Das Immunsystem von Menschen, die schon mal mit anderen Coronaviren infiziert waren, reagiert auch bei einer Infektion mit SARS-CoV-2. Verschaffen die gebildeten Antikörper genügend Schutz?
Wie viele Menschen inzwischen wissen, gibt es viele verschiedene Coronaviren da draußen und sie sind jedes Jahr für einen kleinen, aber realen Anteil der „Erkältungs“-artigen Erkrankungen des Menschen verantwortlich. Schon bald nach Beginn der Pandemie kam deshalb die Frage auf, ob eine frühere Infektion mit einem anderen Coronavirus eventuell zu einer Kreuzimmunität führen könnte. In einem Kommentar erklärt der Wissenschaftler Derek Lowe, warum diese Hoffnung berechtigt war, jetzt aber durch aktuelle Daten so gut wie abgeschrieben werden kann.
Viele Menschen waren bereits – z.B. im Rahmen einer Erkältung – mit einem oder mehreren Coronaviren (wie sie hier unter Taxonomie gelistet sind) infiziert. Sie tragen die Abkürzungen 229E, NL63, OC43 oder HKU. Aber keines dieser Viren stammt aus der selben Untergattung wie das Virus SARS-CoV-2. Die ersten beiden (229E und NL63) sind Alpha-Coronaviren und ziemlich eng miteinander verwandt.
Die anderen beiden gehören zu einer weiteren Gattung, den Beta-Coronaviren, und sind auch eng miteinander verwandt; sie gehören zu einer anderen Untergattung innerhalb der Beta-Coronaviridae, als die SARS-artigen Coronaviren, wie das aktuell pandemische Virus. All diese Viren haben Spike-Proteine, aber die Spikes selbst variieren in der Sequenz. So verwenden einige von ihnen völlig andere Oberflächenproteine für den viralen Eintritt, als die SARS-Viren, die hierfür das ACE2-Protein benutzen.
Oftmals wurde sich nun die Frage gestellt, ob das B- und T-Zell-Gedächtnis vergangener Coronavirusinfektionen für diese Personen einen gewissen Schutz gegen das aktuelle Virus bieten könnte. Es ist überhaupt keine verrückte Idee, denn wir haben gesehen, dass es Menschen mit kreuzreaktiven Antikörpern gibt, die an das aktuell pandemische Coronavirus binden können. Einige davon waren in Blutproben aus der Zeit, bevor sich das aktuelle Coronavirus verbreitete, enthalten. Bisher fehlten jedoch Daten, um eine Aussage hierzu zu treffen.
Interessante Daten sind hierzu jetzt im Journal Cell erschienen. Die Autoren untersuchten 431 Blutproben aus der Zeit vor der Pandemie und verglichen sie mit 251 Proben von Menschen, die während des aktuellen Ausbruchs infiziert wurden und sich erholt haben, sowie mit Antikörperprofilen von Menschen, die sich derzeit im Krankenhaus befinden. Was sie herausgefunden haben, ist erstens, dass die meisten Menschen in der Tat schon mal mit einem oder mehreren der „anderen“ Coronaviren infiziert waren. Die Proben aus der Zeit vor der Pandemie zeigen eine Vielzahl von Antikörperreaktionen gegen diese.
Zweitens haben etwa 20 % dieser Patienten Antikörper gebildet, die eine Kreuzreaktion mit den Spike- oder Nukleokapsidproteinen des aktuellen pandemischen Coronavirus zeigen. Und mehr noch, die Werte solcher Antikörper sind erhöht, wenn eine Person aus dieser Gruppe mit SARS-CoV-2 infiziert wird: Das Gedächtnis des Immunsystems (wie es in den B-Zellen dieser Patienten vorhanden ist) reagiert mit einer erhöhten Produktion der Antikörper gegen die früheren Coronaviren.
Aber hier ist der entscheidende Teil: „kreuzreagieren“ bedeutet nicht „neutralisieren“ und es bedeutet auch nicht „Schutz bieten vor“. Diese Antikörper mögen gegen die anderen Coronaviren neutralisierend gewirkt haben – oder auch nicht – sie scheinen jedenfalls keine derartige Wirkung auf das aktuelle Coronavirus zu haben. Dementsprechend scheint das Vorhandensein solcher kreuzreaktiver Antikörper keinen Schutz davor zu bieten, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren oder mit COVID ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Es gab keinen Unterschied in den Infektions-/Hospitalisierungsraten der Menschen, die kreuzreaktive Antikörper besaßen, im Vergleich zu denen, die keine hatten. Sie sind im Grunde also nutzlos.
Nun kann man immer noch argumentieren, dass die T-Zell-Komponente der Immunität einen gewissen Schutz nach einer früheren Coronavirus-Infektion bieten könnte. So zeigen im Sommer veröffentlichte Studien, dass es durchaus Personen gab, die schon vor der Pandemie über SARS-CoV-2-spezifische CD4+- und CD8+-T-Zellen verfügten. Die aktuelle Studie hat sich mit diesem Aspekt nicht direkt befasst, aber nach den Ergebnissen scheint es zumindest weniger wahrscheinlich, dass diese Komponente einen großen Effekt hat – so argumentiert Lowe in seinem Text. Die Autoren weisen auf diese Limitation ihrer Untersuchung hin und merken auch an, dass lokal auf den Schleimhäuten vorhandene Antikörper ebenfalls einen schützenden Effekt ausüben könnten (was in dieser Studie ebenfalls nicht untersucht wurde).
Bleibt die Erkenntnis: Zirkulierende humane Coronavirus-Antikörper aus prä-Corona Zeiten, auch solche, die an das aktuelle Virus binden können – können wir wohl als effektiven Schutz gegen SARS-CoV-2 ausschließen. Schade.
Die Studie haben wir euch im Text und hier verlinkt.
Bildquelle: United Nations COVID-19 Response, unsplash