MEINUNG | Lange blieben die Praxen leer. Jetzt bringt der März Aussichten auf ein gutes Geschäft für Hausärzte: Tobende Mutanten treffen auf eine unbekümmerte Bevölkerung.
Erinnert ihr euch noch an Tony, den gerissenen Mafiaboss aus der Serie Die Sopranos? Stellen wir uns vor, Tony wäre Ärzt. Als Mann mit untrüglichem Sinn für Geschäfte würde er sich im März 2021 die Hände reiben. Denn genau jetzt zeigt sich die Aussicht auf ein großes Ding. Als Allgemeinmediziner muss ich sagen: Diese Aussicht tut gut. Gerade im Moment. Denn das letzte Jahr ist nicht gut gelaufen und das aktuelle läuft bisher auch nicht gut.
Die Praxen waren in diesem Quartal wieder leer. Das 1. Quartal sollte unser stärkstes sein. Aber was haben wir gesehen? Durch den Halblockdown erreichten wir nur, dass die normalen Erkältungswellen, die Grippe nach Karneval, die exazerbierten COPDs, nicht kamen. Und die Chroniker sich nicht trauten zu kommen, und wir nicht wagten, sie einzubestellen. Nein, auch dieses Quartal wird kein Geschäft.
Aber die Zeiten ändern sich, den Ministerpräsidenten sei Dank. Es ist Pandemie, die dritte Welle läuft an und die Schulen öffnen wieder. Lange Schlangen zeigen sich vor den Friseur-Läden, eng an eng die Menschen, mit oder ohne Maske, egal.
Ein Lichtstreifen am Horizont erscheint. Tony sieht steigende Zahlen vor sich, tobende, entfesselte Mutanten treffen auf eine unbekümmerte Bevölkerung. Dass Schnelltests dagegen etwas erreichen, glaubt wahrscheinlich nicht einmal der Gesundheitsminister selber. Die Patienten werden strömen und wir Ärzte werden endlich wieder unserer Arbeit nachgehen können.
Da würde Tony Soprano sagen: Good for business. Es wird auch Zeit. Die Taschen sind leer. Kürzlich hörte ich im Deutschlandfunk einen Gastronomen, der die verzögerten Zahlungen des Wirtschaftsministeriums anmahnte. Dann erklärte er, wenn die Zahlungen kämen, dann würde er mit einer schwarzen Null nach Hause gehen. What? Eine schwarze Null und dafür nicht einmal arbeiten müssen? Ich hoffe, ich habe das falsch verstanden. Denn welche Arztpraxis machte kein Minus im letzten Jahr? Und dafür haben wir geschuftet wie nie.
Aber nun ist die Aussicht ja bestens. Die Impfung kann natürlich ein Spielverderber sein. Aber auch hier sieht Tony die Möglichkeit, einiges mitzunehmen. Denn die Ärzte können impfen. Wir haben das Know-how und die Räume und das Personal. Den Draht zu den Patienten. Die Patienten vertrauen uns. Wir werden schnell und viel impfen.
Und dabei können wir den Karren aus dem Dreck ziehen. Das wird aber nicht billig. Eine Impfung im Impfzentrum kostet wohl 120 Euro aufwärts, wie man hört. Das Geld ging bisher nur an einige wenige von uns. Wahrscheinlich die mit den guten Verbindungen, den engsten Mitgliedern unserer Gesellschaft. Man hilft sich halt, wenn Geld verdient wird. Es ist aber immer noch genug für alle da. Deswegen werden sicherlich alle anderen auch noch bedacht.
Wir machen es auch für weniger, aber nicht für viel weniger. 100 Euro pro Impfung müssten es eigentlich schon sein. Dafür werden wir die Alten und Kranken zu Hause besuchen, die Sorgen der Bevölkerung zerstreuen. Tony würde es garantieren, wir bringen die Impfung an jeden, der bei drei nicht verschwunden ist. Und das werden wir gerne machen.
It's just business.
Nein, wir nutzen die Situation nicht aus. Machen wir uns nichts vor: Es ist unser Job, von der Krankheit zu leben. Tony hätte kein schlechtes Gewissen. Er würde sagen, wir nehmen nur das, was uns zusteht. Sicher, er hat auch ein Herz für seine alten Verwandten und Freunde, die auf der Strecke bleiben werden. Aber er wüsste genau, für das Geschäft muss man das ein oder andere Zugeständnis machen. Und wird uns nicht gerade die Verantwortung sogar abgenommen? Also auf in bessere Zeiten!
Bildquelle: Diana Polekhina, unsplash