Eine rein biologische Lunge-auf-Chip eröffnet neue Möglichkeiten in Grundlagen- und Medikamentenforschung. Experten hoffen, dass sich damit in Zukunft auf Tierversuche ganz verzichten lässt und Versuche praxisnähere Ergebnisse liefern.
Forschende der Universität Bern und des Inselspitals, Universitätsspital Bern haben ein Lungen-Modell der zweiten Generation mit lebensgroßen Lungenbläschen in einer rein biologischen, dehnbaren Membran entwickelt. Das neue Modell bildet das Lungengewebe viel lebensnäher nach als bisherige Lungen-auf-Chip. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für die Grundlagenforschung, die Erforschung von Lungenerkrankungen, das Testen von Medikamenten und die Präzisionsmedizin.
Die Lunge ist aus rund 400 Millionen Lungenbläschen aufgebaut, die für den Gasaustausch zwischen Blut und Luft zuständig sind. Sie spielt eine Schlüsselrolle bei der Sauerstoffversorgung aller Organe. Aufgrund ihrer komplexen Struktur, zellulären Zusammensetzung und dynamischen Mikroumgebung ist sie in-vitro nur schwer nachzubilden.
Ein spezialisiertes Labor des ARTORG Center for Biomedical Engineering Research der Universität Bern unter der Leitung von Olivier Guenat befasst sich seit über zehn Jahren mit der Entwicklung hochspezialisierter In-vitro-Modelle, den sogenannten Organs-on-Chip. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Modellierung der Lunge und ihrer Erkrankungen. Nach einem ersten erfolgreichen Lunge-auf-Chip-System, das wesentliche Merkmale der Lunge aufweist, hat das Organs-on-Chip (OOC) Labor des ARTORG Centers nun in Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung München und den Universitätskliniken für Thoraxchirurgie und Pneumologie des Inselspitals eine rein biologische Lunge-auf-Chip der nächsten Generation entwickelt.
Pauline Zamprogno, die das neue Modell für ihre Doktorarbeit am OOC entwickelt hat, fasst dessen Eigenschaften zusammen: „Die neue Lunge-auf-Chip reproduziert eine Ansammlung von Lungenbläschen, die mit je 250 Mikrometer Durchmesser etwa lebensgroß sind. Das System besteht aus einer dünnen, dehnbaren Membran aus Molekülen, die natürlicherweise in der Lunge vorkommen: Kollagen und Elastin. Die Membran ist stabil, kann wochenlang beidseitig kultiviert werden, ist biologisch abbaubar und ihre Elastizität ermöglicht das Simulieren von Atembewegungen durch mechanisches Dehnen der Zellen.“
Im Gegensatz zur ersten Generation, die bereits vom Team um Olivier Guenat entwickelt wurde, reproduziert das weiterentwickelte System wichtige Aspekte der extrazellulären Matrix der Lunge: Ihre Zusammensetzung, ihre Struktur und ihre Eigenschaften. Hier ist vor allem die biologische Abbaubarkeit ein wichtiger Aspekt zur Untersuchung veränderter Luft-Blut-Barrieren bei Lungenerkrankungen wie idiopathischer Lungenfibrose (IPF) oder chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD). Darüber hinaus ist der Herstellungsprozess weniger aufwändig als der einer dehnbaren porösen Membran der ersten Generation der Lunge-auf-Chip.
Die Zellen, die auf dem neuen Chip für die Forschung kultiviert werden sollen, werden derzeit von Krebspatientinnen und -patienten gewonnen, die sich an der Universitätsklinik für Thoraxchirurgie des Inselspitals einer Lungenresektion unterziehen.
Klinikdirektor Ralph Schmid sieht in dem System einen doppelten Vorteil: „Die Lunge-auf-Chip der zweiten Generation kann sowohl mit gesunden als auch mit erkrankten Lungenbläschen-Zellen besiedelt werden. Damit erhalten Klinikerinnen und Kliniker sowohl ein besseres Verständnis der Physiologie der Lunge als auch ein wirksames Werkzeug zum Screening möglicher neuer Wirkstoffe und potenziell auch für die Präzisionsmedizin, um genau die Therapie zu identifizieren, die einer bestimmten Patientin oder einem bestimmten Patienten am besten helfen kann.“
„Die Anwendungsmöglichkeiten für solche Membrane sind vielfältig und reichen von grundlagenwissenschaftlichen Untersuchungen zum besseren Verständnis von Lungenphysiologie und -pathologie über die Identifizierung neuer Signalwege bis hin zur Entwicklung neuer Therapien“, sagt Thomas Geiser, Direktor der Universitätsklinik für Pneumologie am Inselspital und Direktor für Lehre und Forschung der Insel Gruppe.
Ein weiterer Vorteil der neuen Lunge-auf-Chip ist ihr Potenzial, pneumologische Forschung auf der Basis von Tiermodellen zu reduzieren. „Zahlreiche vielversprechende Wirkstoffe, die in präklinischen Modellen an Nagetieren erfolgreich getestet wurden, sind beim Test am Menschen gescheitert, weil es Unterschiede zwischen den Spezies und in der Ausprägung einer Lungenerkrankung gibt“, erklärt Olivier Guenat. „Deshalb streben wir langfristig an, Tierversuche zu reduzieren und mehr patientenrelevante Systeme für das Testen von Wirkstoffen bereitzustellen, mit der Möglichkeit, diese sogar für einzelne Patientinnen und Patienten ‚maßzuschneidern’.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Bern. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Jason Leung, Unsplash