Eine Gruppe von Wissenschaftlern geht davon aus, dass SARS-CoV-2 direkt von der Feldermaus auf den Menschen überging. Sie haben eine Hypothese dazu, warum das Virus so schnell mutierte und warnen vor schleppendem Impfen.
Wie sehr musste sich SARS-CoV-2 verändern, um sich an uns Menschen als Wirte anzupassen? In einem Artikel, der in PLOS Biology veröffentlicht wurde, zeigen Oscar MacLean von der Universität Glasgow und seine Kollegen, dass seit Dezember 2019 und für die ersten 11 Monate der SARS-CoV-2-Pandemie nur sehr wenige wichtige genetische Veränderungen in den Hunderttausenden sequenzierten Virusgenomen beobachtet wurden.
Die Studie ist eine Zusammenarbeit zwischen Forschern in Großbritannien, den USA und Belgien. Die Hauptautoren Prof. David L. Robertson (MRC-University of Glasgow Centre for Virus Research, Schottland) und Prof. Sergei Pond (Institute for Genomics and Evolutionary Medicine, Temple University, Philadelphia) konnten ihre Erfahrungen mit der Analyse von Daten zu HIV und anderen Viren auf SARS-CoV-2 übertragen. Ponds hochmodernes Analyseverfahren HyPhy war maßgeblich daran beteiligt, die in den Virusgenomen eingebetteten Signaturen der Evolution herauszuarbeiten und beruht auf jahrzehntelangem theoretischem Wissen über molekulare Evolutionsprozesse.
Erstautor MacLean erklärt: „Das bedeutet nicht, dass keine Veränderungen stattgefunden haben, Mutationen ohne evolutionäre Bedeutung sammeln sich an und ‚laufen’ entlang der Millionen von Übertragungsereignissen ‚mit’, wie sie es bei allen Viren tun.“ Einige Veränderungen können durchaus einen Effekt haben, wie zum Beispiel der Spike-Ersatz D614G, von dem man herausgefunden hat, dass er die Übertragbarkeit verbessert. Im Großen und Ganzen haben jedoch neutrale evolutionäre Prozesse dominiert.
MacLean fügt hinzu, dass diese Stagnation auf die hohe Anfälligkeit der menschlichen Bevölkerung für diesen neuen Erreger zurückgeführt werden könne. Der Druck durch die Immunität der Bevölkerung sei begrenzt und die fehlende Eindämmung habe zu einem exponentiellen Wachstum geführt, das fast jedes Virus zu einem Gewinner mache.
Biologe Pond kommentiert: „Was so überraschend war, ist, wie übertragbar SARS-CoV-2 von Anfang an gewesen ist. Normalerweise brauchen Viren, die auf eine neue Wirtsspezies überspringen, einige Zeit, um Anpassungen zu erwerben, damit sie sich so gut ausbreiten können wie SARS-CoV-2. Die meisten schaffen es nie über dieses Stadium hinaus, was dann zu einem Auslaufen wie in einer Sackgasse oder höchstens zu lokal begrenzten Ausbrüchen führt.“
Bei der Untersuchung der Mutationsprozesse von SARS-CoV-2 und verwandten Sarbecoviren (die Gruppe der Viren, zu der SARS-CoV-2 gehört, die von Fledermäusen und Schuppentieren übertragen werden), fanden die Autoren Hinweise auf ziemlich signifikante Veränderungen – aber alle waren vor dem Auftreten von SARS-CoV-2 beim Menschen aufgetreten. Das bedeutet, dass sich die Fähigkeit des Virus, zwischen Wirten zu springen und damit Menschen und andere Säugetiere zu infizieren, höchstwahrscheinlich bereits in Fledermäusen entwickelte, bevor SARS-CoV-2 auf den Menschen übergesprungen ist.
„Interessanterweise hat eines der näheren Fledermausviren, RmYN02, eine faszinierende Genomstruktur, die sowohl aus SARS-CoV-2-ähnlichen als auch aus Fledermausvirus-ähnlichen Segmenten besteht. Sein genetisches Material trägt beide unterschiedlichen Signaturen (die mit der Wirkung der antiviralen Immunität des Wirts in Verbindung gebracht werden), was dafür spricht, dass dieser Wechsel des evolutionären Tempos in Fledermäusen stattgefunden hat, ohne dass eine dazwischenliegende Tierart notwendig war“, ergänzt der beteiligte Dktorand Spyros Lytras.
Der Grund für den Gangwechsel von SARS-CoV-2 in Bezug auf seine erhöhte Evolutionsrate Ende 2020, die mit stärker mutierten Varianten verbunden war, sei, dass sich das immunologische Profil der menschlichen Bevölkerung verändert habe, so Robertson. Das Virus geriet gegen Ende 2020 zunehmend in Kontakt mit einer bestehenden Wirtsimmunität, da die Zahl schon einmal infizierter Menschen zunahm. „Dadurch werden Varianten selektiert, die einem Teil der Wirtsantwort ausweichen können. Zusammen mit der Umgehung der Immunität bei längerfristigen Infektionen in chronischen Fällen (z. B. bei immungeschwächten Patienten) erhöht dieser neue Selektionsdruck die Anzahl wichtiger Virusmutanten.“
Man müsse sich klarmachen, dass SARS-CoV-2, obwohl es die Welt derzeit in Atem hält, immer noch ein akutes Virus sei, das in der überwiegenden Mehrheit der Infektionen von der menschlichen Immunantwort beseitigt werden könne, so die Autoren. Allerdings entferne es sich immer schneller von der ursprünglichen Variante vom Januar 2020, die bei der Entwicklung der aktuellen Impfstoffe verwendet wurde.
Die Impfungen würden weiterhin gegen die meisten der zirkulierenden Varianten wirken. Aber je mehr Zeit vergehe und je größer der Unterschied zwischen geimpften und nicht geimpften Personen sei, desto größer würde die Wahrscheinlichkeit für sogenannte Vaccine-Escape-Mutanten. Robertson fügt hinzu: „Das erste Rennen bestand darin, einen Impfstoff zu entwickeln. Der Wettlauf besteht jetzt darin, die Weltbevölkerung so schnell wie möglich zu impfen.“
Den Artikel haben wir euch hier und auch im Text verlinkt.
Bildquelle: Karolina Grabowska, Pexels