einer COVID-19-Erkrankung kommt es häufig zu thrombotischen Komplikationen. Die Prädisposition adipöser Menschen für solche Ereignisse könnte dazu beitragen, dass sie häufiger solche Komplikationen entwickeln.
Auch das vermehrte Fettgewebe Adipöser könnte den Krankheitsverlauf beeinflussen. SARS-CoV-2 nutzt ACE2-Rezeptoren, um in die Wirtszelle einzudringen. Im Fettgewebe ist die Dichte dieser Rezeptoren höher als im Lungengewebe. Fettgewebe könnte so als Virusreservoir dienen und die systemische Entzündungsreaktion verstärken.
Ob Adipositas jedoch auch generell die Empfänglichkeit für eine COVID-19-Infektion erhöht, ist bislang noch unklar. Eine Kausalität zwischen Adipositas und der Infektionsanfälligkeit für COVID-19 nachzuweisen, ist mit Beobachtungsstudien jedoch auch nicht möglich.
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, Professor Jakob Linseisen, entwarf mit seinem Forschungsteam daher eine Studie, in der mithilfe einer als Mendelsche Randomisierung bezeichneten Biostatistik-Methode ein Kausalzusammenhang geprüft wurde. Wie Linseisen in einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Metabolism Clinical and Experimental beschreibt, geben die Daten einen starken Anhalt dafür, dass Adipositas einen kausalen Einfluss auf die Empfänglichkeit für COVID-19 und die Krankheitsschwere hat.
Umso wichtiger wäre ein effizienter Schutz adipöser Menschen durch Impfungen. Auch wenn die Datenlage hier noch unzureichend sei, „besteht Grund zur Annahme, dass Adipositas die körpereigene Immunreaktion auf krankheitsverursachende Erreger, und potenziell eben auch die Reaktion auf virales Genmaterial in Impfstoffen, abzuschwächen vermag“, sagt Wiebke Fenske.
Dies könnte damit zusammenhängen, dass Entzündungsprozesse, die zunächst im erhöhten Fettdepot entstehen, eine chronische, geringschwellige Entzündungsreaktion im Körper auslösen, die sogenannte Metaflammation. Diese führe zu einer reduzierten Funktion der zirkulierenden Immunzellen. „Es ist denkbar - jedoch derzeit rein spekulativ - dass diese geringe, doch konstante Immunstimulation dazu beiträgt, dass die körpereigene humorale Immunantwort auf Krankheitserreger bei Adipositas vergleichsweise abgeschwächt ausfällt“, so Fenske.
Von einer veränderten Impftechnik bei Adipösen, im Sinne anderer Injektionsnadeln oder Applikationswegen, sei hingegen keine Verbesserung der Impfreaktion zu erwarten. „Umso wichtiger ist die Früherkennung einer COVID-19-Infektion bei adipösen Patientinnen und Patienten, um unmittelbar nach der Diagnose mit entsprechenden Maßnahmen beginnen zu können“, gibt die Endokrinologin zu Bedenken.
Bildquelle: i yunmai, unsplash