MEINUNG | „Der Neid und die Wut wachsen“, beobachtet eine Ärztin, die anonym bleiben möchte. In ihrer Klinik plant sie die Impfung der Mitarbeiter – und spricht von einem organisatorischen Albtraum.
Seit Ende November organisiere ich die Impfung in meiner Klinik. Nachdem die Meldefrist am 4.12 abgelaufen war, kam ein riesiger Schwung Anmeldungen. Auf einmal wurden die Prioritäten verändert und es gab mehr Impfkandidaten als bestellten BioNTech-Impfstoff, obwohl ich nachgemeldet hatte.
Die „Übriggebliebenen“ habe ich gleichmäßig auf alle Bereiche verteilt. Die Anfeindungen und Vorwürfe, warum dieser oder jener schon (mit BioNTech) geimpft sei und man selbst nicht, nehmen deutlich zu. Der Neid und die Wut wachsen. Warum denn jetzt der Azubi und die Reinigungskraft geimpft seien. Die hätten doch nicht so engen Kontakt wie man selbst usw. Ich bin froh, einen Arbeitgeber zu haben, der alle Mitarbeiter eines Bereiches berücksichtigt. Ist ja nicht selbstverständlich.
Jetzt kann ich endlich mit AstraZeneca weitermachen, aber einige wollen lieber „auf etwas besseres“ warten. Am Anfang war ich auch sauer, wegen der vermeintlich schlechteren Wirksamkeit. Dann habe ich mich eingelesen in alle Publikationen die ich finden konnte und meine Meinung geändert. Ich wollte die Primärdaten und nicht das Abgeschriebene vom Abgeschriebenen. Auch für BioNTech. Ich habe viele Stunden meiner Freizeit damit verbracht, schriftliche Informationen zu verfassen und alle auf dem Laufendem zu halten. Ich habe 2 Videos gedreht, um Dinge zu erklären. Und ich werde noch auf einzelnen Stationen gehen und Fragen zu AstraZeneca beantworten. Bereits vor dem Impfstart mit BioNTech hat mein Arbeitgeber hier eine größere Aktion mit Erklärvideos diverser Chefärzte gestartet und auf den Stationen mit Gesprächen Bedenken beseitigt.
Die Impfkandidaten haben eine falsche Erwartung an das eigentliche Ziel der Impfstoffe: den Eigenschutz vor Tod und Krankenhauseinweisung. Leider hat die öffentliche Kommunikation der letzten Monate suggeriert, dass die Impfung uns schnell zu der Zeit „vor Corona“ bringt. Dass wir keine Masken mehr brauchen und reisen können, da man sich nicht mehr anstecken kann. Das ist leider nicht der Fall und auch ich habe diese Enttäuschung gespürt. Es ändert sich erstmal nichts. Diese Erwartungen gepaart mit der schlechten AstraZeneca-Presse, sind ein Kampf gegen Windmühlen.
Das unreflektierte Nachplappern von Aussagen der Presse und selbsternannten Experten, macht es schwer, meine Kollegen von der Impfung zu überzeugen. Bis Ostern könnte ich jedem mit Patientenkontakt die 1. Dosis AstraZeneca geben. Auf einen „besseren“ Impfstoff zu warten, kostet wertvolle Zeit, um einen Schutz aufzubauen. Die B.1.1.7-Variante wird sich durchsetzen und wir werden auch mehr Infektionen beim Personal haben.
„Ich habe es in 12 Monaten geschafft, mich zu schützen“ funktioniert vielleicht beim Wildtyp, aber die B.1.1.7-Variante ist ansteckender und kleinste Hygienefehler können hier sehr schnell zum Tragen kommen. Ich sehe, wie viele auch 6 Monate nach mildem Verlauf noch Probleme haben. Die Konzentration schwächelt und die körperliche Arbeit machen zu schaffen. Ich möchte das so vielen wie möglich ersparen.
Aber jeder sieht nur sich selbst und möchte das, was es nicht gibt. Hätten sich mehr Mitarbeiter bis zum 4.12 angemeldet, hätte ich mehr BioNTech bestellen können. Aber erstmal abwarten, was bei den anderen passiert und sich dann beschweren, wenn nicht genug da ist. Für Silvester hatte ich 100 Impfdosen, die innerhalb von 2 Tagen vergeben werden mussten. Von „Da kann ich ja keinen Sekt trinken“ bis zu „Ist das dann Arbeitszeit wenn ich im Frei komme“ haben wir alles gehört. Ein Großteil war aber natürlich auch glücklich und äußerst spontan. Hinzu kommen die, die den 2. Impftermin absagen, weil sie die z.B. über den Rettungsdienst bekommen. Was soll das? Ich kann mit dieser 2. Dosis niemanden erst-impfen, da ich keinen BioNTech mehr bekomme. Das ist ein organisatorischer Albtraum. Aber dies ist keinem bewusst. Bevor ich etwas wegwerfen muss, habe ich diese 5 Spritzen dem Rettungsdienst „gespendet“. Das wurde dann im Krankenhaus-Buschfunk zu „statt uns wird jemand Externes geimpft“.
Inzwischen träume ich von Impfungen, von Terminplänen und Diskussionen und ich merke, dass meine Energie aufgebraucht ist. Ich bin eine Telefonnummer, die man anrufen kann und ich bekomme den Frust zu spüren. Das kann ich durchaus nachvollziehen. Kritik überwiegt immer „Lob“. Und Impfungen sind ein hoch emotionales Thema. Aber ich bin nicht die Anlaufstelle, um Priorisierungen zu diskutieren und es gibt auch keine „Vorzugsbehandlung“, weil man mich kennt. Jeder, der geimpt wurde, hatte einen zu diesem Zeitpunkt gültige Grundlage. Ich versuche, gesetzeskonform so viele wie nur möglich in die höheren Impfprioritäten zu bekommen. Man kann es niemals jedem recht machen. Trotz der stets offenen Kommunikation hören die Leute nur, was sie hören wollen. Und ich merke, dass es mir zunehmend schwerer fällt, sachlich und neutral zu argumentieren. Mein Ton ist nicht immer angemessen und mein Temperament geht jetzt wieder häufiger mit mir durch.
Nehmt, was euch als Impfstoff angeboten wird. Alle schützen euch vor einem Schlauch im Hals, oder unter der Erde zu landen. Ein „Mutanten-Update“ wird bestimmt Ende des Jahres kommen und dann ist der Hersteller auch egal. Die meisten Fachleute reden ja schon von einer saisonalen Impfung, wie es bei Influenza der Fall ist.
Und im Übrigen: Bei ungeschütztem Kontakt zu Corona-positiven (K1-Situation) müsst ihr auch mit Impfschutz in Quarantäne. Das gleiche gilt im Übrigen auch bei Genesenen, deren Infektion mehr als 3 Monate her ist. Auch befreit euch ein voller Impfschutz nicht vom Maske-Tragen. Weder beruflich, noch im Bus oder beim Einkaufen. Es geht auch um Gruppendynamik und „Vorbildfunktion“. Sitzt einer im Bus ohne Maske, ziehen die anderen auch runter. Das ist im aktuellen Geschehen nicht akzeptabel. Lasst euch impfen, egal womit. Danke.
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