Ärzte des Deutschen Herzzentrums Berlin halfen einem herzkranken Jugendlichen mit einer ungewöhnlichen Maßnahme. Dabei stießen sie auf eine spannende wissenschaftliche Spur.
Niklas P. kommt 2005 mit mehreren Herzfehlern zur Welt. Unter anderem ist die Aortenklappe fehlgebildet und hochgradig verengt. Die Ärzt*innen können sie mit einem Ballonkatheter vorsichtig dehnen und damit sein Leben retten. Niklas wächst zunächst weitgehend normal auf, spielt Fußball im Verein und gehört im Sportunterricht zu den Besten.
Doch im Alter von etwa elf Jahren zeigt sich: Niklas‘ Aortenklappe hat sich wieder etwas verengt. Zudem ist Klappe undicht: Bei jedem Herzschlag schießt ein Teil des sauerstoffreichen Blutes zurück in die Herzkammer, was einen Rückstau des Blutes in die Lungenvenen und damit einen bedrohlichen Lungenhochdruck bewirkt.
Und schließlich wird auch eine linksventrikuläre non-compaction Kardiomyopathie (LVNC) diagnostiziert. Niklas' Zustand verschlechtert sich stetig. Eine herzchirurgische Korrektur der erkrankten Aortenklappe kommt für die Ärzt*innen der behandelnden Fachklinik nicht in Frage – das OP-Risiko ist wegen des geschädigten Herzmuskels zu hoch. Die einzige Chance für Niklas scheint die Herztransplantation zu sein. Vorher soll der Patient an ein Kunstherz angeschlossen werden, um den Lungenhochdruck langsam zu senken.
Im August 2018 stellt der Patient sich im Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB) vor. Auch dort sehen die Ärzt*innen in Niklas' undichter Aortenklappe das drängendste Problem. Ihre Annahme: Wenn sie den Herz-Lungen-Kreislauf durch die Beseitigung dieser Engstelle entlasten könnten, könnte die Behandlung der Herzmuskelschwäche – notfalls durch Transplantation – noch aufgeschoben werden.
Zwar erscheint auch den Berliner Spezialist*innen eine OP am offenen Herzen als zu riskant. Doch sie sehen eine weitere Möglichkeit für Niklas: Eine TAVI. Insbesondere wegen fehlender wissenschaftlich gesicherter Langzeit-Erkenntnisse werden TAVI-Prozeduren aber nur empfohlen, wenn ein erhöhtes Risiko für die etablierte OP zum Aortenklappenersatz besteht und sich die Patient*innen im höheren Alter (in der Regel 75 Jahre oder älter) befinden. Um die TAVI-Klappe sicher verankern zu können, sollte die erkrankte Klappe altersbedingte Verkalkungen aufweisen.
Noch nie wurde nach Wissen der Berliner Ärzt*innen eine TAVI bei einem Patienten mit Niklas' komplexen Krankheitsbild vorgenommen. Dennoch sehen sie in diesem speziellen Fall Erfolgsaussichten und entscheiden sich für den Versuch.
Im November 2018 beginnt das Team unter Leitung von Oberarzt Dr. Axel Unbehaun mit dem Eingriff. Er gelingt problemlos. Die neue Klappe sitzt exakt, fest und schließt vollständig. Sowohl der Rückstoß des Blutes in die linke Herzkammer als auch die Engstelle als Ursache für den Lungenhochdruck sind damit beseitigt. Bereits vier Tage später kann Niklas aus dem DHZB entlassen werden. Er erholt sich schnell und umfassend, nimmt schon im Sommer 2019 wieder am Schulsport teil.
Eine Listung zur Herz- oder gar zur Herz-Lungen-Transplantation ist nicht mehr angezeigt. Denn auch die Schwäche des Herzmuskels im Bereich der linken Herzkammer hat sich deutlich gebessert – obwohl die TAVI daran unmittelbar nichts geändert hat.
Wie die Berliner Ärzte jetzt in einem Artikel berichten, legt das die Vermutung nahe, dass der ständige Rückstrahl des Blutes aus der undichten Aortenklappe gegen die Wand der Herzkammer die eigentliche Ursache für die schwammartige Umbildung des Herzmuskels sein könnte.
„Das hieße im günstigsten Fall, dass sich der Herzmuskel dauerhaft erholen oder zumindest lebenslang so gut funktionieren könnte, dass Niklas nie für eine Transplantation gelistet werden muss“, erläutert Unbehaun. „Bislang ist das nur eine Theorie, der wir als Wissenschaftler aber weiter nachgehen werden.“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Deutschen Herzzentrums Berlin. Die Originalpublikation findet ihr hier.
Bilquelle: jesse orrico, unsplash