Ohne Geldspritzen wird jedes achte Klinikum bis 2020 vom Markt verschwinden. Besonders oft schreiben staatliche Einrichtungen rote Zahlen, während private Träger relativ solide aufgestellt sind. Kommt es in den nächsten Jahren zur längst überfälligen Marktbereinigung?
Beim letzten Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit sorgten Zahlen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) für rege Diskussionen. Bis 2020 werden etwa 16 Prozent aller Krankenhäuser von der Insolvenz bedroht sein – vor allem in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen und Niedersachsen. Einrichtungen in den neuen Bundesländern stehen mittlerweile gefestigt im Markt. Ohne entsprechende Gegenmaßnahmen verschwindet bundesweit jedes vierte öffentliche Krankenhaus vom Markt. Nur jeder 30. privaten Einrichtung droht das Aus. Als Basis der Untersuchung dienten 750 Jahresabschlüsse. Wie kommt es zu dieser Entwicklung – und sind öffentliche Kliniken heute noch erforderlich?
Professor Heinz Lohmann, wissenschaftlicher Leiter des Fachkongresses Krankenhaus Klinik Rehabilitation, nennt beim Hauptstadtkongress mögliche Gründe: „Den Unterschied machen nicht die Ärzte, die Krankenpflegekräfte oder die Manager aus, sondern die Gesellschafter.“ Lohmann bezeichnet öffentliche Träger dabei als „lausige Gesellschafter“. Ihrer Verpflichtung kämen sie nur ansatzweise nach, vor allem bei ökonomischen Fragen. Der jährliche Finanzierungsbedarf liege bei 5,3 Milliarden Euro, erklärt Dr. Sebastian Krolop, Coautor der RWI-Studie. Von den Bundesländern kämen aber nur 2,7 Milliarden Euro. Das Fazit: ein Investitionsstau von mindestens zwölf Milliarden Euro.
Ändert sich an dieser Situation nichts, wird so manches Haus für immer seine Pforten schließen. Dr. Boris Augurzky, Forscher am RWI, sieht vor allem Marktaustritte und Steigerungen der Produktivität als logische Konsequenzen. Sein Institut hat simuliert, dass 205 kleinere, meist öffentliche Einrichtungen in den nächsten Jahren schließen, also zehn Prozent aller Einrichtungen. Dabei soll es zu keiner Verschlechterung der Versorgung kommen. Mit derartigen Maßnahmen ließen sich 700 Millionen Euro pro Jahr eingespart werden, so Augurzky. Er bringt einen Strukturfonds aus Bundesmitteln in das Gespräch, der – ähnlich einer „Bad Bank“, die faule Klinken aufkauft und konsolidiert, sollte es keine andere Perspektive mehr geben. Dafür seien anfangs etwa 2,7 Milliarden Euro erforderlich. Dem gegenüber stünden Erlöse über den Handel mit Case Mix-Punkten. Öffentliche Häuser – ein überflüssiges Relikt früherer Tage, reif für die Konsolidierung? Ganz so einfach ist die Sache nicht.
Private Konzerne haben vor allem einen Fokus: die Gewinnoptimierung. Mediziner sind mehr als skeptisch. So zeigte eine Befragung der Unternehmensberatung Rochus Mummert klare Tendenzen bei angehenden Chefärzten. Für sie sind Kliniken öffentlicher Träger mit Abstand die attraktivsten Arbeitgeber, gefolgt von freigemeinnützigen und konfessionellen Krankenhäusern. Privatwirtschaftlich orientierte Kliniken haben den schlechtesten Ruf, vor allem aufgrund ihrer stark wirtschaftlichen Orientierung. Ärzte befürchten, einen Arbeitsalltag zu erleben, der stark von Profitgedanken geprägt ist. Sie sehen soziale Kompetenzen, die als wichtiges Kriterium der Arbeitgeberattraktivität gelten, vor allem bei konfessionellen Einrichtungen, frei-gemeinnützigen oder öffentlichen Trägern. Privatwirtschaftliche Kliniken erreichen auf der Sozialkompetenz-Skala deutlich niedrigere Werte.
Wer hier ausschließlich den ärztlichen Bereich betrachtet, übersieht einen zentralen Aspekt: Deutschland bekennt sich im Grundgesetz unter anderem zum Sozialstaat als unabänderlichem Wert. Zur Daseinsvorsorge gehören im weitesten Sinne auch Krankenhäuser. Über Jahre hinweg hat sich in diesem Bereich eine Vielfalt an Trägern bewährt: Einrichtungen der öffentlichen Hand orientieren sich stark an gesundheitspolitischen Erwägungen, während bei „Tendenzbetrieben“ weltanschauliche Erwägungen im Mittelpunkt stehen. Und nicht zuletzt versuchen private Einrichtungen, möglichst hohe Renditen zu erwirtschaften. Dieses Gleichgewicht gerät mehr und mehr aus dem Ruder, sollten private Träger die Oberhand gewinnen. Ökonomische Argumente führen in die Sackgasse, wie Lehren aus der Vergangenheit zeigen. Um mehr Wettbewerb zu schaffen, wurden Strommärkte liberalisiert. Genau das Gegenteil ist eingetreten – heute beherrschen wenige Konzerne den Markt. Ähnliche Effekte könnten über kurz oder lang bei Kliniken wiederholen. Um diesen Trend zu stoppen, müsste Vater Staat allerdings das Management seiner Krankenhäuser deutlich verbessern. Solange Parteibücher über die Vergabe von Klinikpositionen entscheiden, wird sich der Privatisierungszug nicht aufhalten lassen.