Neue Mutationen von SARS-CoV-2 könnten die Wirksamkeit der Impfungen beeinträchtigen, deshalb müssen Anpassungen her. Damit es mit der Zulassung nicht zu lange dauert, denken die Behörden nun um.
Aus virologischer Sicht wenig überraschend treten mittlerweile die ersten Mutationen von SARS-CoV-2 auf. Ihr Name ist Programm: Mehrere Variants of Concern (VOC, besorgniserregende Varianten) des Wildtyps konnten bisher nachgewiesen werden. Dazu zählt unter anderem VOC-202012/01, auch B.1.1.7 oder B117 genannt, mit Entdeckung in Großbritannien. Hinzu kommt die südafrikanische Variante 501.V2 alias N501Y.V2 oder B.1.351.
Preprints zeigen, wo das Problem, liegt. Bei zwei mRNA-Impfstoffen war die Aktivität neutralisierender Antikörper gegen mutierte Erreger gering, aber signifikant verringert. Und ein Vektorvirus-Impfstoff schützte gar nicht mehr gegen leichtes bis mittelschweres COVID-19. Wie reagieren Impfstoff-Hersteller und Zulassungsbehörden darauf?
Bei einem Online-Pressebriefing des Science Media Center Germany haben Uğur Şahin, Vorstandsvorsitzender von BioNTech, Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, und Marylyn Addo, Infektiologin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, diskutiert, wie es weitergehen wird.
Die gute Nachricht: Addo setzt große Erwartungen in zwei Technologien zur Herstellung modifizierter Impfstoffe, nämlich in mRNAs und Vektorviren. Sie rechnet mit sechs Wochen für Laborarbeiten und weitere sechs Wochen für Anpassungen der Herstellung, bis Fläschchen mit neuem Inhalt vom Band rollen. Molekularbiologische Technologien sparen Zeit im Labor und im Werk. Doch wie sieht es bei Zulassungen aus?
Dazu ein kurzer Rückblick. Bekanntlich haben alle im Bereich der EMA zugelassenen Impfstoffe klinische Studien der Phasen I bis III durchlaufen. Europas oberste Arzneimittelbehörde hat lediglich durch fortlaufende Überprüfungen, den Rolling Reviews, Prozesse etwas beschleunigt, ohne Anforderungen herunterzuschrauben. Durchlaufen modifizierte Vakzine wieder das gesamte Studienprogramm, verlieren wir jeglichen Zeitgewinn.
Das muss auch nicht sein, denn Zulassungsbehörden kennen solche Themen bereits – und haben auch Lösungen gefunden. Bei Influenza-Impfungen gibt es Jahr für Jahr neue Vakzine. Sie werden größtenteils mit klassischen Technologien hergestellt, was Monate braucht. Hier greift ein modifiziertes Verfahren. Nach erstmaliger Zulassung inklusive großer Studienprogramme reichen Wirksamkeitstests aus. Überprüft wird, ob Antikörper neutralisierend auf bestimmte Influenza-Stämme wirken.
Wie Cichutek berichtet, sei geplant, bei Corona-Impfstoffen ähnlich vorzugehen. Die EMA spricht von „Typ-II-Variationen“: Die Art eines Wirkstoffs, beispielsweise mRNAs oder Vektorviren, bleibt unverändert. Allerdings können sich die Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit verändern. Titer neutralisierender Antikörper liefern auch hier Anhaltspunkte, wie bei Influenza-Viren erprobt. Wir dürfen nur nicht vergessen, dass Impfstoffe der nächsten Generation auch gegen die Wildtyp-Variante wirksam sein müssen, denn sie zirkuliert nach wie vor.
Addo, Cichutek und Şahin besprachen beim Pressebriefing auch völlig neue Strategien wie den Prime-Boost-Ansatz. Dabei kombiniert man unterschiedliche Impfstoffe in zeitlicher Abfolge, etwa mRNA- und später Vektorvirus-Vakzine. Ziel ist eine bessere Immunisierung.
Auch Impfstoffe mit breiter Wirksamkeit könnten die Zukunft prägen. Sie funktionieren, falls es Regionen in SARS-CoV-2 gibt, die nicht mutieren und die sich als Ziel für neutralisierende Antikörper eignen. Nasale Impfstoffe mit abgeschwächten Lebendviren, ein Thema aus der Influenza-Vakzinierung, gelten bei SARS-CoV-2 als wenig erfolgversprechend.
Eine große Frage bleibt dennoch offen: Wann ist die Zeit reif, um mit Impfstoffen der nächsten Generation loszulegen? Şahin berichtet, man untersuche regelmäßig die Aktivität neutralisierender Antikörper gegen Varianten im Labor. Bislang scheint alles noch im grünen Bereich zu sein.
Aber was, wenn sich dann eines Tages doch schnell was ändern muss? Auch dafür wurden inzwischen wichtige Vorkehrungen getroffen: Die US-Arzneimittelbehörde FDA plant, abgewandelte Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 schneller zuzulassen. Auch die EMA will beschließen, dass an die Varianten angepasst Impfstoffe schneller auf den Markt kommen dürfen – was andernfalls jedes Mal etwa ein Jahr dauern würde. „Wir haben nun entschieden, dass ein Impfstoff, der vom Hersteller auf der Basis des bisherigen Vakzins zur Bekämpfung neuer Mutationen nachgebessert wurde, nicht mehr den ganzen Zulassungsprozess durchlaufen muss“, sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides im Interview mit der Augsburger Allgemeinen.
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