Was passiert, wenn zwei verschiedene Virusvarianten in einem Infizierten aufeinandertreffen? Erste Corona-Fälle dieser Art sind bereits bekannt. Wie Rekombination funktioniert, lest ihr hier.
In Brasilien berichteten Wissenschaftler kürzlich über zwei Personen, die gleichzeitig mit zwei verschiedenen Coronavirus-Varianten infiziert waren. Auch aus Großbritannien gibt es entsprechende Berichte. Zwar scheint sich die Ko-Infektion nicht auf die Schwere der Erkrankung ausgewirkt zu haben. Dennoch werfen diese Fälle einige interessante Fragen auf: Was passiert, wenn zwei verschiedenen Virusvarianten in einem Infizierten aufeinandertreffen und was bedeutet das für die Entstehung neuer Varianten?
Normalerweise gelten RNA-Viren als besonders mutationsfreudig. Das liegt daran, dass bei jeder Virus-Replikation Fehler passieren, die nicht korrigiert werden können. Doch die Mutationsrate von SARS-CoV-2 ist relativ gering im Vergleich zu anderen RNA-Viren. Das liegt daran, dass Coronaviren mit der RNA-abhängigen RNA-Polymerase über einen eingebauten Kontrollmechanismus verfügen, der einige dieser Fehler ausmerzen kann. Dieser funktioniert natürlich nicht perfekt, sodass sich ab und zu trotzdem Fehler in das virale Genom einschleichen.
Die meisten solcher Mutationen haben keine Auswirkungen auf die Eigenschaften des Virus. Dennoch können sich einige Mutationen unter bestimmtem Selektionsdruck, wie z.B. unserem Immunsystem, als vorteilhaft erweisen. So entstehen ständig neue SARS-CoV-2-Varianten, einige setzen sich durch und verdrängen andere Varianten – so wie die Variante B.1.1.7, die auch bald hierzulande vorherrscht.
In den Fallberichten aus Brasilien deuten Sequenzanalysen darauf hin, dass die Personen tatsächlich gleichzeitig mit zwei verschiedenen Varianten infiziert waren, denn es handelte sich um zwei verschiedene Abstammungslinien. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die eine Variante durch Mutationen der anderen Variante innerhalb des Infizierten entstanden ist. Das scheint aber nicht der Fall gewesen zu sein.
Die Sorge von Wissenschaftlern ist, dass so eine Ko-Infektion in viel größeren Veränderungen des varialen Genoms resultiert als es durch eine Infektion mit nur einer Variante der Fall sein würde. Denn dann passiert folgendes: Die Viren können per Rekombination große Stücke ihres Genoms untereinander austauschen, wenn sie die gleiche Zelle infizieren. Dieses Phänomen ist bei RNA-Viren schon bekannt.
Bei Influenzaviren nennt man das Phänomen Reassortment und es trägt zur Entstehung neuer Influenza-Varianten bei. Das Genom dieser Viren ist – anders als bei Coronaviren – in acht Segmente unterteilt. Wenn zwei Influenzaviren dieselbe Zelle infizieren, vermischen sich diese Segmente, um Viren mit einer neuen Kombination von Genen zu erzeugen. Durch Reassortment entstand auch das humanpathogene H1N1-Pandemievirus von 2009: In Schweinen vermischten sich die viralen Segmente eines Vogel- und zweier Schweine-Influenzaviren.
Über einen ähnlichen Mechanismus ist vermutlich auch SARS-CoV-2 entstanden, auch wenn das Genom von Coronaviren nicht segmentiert ist, sondern das gesamte Genom in einem einzigen RNA-Strang vorliegt. Hier kann also kein Austausch ganzer Segmente stattfinden. Tatsächlich wird angenommen, dass die Fähigkeit von SARS-CoV-2, menschliche Zellen zu infizieren, durch Rekombination des Spike-Proteins zwischen eng verwandten tierischen Coronaviren entstanden ist.
Bislang scheinen Ko-Infektionen mit verschiedenen Coronavarianten selten zu sein. Das ist vermutlich auch dem Umstand geschuldet, dass sich weltweit nur wenige Varianten durchsetzen. So werden Ko-Infektionen weniger wahrscheinlich. Dennoch ermöglicht die Überwachung, das Auftauchen neuer Varianten zu verfolgen und auf veränderte Übertragungen zu reagieren.
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