Tests, die die zellfreie fetale DNA (cff-DNA) aus dem Blut der Mutter analysieren, sorgen weiter für Kontroversen. Kritiker sehen die Notwendigkeit einer „gesellschaftlichen Diskussion“. Brauchen besorgte Frauen demnächst ein OK von der Ethikkommission?
Wie aus der Perinatalstatistik hervorgeht, hatten im Jahr 2013 rund 35 Prozent aller werdenden Mütter eine Risikoschwangerschaft – zehn Jahre zuvor waren es noch 29 Prozent. Umstrittene Hilfe naht: Seit etwa drei Jahren sind vorgeburtliche Bluttests auf Trisomien 21, 18 und 13 sowie auf das Klinefelter-, Turner-, Triple X- und XYY-Syndrom verfügbar. Politiker diskutieren vergleichsweise einseitig über die Trisomie 21. Das hat nicht nur ethische, sondern auch wirtschaftliche Gründe.
Vor gut drei Monaten kam es zu einer ungewöhnlichen Aktion: Abgeordnete aller Fraktionen im Bundestag, also auch der Union und der Sozialdemokraten, forderten die Bundesregierung im Rahmen einer kleinen Anfrage auf, zu möglichen Screenings von Neugeborenen auf Trisomie 21 Stellung zu beziehen. Bislang übernehmen gesetzliche Krankenkassen entsprechende Kosten nur in Einzelfällen. Frauen müssen etwa 400 bis 800 Euro selbst berappen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) kam zu dem Fazit, molekularbiologische Tests hätten Potenziale, „um gegebenenfalls auf eine invasive Chromosomendiagnostik, wie sie derzeit zur Abklärung von genetischen Auffälligkeiten eingesetzt wird, verzichten zu können“. Mittlerweile laufen Beratungen zu einer sogenannten Erprobungsrichtlinie gemäß Paragraph 137e SGB V. Am Ende des Verfahrens könnte die Kostenübernahme stehen, was zumindest im Bereich des Möglichen liegt.
Das gefällt nicht allen Akteuren. Parlamentarier kritisieren, im laufenden Verfahren gebe es „keinen Raum für die notwendige gesellschaftliche Diskussion“. Käme es zur Kostenübernahme im Sinne des Leistungskatalogs gesetzlicher Krankenkassen, wäre dies „ein relevanter Schritt auf dem Weg zu einer Routineuntersuchung auf Down-Syndrom während der Schwangerschaft“. Suchen Frauen ärztlichen Rat, müssten sie über die Möglichkeit von cfDNA-Tests informiert werden. Politiker befürchten Druck auf werdende Mütter, ein „perfektes Kind“ zu gebären – inklusive steigender Zahlen an Schwangerschaftsabbrüchen.
In ihrer Antwort teilt die Bundesregierung Ängste und Sorgen mancher Parlamentarier nicht, Praena-Tests stünden in Konflikt mit Artikel 8 der UN-Behindertenrechtskonvention. „Das Angebot, eine Blutuntersuchung im Hinblick auf eine mögliche Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom durchführen zu lassen, beinhaltet für sich genommen keine negative Wertung, Stigmatisierung oder Stereotypisierung im oben genannten Sinne“, heißt es dazu. Und weiter: „Ethische Implikationen und gesellschaftliche Auswirkungen der Verwendung von Medizinprodukten gehören nicht zu den unionsrechtlich festgelegten, einheitlichen Anforderungen an deren Verkehrsfähigkeit.“ Ob es in anderen Ländern tatsächlich zu vermehrten Schwangerschaftsabbrüchen gekommen sei, wie Parlamentarier immer noch vermuten, lässt sich wissenschaftlich nicht exakt nachweisen.
Dass Politiker, aber auch Laien, mit derart großer Leidenschaft das Für und Wider genetischer Tests auf Trisomie 21 diskutieren, liegt auch an teils fehlinterpretierten Zahlen. Aktuellen Publikationen zufolge liegt die Spezifität molekularbiologischer Methoden auf Basis von cf-DNA bei 99,9 Prozent. Für die Sensitivität werden sogar 100 Prozent angegeben. Ein Rechenbeispiel: Trisomien 21 treten statistisch bei etwa 0,2 Prozent aller Schwangerschaften auf, also bei 2.000 ungeborenen Kindern auf eine Million Graviditäten. Ärzte erkennen alle Fälle treffsicher, legt man eine in der Literatur beschriebene Sensitivität von 100 Prozent zu Grunde. Inwieweit sich dieser Wert im Alltag jenseits akademischer Labors erreichen lässt, muss sich zeigen. Bei einer Spezifität von 99,9 Prozent sind 0,1 Prozent aller Diagnosen falsch positiv. Nimmt man auch hier eine Million Schwangerschaften als Basis, wären das unter 998.000 gesunden Embryos rein rechnerisch 998. Schlagen Tests positiv an, liegt nur in zwei von drei Fällen tatsächlich der chromosomale Defekt vor. Falsch negative Resultate kommen aber kaum vor.
Bleibt als Fazit für die Praxis: Praena-Tests helfen eher, eine Trisomie 21 auszuschließen als diese mit größtmöglicher Sicherheit nachzuweisen. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) gab Mitte 2014 an, schätzungsweise 600.000 Mütter würden das neue Verfahren in Anspruch nehmen – bei 1.200 Feten mit tatsächlich vorhandener Trisomie 21 und weiteren 500 falsch positiven Ergebnissen. Zum Vergleich: Verschiedenen Studien zufolge beträgt die Rate an falsch positiven Ergebnissen beim heute üblichen Ersttrimester-Screening immerhin 3,5 Prozent, sprich 20.000 falsch positive Resultaten, legt man auch hier die DGGG-Schätzungen zu Grunde. Diese deutliche Unschärfe scheint die Initiatoren der kleinen Anfrage aber nicht zu stören. Ethiker sind der Vergangenheit halt immer etwas näher als der Zukunft.