Forscher konnten zeigen, wie sich SARS-CoV-2 in einem immungeschwächten Patienten über 102 Tage veränderte. Rekonvaleszentenplasma scheint neue Varianten begünstigt zu haben.
Bei einer Behandlung mit Rekonvaleszentenplasma kommt es auf den Zeitpunkt an. Im Kampf gegen COVID-19 sollte die Serumtherapie so früh wie möglich zum Einsatz kommen. Joyner et al. schlussfolgern, dass die frühe Verabreichung von hochtitrigem Rekonvaleszenzplasma gegen SARS-CoV-2 an leicht erkrankte, ältere Erwachsene das Fortschreiten von COVID-19 bremst. Bei Schwerkranken sei die Behandlungsform dagegen nicht geeignet. Zu diesem Ergebnis kommt nun auch eine britische Forschergruppe, und sie kann eindrucksvoll zeigen, warum.
Die Ärzte berichten über ihre Forschung in einem auf der Website von Nature publizierten Preprint. Sie behandelten einen Krebsüberlebenden, der an COVID-19 erkrankt war, mit Rekonvaleszentenplasma. In ihrer Arbeit dokumentieren sie, wie die Plasmatherapie Virusmutationen half, sich bei dem Patienten durchzusetzen. Über einen Zeitraum von 102 Tagen hinweg begleiteten Gupta et al. den Siebzigjährigen. Er wurde im Sommer 2020 in ein britisches Krankenhaus der Maximalversorgung aufgenommen. 35 Tage zuvor war er in einem kleinen Krankenhaus mittels Nasen-Rachen-Abstrich und PCR positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden.
Seine Krankheitsgeschichte vor der COVID-Diagnose war die eines hämatologischen Krebspatienten mit Marginalzonenlymphom (MZL) mit Erstdiagnose im Jahr 2012. Im Gefolge war der Patient mit den Chemotherapeutika Vincristin und Cyclophosphamid sowie mit Prednisolon behandelt worden, außerdem war eine B-Zell-Depletion mit Rituximab erfolgt. Die Autoren halten es für wahrscheinlich, dass sowohl die Chemotherapien als auch das zugrundeliegende Lymphom zu einer kombinierten Immunschwäche beigetragen haben könnten.
Bei Aufnahme in das maximalversorgende Krankenhaus im Sommer 2020 am Tag 35 der Erkrankung zeigte das Thorax-CT großflächige Anomalien, die auf eine COVID-19-Pneumonie hindeuteten. Die Behandlung umfasste zwei 10-Tages-Einheiten Remdesivir an den Tagen 41 und 54. Im Gefolge wurden zwei Einheiten Rekonvaleszentenplasma an den Tagen 63 und 65 appliziert. Nachdem sich der Zustand trotz der Therapien weiter verschlechterte, folgte eine weitere Therapiesequenz mit Remdesivir und mit Rekonvaleszentenplasma an Tag 95. Am Tag 102 starb der Patient.
Anschließend analysierten die Forscher mit Hilfe von Gesamtgenom-Sequenzierung Atemwegsproben zu insgesamt 23 verschiedenen Zeitpunkten in den gut 100 Tagen Krankeheitsverlauf. Dabei konnten sie in den ersten 57 Tagen, also bis zur zweiten Remdesivir-Behandlung, kaum Veränderungen bei den nachweisbaren Virusvarianten feststellen. Das änderte sich allerdings durch den Einsatz der beiden Therapiezyklen mit Rekonvaleszentenplasma: Im Gefolge dieser Behandlung beobachteten die Wissenschaftler große Veränderungen bei der Häufigkeit der unterschiedlichen Virusvarianten bzw. bei der Häufigkeit einzelner Mutationen.
Konkret wurde eine Virusvariante dominant, die sowohl die Mutation D796H als auch die del69-70-Mutation (auch ΔH69/ΔV70 genannt) im Spikeprotein aufwies. Diese Virusvariante ist in-vitro ähnlich infektiös wie der Wildtyp, sie ist aber etwas weniger empfindlich gegenüber Rekonvaleszentenplasma. Verantwortlich dafür war wohl die D796H Mutation, die für sich genommen in-vitro mit einer geringeren Infektiosität einhergeht, was durch die Deletion kompensiert wurde.
Nach den ersten beiden Behandlungen mit Rekonvaleszentenplasma ging es in Sachen Virusevolution wieder langsam rückwärts: Die per Rekonvaleszentenplasma applizierten Antikörper verschwanden mit zunehmendem Abstand zur Therapie, und parallel dazu verringerte sich der Anteil der Viren mit Escape-Genotyp zunächst stark. Sie kehrten aber wieder zurück, als kuruz vor dem Tod des Patienten das Rekonvaleszentenplasma zum dritten Mal verabreicht wurde.
Insgesamt weisen die Daten nach Auffassung der Wissenschaftler auf eine starke Selektion von SARS-CoV-2 während der Serumtherapie mit Rekonvaleszentenplasma hin: Es wurden Virusvarianten begünstigt, die mit einer verringerte Anfälligkeit gegenüber neutralisierenden Antikörpern assoziiert sind. Für den Verlauf der Erkrankung bei dem Patienten selbst war das wahrscheinlich irrelevant. Es zeigt aber, wie neue Virusvarianten bei den COVID-19-Patienten quasi herangezüchtet werden können, deren Immunsystem das Virus nicht zügig beseitigen kann.
Das sind wahrscheinlich relativ wenige Patienten, aber sie kommen vor. Neben Patienten mit einer krebsbedingten Immundefizienz sind auch Patienten mit therapeutischer Immunsuppression denkbare Kandidaten. So sind Patienten nach Transplantation beschrieben, bei denen SARS-CoV-2 sehr lange nachweisbar ist, was für Viruspersistenz spricht. Zu einem epidemiologischen Problem wird das dann, wenn solche Patienten die Escape-Variante weitergeben und Cluster verursachen, die zum Ausgangspunkt lokaler Epidemien werden.
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