Modifizierte Hefen sollen den Arzneimittelmarkt unabhängig vom Schlafmohn machen, indem sie Opiate produzieren. Der Nutzen ist offensichtlich, die Risiken auch: Opiate könnten illegal und einfach hergestellt werden. Droht die Heroinherstellung in der heimischen Brauerei?
Opiate gehören zu den ältesten Schmerzmitteln der Menschheit. Bis heute werden sie aus dem eingetrockneten Milchsaft des Schlafmohns hergestellt, der hauptsächlich in Afghanistan, Mexiko, Laos und Myanmar wächst. Auch der illegale Anbau floriert. Abkömmlinge des Opiums finden in der Medizin vielfachen Einsatz: Morphine helfen gegen Schmerzen, Codein lindert den Hustenreiz. Auch als Arzneimittelgrundstoff spielen diese Substanzen eine Rolle. Dementsprechend hoch ist auch die Nachfrage nach Schlafmohn – nicht nur für medizinische Anwendungen. Auch der Schwarzmarkt boomt. Denn mit Heroin aus dem Saft des Schalfmohns lässt sich jede Menge Geld verdienen. Alleine in Deutschland sind Schätzungen zufolge 100.000 bis 150.000 Menschen von Heroin abhängig – weltweit kommen über 16 Millionen Menschen nicht ohne Opiate über den Tag.
Nun haben Wissenschaftler einen Weg gefunden, die gefragten Substanzen von gentechnisch veränderten Bäckerhefen produzieren zu lassen. Was Entwarnung für die Arzneimittelherstellung verspricht, birgt jedoch jede Menge Potential für Drogenproduzenten. Denn ist die Opiat-Hefe erst auf dem Markt, wird es für durchschnittlich begabte Hobby-Bierbrauer ein Leichtes sein, Opiate in den eigenen vier Wänden herstellen zu lassen. Ein „Do-it-yourself-Kit“ zum Bierbrauen und die neue, gentechnisch veränderte Hefe reichten dazu aus, schreiben Wissenschaftler in einem Kommentar zu einer aktuellen Studie. Sie fordern daher, die Verbreitung der Hefe staatlich zu kontrollieren und zwar bevor sie marktreif ist.
Einen möglichen Weg dazu sehen die Forscher darin, nur lizensierten Wissenschaftlern Zugang zu den neuen Hefestämmen zu gewähren. Die Politik müsse handeln und dem biotechnologischen Fortschritt in naher Zukunft entsprechende Gesetze folgen lassen. Denn im Moment berichten die Wissenschaftler erst von einem „Proof of principle“. Die Herstellung von Morphinen und anderen Opiaten in Hefe ist nun grundsätzlich machbar. Dazu braucht die neue Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae) lediglich gewöhnlichen Zucker als Ausgangsstoff.
Wann die wichtigen Schmerzmittel von Mikroorganismen großtechnisch hergestellt werden, ist bisher noch offen. Die Erfinder der opiatproduzierenden Hefen sind zuversichtlich und rechnen schon in wenigen Jahren mit einer marktreifen Produktion: „Mit unserer Studie sind nun alle Schritte beschrieben, und es geht nur noch darum, sie zusammenzubringen und die Produktion aufzustocken“, zitiert die University of California in Berkeley ihre Forscher in einer Meldung. Die momentan noch geringe Ausbeute des Prozesses wollen die Wissenschaftler in wenigen Jahren optimiert haben. Kollegen sind jedoch skeptisch, denn bis zu einem marktreifen Verfahren müsse die Hefe etwa tausendmal mehr des Wirkstoffes produzieren als zum jetzigen Zeitpunkt. Ob Saccharomyces cerevisiae solche Mengen überhaupt verkraften kann, ist offen.
Die Stoffwechselvorgänge, mit denen die Schlafmohnpflanze natürlicherweise Opiate produziert, sind komplex. Um alle Stoffwechselschritte von Hefen umsetzen zu lassen, haben die Wissenschaftler etwa zehn Jahre geforscht. Eine Forschergruppe der University of California baute das Genom der Hefe zunächst so um, dass sie den ersten Schritt der Morphinsynthese bewerkstelligen konnte – sie wandelt nun mit Hilfe von Enzymen aus der Zuckerrübe, des Schlafmohns sowie aus Bodenbakterien Glukose in das Benzylisochinolin Retikulin um. Dieser Ausgangsstoff wird üblicherweise bei der Morphinherstellung benutzt. Ein weiteres Forscherteam von der Concordia University in Montréal kreierte eine Hefe, die aus diesem Retikulin Morphin herstellen kann. In einem letzten Schritt sollen die beiden Hefen in ihren Fähigkeiten vereint werden.
Opiate in Hefen statt aus Schlafmohn zu produzieren, hätte gleich mehrere Vorteile. Zum einen tragen die neuen Hefen zu einer schnelleren und kostengünstigeren Produktion von Arzneistoffen bei, da ihre Ausgangstoffe – anders als beim Schlafmohn – nahezu unbegrenzt vorhanden und unabhängig von Wettereinflüssen sind. Manche Derivate weisen im Vergleich zu natürlichen Opiaten auch verbesserte Eigenschaften auf. So wirkt das Schmerzmittel Hydromorphon beispielsweise 7,5-fach stärker als das verwandte Morphin. Die neuen Hefezellen sind daher gleich mit zwei Genen eines Bakteriums (Pseudomonas putida) ausgestattet, das natürlicherweise auf Mohnpflanzen lebt, mit deren Hilfe sich die begehrten Derivate in einem Produktionsschritt herstellen lassen. Ob die Politik Nutzen und Missbrauch der neuen Technologie trennen kann und rechtzeitig Regularien gegen den illegalen Gebrauch der Hefen verabschiedet, bleibt abzuwarten. Origialpublikationen: An enzyme-coupled biosensor enables (S)-reticuline production in yeast from glucose W.C. DeLoache et al.; Nature Chemical Biology, doi: 10.1038/nchembio.1816; 2015 Drugs: Regulate 'home-brew' opiates K.A. Oye et al.; Nature Comment, doi: 10.1038/521281a; 2015