In einer ersten klinischen Studie hat sich der monoklonale Antikörper Tilavonemab nicht gegen das Tau-Protein bewähren können. Experten wollen den Wirkstoff im Kampf gegen Parkinson, Alzheimer und PSP aber noch nicht aufgeben.
Allen Tauopathien gemeinsam ist die Ablagerung eines pathologischen Eiweißes (Tau-Protein) in bestimmten Gehirnregionen (Tau-Aggregate bzw. -Fibrillen); auch im Nervenwasser (Liquor cerebrospinalis) ist das Tau-Protein meist nachweisbar. Tauopathien unterscheiden sich teilweise recht deutlich in Bezug auf biochemische Mechanismen und klinische Symptome; es gibt aber auch Überschneidungen.
Die Klinik der progressiven supranukleären Blickparese (PSP) ähnelt teilweise der klassischen Parkinson-Erkrankung, weshalb sie auch als atypisches Parkinson-Syndrom bezeichnet wird. Es kommt zu Störungen der Bewegungsabläufe (Bewegungsverarmung, Gangunsicherheit) oder geistiger Funktionen (kognitive Störung). Bei der PSP stehen außerdem eine Blicklähmung sowie Sprech- und Schluckstörungen im Vordergrund.
Aktuell besteht die Behandlung der PSP nur im Symptom-Management; durch die Erforschung der komplexen genetischen, molekularen bzw. biochemischen Krankheitsmechanismen gibt es aber inzwischen verschiedene kausale Therapieansätze. Bislang konnte jedoch für kein Medikament eine klinische Wirksamkeit belegt werden.
Nun wurde in Lancet Neurology erstmals eine internationale Phase-II-Studie publiziert, die bei PSP-Patienten die Therapie mit einem monoklonalen Antikörper (Tilavonemab) gegen das Tau-Protein untersucht hat. In acht Ländern (Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Spanien, USA) wurden an 66 Kliniken fast 500 Teilnehmer gescreent. 378 wurden randomisiert in die Studie eingeschlossen und 120 konnten gemäß den definierten Studienkriterien ausgewertet werden. Die Randomisierung erfolgte doppelblind in drei gleichgroße Gruppen.
Die Patienten erhielten intravenös entweder 2.000 mg (n=126) oder 4.000 mg (n=125) Tilavonemab oder Placebo (n=126) an den Tagen 1, 15 und 29; danach alle 28 Tage für insgesamt 52 Wochen. Zu Studienbeginn war der Symptom-Score PSPRS (Progressive Supranuclear Palsy Rating Scale) der Patienten in den drei Gruppen ähnlich; die Veränderung des PSPRS-Scores nach 52 Wochen war der primäre Studienendpunkt.
Die Studie wurde nach 52 Wochen (mit 120 Auswertungen) entsprechend den vordefinierten Futility-Kriterien (zu geringer bzw. kein Behandlungseffekt) vorzeitig beendet; im Ergebnis waren zwischen Verum und Placebo keine signifikanten Gruppenunterschiede beim PSPRS-Score festzustellen. Die meisten Teilnehmer berichteten von mindestens einem unerwünschten Ereignis während der Studiendauer: jeweils 111 Patienten in der 2.000-mg-Gruppe (88 %) sowie in der 4.000-mg-Gruppe (89 %), aber auch 108 Probanden der Placebogruppe (86 %). Dabei waren Stürze (als typisches Ereignis bei PSP) am häufigsten (42 in der 2.000-mg-Gruppe; 54 in der 4.000-mg-Gruppe und 49 in der Placebogruppe).
Substanz-assoziierte Nebenwirkungen waren in den Behandlungsgruppen ähnlich. Es verstarben jeweils neun Patienten in der 2.000-mg- und in der 4.000-mg-Gruppe und acht in der Placebogruppe – die Todesfälle standen nicht im Zusammenhang mit der Studienmedikation.
In beiden Tilavonemab-Gruppen sank gegenüber der Placebobehandlung die Konzentration des freien Tau-Proteins im Nervenwasser signifikant ab (-38 % mit 2.000 mg und -46,3 % mit 4.000 mg). „Obwohl über die Studiendauer von 52 Wochen kein klinischer Therapieeffekt gezeigt werden konnte, zeigte sich eine biologische Wirksamkeit; d. h. der Antikörper erreichte offensichtlich sein molekulares Ziel“, erklärt Prof. Günter Höglinger, Direktor der Klinik für Neurologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, Erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) und Autor der Studie.
Für die fehlende klinische Effektivität von Tilavonemab in dieser Studie diskutieren Experten verschiedene Gründe. Der Antikörper war zunächst im Tauopathie-Mausmodell erforscht worden, möglicherweise gelangt er nicht in ausreichender Menge in das humane Gehirn, um die Übertragung des extrazellulären Tau-Proteins zwischen den Nervenzellen ausreichend zu unterbinden. Möglicherweise muss der Antikörper-Angriff bei der PSP auf andere Molekülstrukturen (Epitope) der Tau-Fibrillen ausgerichtet werden als es bei Tilavonemab der Fall ist, der an das N-terminale Ende des Tau-Proteins bindet.
„Auf jeden Fall sollte der immunologische Therapieansatz trotz fehlender klinischer Wirksamkeit nicht als gescheitert ansehen“, konstatiert Höglinger. „Die PSP-Patienten der Studie waren möglicherweise schon in zu weit fortgeschrittenen Erkrankungsstadien, die Behandlungsdauer war möglicherweise zu kurz, die Tau-Reduktion möglicherweise zu niedrig, um klinisch relevante therapeutische Effekte zu erzielen; bei früherem Therapiebeginn und längerer Behandlungsdauer mit höherer Dosis und geeigneterem Epitop könnte womöglich eine klinische Wirkung erzielt werden.“ Zusammenfassend ließen sich somit wichtige Erkenntnisse für die weitere Forschung ableiten. Zudem wurde das Sicherheitsprofil bestätigt.
Weitere Studien mit Tilavonemab laufen bereits mit Patienten in Frühstadien der Alzheimer-Krankheit. Bei PSP wird der Antikörper Bepranemab, der am mittleren Molekülbereiche des Tau-Proteins bindet, derzeit in einer Phase-I-Studie getestet. Das Target Tau für die Entwicklung von Therapien für PSP und andere Tauopathien bliebe unverändert relevant und attraktiv, betont Höglinger abschließend. So ist nun beispielsweise in Deutschland eine Studie mit einem sogenannten Tau-Antisense-Oligonukleotid bei PSP gestartet.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Louis Hansel, Unsplash