Ist COVID-19 ein Risikofaktor für die Entstehung von rheumatoider Arthritis? Den Verdacht gibt es schon länger. Der Fall eines 67-jährigen Mannes liefert neue Erkenntnisse und Bilder.
Bei COVID-19 ähneln die zentralen Zytokine, die schwere Erkrankungen der Lunge hervorrufen, denen, auf die normalerweise Medikamente zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis abzielen. Diese Ähnlichkeit hat zu dem Verdacht geführt, dass COVID-19 ein Risikofaktor für die Entstehung rheumatoider Arthritis sein könnte. Der Fall eines Mannes liefert jetzt neue Einsichten: Wenige Wochen nach seiner COVID-19-Erkrankung entwickelt er eine rheumatoide Arthritis. Zuvor wurde im The Lancet Rheumatology über den Fall berichtet.
Am 20. Februar 2020 nimmt der Patient, ein 67-jähriger Nichtraucher, an einer routinemäßigen klinischen Untersuchung in einem medizinischen Zentrum für Gelenkerkrankungen in Shymkent (Kasachstan) teil. Er beklagt sich nicht über Gelenkschmerzen oder Schwellungen, die als Routineuntersuchung angeforderten RF-Tests sind negativ.
Am 26. Mai 2020 entwickelt er Fieber, Anosmie, Atemnot und Schwäche: Röntgenaufnahmen des Brustkorbs zeigen eine bilaterale interstitielle Pneumonie, bei einer Sauerstoffsättigung von 83 Prozent. Eine Real-Time PCR bringt schließlich Klarheit: Der Patient wird positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Am 1. Juni 2020 wird er in ein provisorisches COVID-19-Krankenhaus eingeliefert. Nach 7 Tagen Behandlung mit Ceftriaxon (1 g pro Tag für 4 Tage), Azithromycin (0,5 g pro Tag für 4 Tage) und nichtsteroidalen Antiphlogistika (Ibuprofen) wird der Patient aus dem Krankenhaus entlassen.
Drei Wochen später ändert sich sein Zustand. Er entwickelt eine morgendliche Steifheit (> 30 min) und eine symmetrische Polyarthritis der Knie und Hände. Tests zeigen einen DAS28-CRP (Disease Activity Score von 28 Gelenken mit C-reaktivem Protein) von 7,35. Außerdem wird bei ihm eine hohe RF-Konzentration (411 I.E./ml, Normalbereich <18 I.E./ml), eine hohe Erythrozytensedimentationsrate (59 mm/h) und eine erhöhte CRP-Konzentration (55 mg/l, Normalbereich <5 mg/l) nachgewiesen – aber die ACPA-Konzentration bleibt niedrig (19,2 U/ml, Normalbereich <20 U/ml). Ein serologischer Test zum Nachweis der COVID-19-Antikörper zeigt positive Ergebnisse für IgG und IgA. Symmetrische Polyarthritis der Hände (Abb. Handinnenfläche). Quelle: The Lancet Rheumatology
Nach einem Monat ist die Erythrozytensedimentationsrate des Patienten mit 28 mm/h deutlich gesenkt. Die CRP-Konzentration hat sich zwar verringert, bleibt aber erhöht (18 mg/l) mit einem niedrigen DAS28-CRP von 2,8.
Eine Brust-CT zeigt Restzeichen einer polysegmentalen Pneumonie im Auflösungsstadium, einer chronischen Bronchitis und eines Emphysems. Quelle: The Lancet Rheumatology
Eine Röntgenaufnahme zeigt keine parenchymalen Läsionen. Allerdings bringt eine Brust-CT Restzeichen einer polysegmentalen Pneumonie im Auflösungsstadium, einer chronischen Bronchitis und eines Emphysems zum Vorschein. Ein serologischer SARS-CoV-2-Antikörpertest ist negativ für IgA, aber positiv für IgG. Die ACPA-Konzentration hat sich im Vergleich zur letzten Untersuchung erhöht und liegt mit 104 U/ml nun in einem hohen Bereich.
Im Oktober 2020 wird der Patient noch mit Methotrexat und Methylprednisolon behandelt, befindet sich aber in Remission (DAS28-CRP 2,2) und kann zur Arbeit zurückkehren.
Es ist unklar, ob die persistierende SARS-CoV-2-Infektion bei diesem Patienten ein möglicher Faktor für das Auftreten der Arthritis war. Darüber hinaus war die Reaktion auf Methotrexat und Kortikosteroide zufriedenstellend, mit einer Remission der Gelenkerkrankung, als der Patient noch positiv auf IgG- und IgA-Anti-SARS-CoV-2-Antikörper war.
Fazit der Autoren: Dieser Fall könne darauf hindeuten, dass SARS-CoV-2 an der Auslösung von RF-positiver und ACPA-positiver Arthritis beteiligt war. Dennoch sei nicht auszuschließen, dass der Beginn der Arthritis möglicherweise zufällig war. Frühere Berichte über das Vorhandensein von Autoantikörpern nach einer SARS-CoV-2-Infektion wiesen jedoch darauf hin, dass das Virus möglicherweise auch als Auslöser für Arthritis oder andere Autoimmunerkrankungen fungieren könne. Für eine definitive Antwort auf diese Fragen sei es im Moment noch zu früh – es sei jedoch davon auszugehen, dass die Langzeitbeobachtung von COVID-19-Patienten in Zukunft mehr Klarheit über einen möglichen Zusammenhang bringen werde.
Den Fallbericht haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Lucas van Oort, Unsplash