Rezeptur ist eine Kunst, sowohl für den Verschreiber (Arzt) als auch den Hersteller (Apotheker). Bei beiden geht sie langsam verloren. Ein gutes Beispiel dafür ist das Salatsaucen-Problem.
Ich finde es ja persönlich schade, aber es ist eine eindeutige Entwicklung (zumindest in der Schweiz): Die Kunst der Rezeptur geht zunehmend verloren. Die Rezeptur, also die individuelle Herstellung eines Arzneimittels aufgrund eines verordneten Rezeptes nimmt seit Jahren ab. Das hat verschiedene Gründe:
All das habe ich auch schon 2018 hier zusammengefasst:
Aber es gibt noch einen Grund, den ich damals nicht erwähnt habe: Das Wissen der Ärzte zu den Rezepturen nimmt ab. Ich denke von den neueren wissen schon eine Menge nicht mehr, dass das überhaupt eine Möglichkeit ist, geschweige denn, wie man das richtig verordnet. Dabei stammt der Name Rezept genau von dieser Kunst ab.
Auch ein Arzt-Rezept war früher faktisch eine „Kochanleitung“ zur Herstellung eines Arzneimittels. Den Pharmazeuten oblag es dann, daraus ein funktionierendes Mittel zu machen. Das ist auch eine Kunst: Wirkstoffinkompatibilitäten, Löslichkeit des Wirkstoffes, Stabilität der Grundlage, Konservierung, Alkoholmischtabellen, Isotonisch machen von Augentropfen … all das will bedacht sein und richtig umgesetzt.
Im Studium habe ich all das (und mehr) gelernt, brauchen tu ich es zunehmend weniger (was ich schade finde). Deshalb muss ich heute teils mehr nachforschen, bevor ich eine Rezeptur herstelle.
Dass Nivea Creme trotz des Namens keine Creme ist, sondern eine Salbe und ich deshalb eine Cortison-Salbe nehmen muss zum Mischen, das weiß ich. Das war früher eine beliebte Mischung – respektive einfache Verdünnung. Heute wird sie jedoch kaum mehr gebraucht. Vielleicht auch, weil die Hautärzte gelernt haben, mehr mit den verschiedenen Cortison Klassen zu „spielen“ und deshalb keine Klasse III (stark) mehr verdünnen lassen müssen, um eine mittelstarke zu erhalten – da nimmt man grad eine Klasse II in Salbenform.
Beim Dexeryl, das es noch nicht so lange gibt und das vermehrt für Rezepturen verschrieben wird, muss ich nachschauen gehen, was ich da am besten nehme: Elocom in Creme oder Salbe. Offenbar ist hier die Empfehlung auch, die Creme zu nehmen – nach der Herstellung bin ich aber nicht wirklich glücklich mit dem Resultat. Es scheint zwar stabil zu bleiben, trennt sich nicht, hat aber auch nach mehrmaligem Mischen auf der Salbenplatte immer noch eine ansatzweise inhomogene Qualität. Das nächste Mal versuche ich es mal mit der Salbe.
Dennoch, eine Rezeptur vom Kinderspital für „Elocom-Dexeryl 1:1“ oder 1:2 kann ich herstellen. Da weiß ich, was ich machen muss. Mehr Mühe habe ich mit Rezepten wie diesem hier:
Auch wenn wir mal davon absehen, dass der Hautarzt noch nicht mitbekommen hat, dass es die Aknemycin Emulsion nicht mehr gibt – das hier ist eine Herstellung, für die ich zu wenig Angaben habe. Es steht Hautspiritus 2 % aufgeführt. Hautspiritus ist einfach eine Mischung mit Alkohol für die Haut. Die Angabe „2 %“ dürfte sich dabei kaum auf den Alkohol beziehen, sondern auf einen Wirkstoff … der leider nicht spezifiziert ist. Was darf’s denn sein? Salicylsäure? Menthol? Polidocanol? Etwas anderes? Wenn ich raten müsste, würde ich auf Salicylsäure tippen – aber ich soll nicht raten bei Rezepten.
Also frage ich bei der Praxis nach. Und deren Antwort hat mich etwas brüskiert: Ich solle das doch bei (andere Apotheke) bestellen, die haben das schon hergestellt. Was genau drinnen ist, könne sie mir auch nicht sagen. Es war dann ein Salicylsäure-Hautspiritus, mit 2 % Salicylsäure und 70 % Alkoholgehalt. Und ich habe ihn nicht bestellt, sondern selber hergestellt. Ich kann das nämlich auch.
Noch mehr Mühe hatte ich mit diesem Rezept:
Ich meine, schon klar, es soll etwas zum Abführen sein. Feigensirup gibt es als Spezialität (wird von der Krankenkasse nicht übernommen, es sei denn, es handelt sich um Verstopfung wegen Opioiden). Paraffin ist ein inertes Öl, das aus der Erdölindustrie stammt und das man auch zum Abführen verwendet hat (es wird theoretisch nicht aufgenommen vom Körper). Heute wird es pur kaum mehr verwendet – es findet sich aber noch in Spezialitäten wie Paragol.
So wie der Arzt es aufgeschrieben hat, kann ich das aber unmöglich herstellen. Wenn man das einfach zusammenmischt, trennt sich das sofort: Man denke an Salatsauce nur aus Essig (Feigensirup) und Öl (Paraffin). Ich müsste versuchen eine Emulsion herzustellen, ähnlich wie der Paraffinöl-Emulsion der Pharmakopöe, und dabei die wässrige Phase durch Feigensirup ersetzen. Das fällt für mich schon unter hohe Kunst – und (außer dass mir dafür auch die Inhaltsstoffe wie die Emulgatoren und Stabilisatoren fehlen) ich bin nicht sicher, wie stabil das werden würde.
Auch die Mischung der fertigen Spezialitäten wie Zeller Feigensirup und Paragol wäre ein Experiment mit reichlich unsicherem Ausgang (und Geschmack). Da könnte der Patient auch beide Sachen einzeln nehmen.
Nach Rücksprache mit dem Arzt (der reichlich erstaunt war, dass wir das nicht grad „sofort einfach machen“ können), hat die Patientin dann ein einfaches Abführmittel bekommen, das im Handel ist. Das hat auch funktioniert.
Man merke: Rezeptur ist eine Kunst, sowohl für den Verschreiber (Arzt), als auch den Hersteller (Apotheker). Wenn ihr so etwas verschreibt, dann bitte mit möglichst genauen Angaben. Bei Unsicherheiten ob etwas geht, oder ob Alternativen bestehen, kann auch die Apotheke kontaktiert werden. Wir wissen das (noch).
Für historisch interessierte findet ihr auf meinem Blog einen Leitfaden von 1936 zur Ausstellung von Rezepten am Ende des Artikels.
Bildquelle: Joanna Kosinska, unsplash