Um kleinste Strukturen der Materie sichtbar zu machen, braucht es ein besonderes Licht: Es muss eine kurze Wellenlänge besitzen und sehr brillant sein. Brillante Strahlung bündelt viele Photonen gleicher Wellenlänge auf engstem Raum in kürzester Zeit. Harte, also besonders energiereiche, Röntgenstrahlung ist dafür das Licht der Wahl, da es Materie durchdringt und Wellenlängen von wenigen Hundertstel Nanometern aufweist. Harte und gleichzeitig brillante Röntgenstrahlung produzieren heute große und teure Beschleunigeranlagen. „Doch das geht auch Platz sparender und billiger, nämlich mit Licht“, sagt Stefan Karsch, Professor der Ludwig-Maximilians- Universität und Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Quantenoptik.
Stefan Karsch, Laszlo Veisz und ihre Kollegen im Labor für Attosekundenphysik schickten Laserpulse von rund 25 Femtosekunden Dauer – eine Femtosekunde ist ein Millionstel einer milliardstel Sekunde – und einer Leistung von 60 Terawatt auf Wasserstoffatome. Zum Vergleich: Ein Atomkraftwerk produziert 1,5 Gigawatt, also mehr als 10000 Mal weniger Leistung. Dabei lösten die elektrischen Felder des Lichts die
Elektronen von den Atomkernen, so dass ein
Plasma entstand, und räumten sie wie mit einem Schneepflug aus dem Weg. Übrig blieben die positiv geladenen
Ionen, die um einiges schwerer sind als die Elektronen.
Elektronen auf Schlingerkurs geben brillantes Röntgenlicht ab
Die Trennung der Ladungen bewirkt sehr starke elektrische Felder, die dazu führen, dass die weggeräumten Elektronen wieder zurückfedern und zu schwingen anfangen. Daher entstehen eine Wellenstruktur in der Verteilung der Elektronen im Plasma und damit ein elektrisches Feld. Diese Welle läuft dem Laserpuls fast mit Lichtgeschwindigkeit hinterher, ähnlich wie die Kielwelle eines Bootes auf der Wasseroberfläche. Einige der freien Elektronen werden eingefangen und reiten auf ihr, wobei sie immer in Richtung des Laserpulses fast bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Sobald die Elektronen ihre maximale Geschwindigkeit erreicht haben, treffen sie frontal auf einen gegenläufigen Lichtpuls. Dessen elektrisches Feld in Wellenform zwingen die Elektronen auf einen ebenso wellenförmigen Schlingerkurs, wobei sie senkrecht zur Flugrichtung beschleunigt und wieder abgebremst werden. Dieses System nennen Physiker einen optischen Undulator. Auf ihrem wellenförmigen Kurs senden die Teilchen brillante Röntgenstrahlung aus, die eine Wellenlänge von bis zu 0,03 Nanometer aufweist. Zudem konnten bei diesen Experimenten zum ersten Mal die Oberschwingungen der Elektronenbewegung im Lichtfeld direkt im Röntgenspektrum sichtbar gemacht werden, was an Beschleunigeranlagen immer wieder versucht wurde.
Durchstimmbare, harte Röntgenpulse versprechen neue Anwendungen
Im Vergleich zu bisherigen Röntgenquellen bietet das System einen großen Vorteil: Es gibt nicht nur Röntgenlicht quasi von einer Farbe ab, die Wellenlänge lässt sich zudem über einen großen Bereich variieren, die Wellenlänge ist also durchstimmbar. So lässt sich die Wellenlänge je nach Anforderung wählen, zum Beispiel so, dass es einen Gewebetyp sehr gut durchdringt, einen anderen nicht. Auf diese Weise werden die Informationen, die man durch eine Röntgenuntersuchung gewinnt, noch genauer. Nicht nur durch die variable Wellenlänge und ihre hohe Brillanz zeichnet sich die lichtgetriebene Röntgenstrahlung aus, sondern auch durch ihre gepulste Form. Denn aus den Laserpulsen, die nur wenige Femtosekunden dauern, entstehen rund fünf Femtosekunden lange Röntgenpulse. Daraus werden sich neue Anwendungen ergeben, wie zum Beispiel die zeitaufgelöste Spektroskopie, mit der sich ultraschnelle Vorgänge im Mikrokosmos untersuchen lassen. Noch ist das Licht aus der neuen Quelle nicht intensiv genug, die einzelnen Pulse enthalten also nicht genügend Lichtteilchen. Die Pulse mit mehr Lichtteilchen werden die Physiker nun im neuen Centre for Advanced Laser Applications CALA anreichern. Sobald dies gelungen ist, kann die neue, lichtgetriebene Strahlung zum Beispiel im so genannten Phasenkontrast-Röntgentomographie-Bildgebungsverfahren eingesetzt werden. Diese Methode nutzt im Gegensatz zur üblichen Absorption der Strahlung ihre Brechung an Objekten. „Damit können wir heute schon bis zu zehn Mikrometer kleine Strukturen in nicht durchsichtigen Objekten aufspüren“, erläutert Stefan Karsch. „Mit der neuen Röntgenquelle werden wir dann noch genauere Informationen aus Gewebe oder anderem Material gewinnen.“ Originalpublikation: Tunable All-Optical Quasimonochromatic Thomson X-Ray Source in the Nonlinear Regime Stefan Karsch et al.; Physical Review Letters, doi: 10.1103/PhysRevLett.114.195003; 2015