Hin und wieder kommt es nach Impfungen zu schweren Erkrankungen – manchmal mit bleibenden Schäden. Dass diese tatsächlich auf die Impfung zurückzuführen sind, lässt sich nur schwer beweisen. Wie sieht die Datenlage bei unerwünschen Nebenwirkungen aus?
Es gibt von der WHO einen aktuellen Leitfaden, wann ein kausaler Zusammenhang zwischen Impfung und unerwarteten Ereignissen wahrscheinlich ist. Auf alle Fälle sollte ein Zusammenhang plausibel sein. Impfstoff und kurz danach ausbrechende Krankheit dürften sich nicht auf einen oder wenige Fälle beschränken. Dazu gehört auch die genaue Information über Patienten und die mögliche Komorbidität. Das WHO-Dokument unterscheidet dabei zwischen Kausalität beim Einzelfall und auf Bevölkerungsebene. Werkzeuge, um einen Nachweis oder zumindest einen Hinweis dafür zu führen, wären demnach Studien an Versuchstieren, ein Register mit Spontanmeldungen, wie es etwa das Paul-Ehrlich-Institut führt, Anwendungsbeobachtungen oder retrospektive Studien.
Wie nah zufälliges Zusammentreffen und ein selten auftretender kausaler Zusammenhang zwischen den zwei Ereignissen ist, zeigen folgende Zahlen: 1976 wurden in den USA 48 Mio. Dosen des Impfstoffs gegen Schweinegrippe verimpft. In der Folge traten 500 Fälle des Guillain-Barré Syndroms auf, was einer Wahrscheinlichkeit von 1: 100.000 gleichkommt. Ohne die Impfung tritt dieses Syndrom entsprechend britischen Zahlen durchschnittlich bei 1,9 mal /100.000 Einwohner auf. Eine Studie aus dem Jahr 2009 sieht keinen Zusammenhang zwischen Impfung und der Nervenkrankheit. Nach einer FSME-Impfung klagen rund 4,8 Prozent der Geimpften danach über Kopfschmerzen. Nimmt man einen beliebigen Tag im Jahr, so leiden rund 5,7 Prozent der Bevölkerung unter Kopfschmerzen. Beim Rotavirus-Efficiancy-and-Safety-Trial lag der prozentuale Anteil bei Säuglingen mit Symptomen wie Fieber, Erbrechen, Durchfall oder blutiger Stuhl bei der Gabe von Placebos meist über dem der Geimpften.
Weltweit gesehen, wandern rund 30.000 Dosen eines Impfstoffs pro Sekunde in die Blutbahn eines Menschen. Diese Impfungen verhindern, grob geschätzt, rund 2-3 Mio. Todesfälle. Schwere Impfzwischenfälle mit stationärem Klinikaufenthalt oder andauernden Behinderungen sind selten. Bei Tetanus kommt eine Komplikation auf mehr als eine Mio. Dosen, bei inaktivierten Influenza-Vakzinen auf 1-2 Fälle. Nimmt man den Impfstoff gegen den Influenza-Stamm H1N1, so standen einer Entwicklungszeit von rund vier Monaten einem JAMA-Artikel zufolge fünf Monate gegenüber, die die Impfung aufgrund ungeklärter Haftungsfragen auf ihren Einsatz warten musste. Um Zwischenfälle auszuschließen, braucht man große Studien mit Teilnehmerzahlen im vier- bis sechsstelligen Bereich. Wollte man die Verdoppelung des relativen Risikos für eine unerwünschte Wirkung feststellen, sind bei dessen Häufigkeit von 1:10.000 rund 235.000 Probanden notwendig.
Wie oft treten nun wirklich bei Impfungen unerwünschte Nebenwirkungen auf? Im Jahr 2015 registrierte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) 3.919 Fallmeldungen von unerwarteten Nebenwirkungen nach einer Impfung. Bei rund einem Drittel der Fälle handelte es sich dabei um schwerwiegende Fälle. Ein halbes Prozent davon endete tödlich, bei 1,5 Prozent kam es zu bleibenden Schäden. Unter den 18 Todesfällen fanden sich 11 Kinder sowie vier Erwachsene im Alter zwischen 68 bis 73. In jenem Jahr wurden dem Institut 10 Fälle einer Narkolepsie gemeldet, davon vier im Zusammenhang mit dem Grippeimpfstoff Pandemrix und fünf nach einer FSME-Impfung. Mehrere europäische Studien konnten dabei einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Grippeimpfung und Narkolepsie demonstrieren. Was die Meningoenzephalitis-Impfung angeht, traten bei fünf Patienten erste Symptome der Krankheit bereits bis zu sieben Jahre vor der Impfung auf. „In der EudraVigilance-Datenbank der EMA gibt es aus keinem anderen Land Meldungen einer Narkolepsie zu den in Deutschland zugelassenen FSME-Impfstoffen. Das PEI geht daher nicht von einem Risikosignal aus“, wie das PEI in seinem Bericht schreibt. „Einen Hinweis auf einen ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung gibt es nicht.“ Die zunehmenden Meldungen der Narkolepsie könnten vielmehr mit der erhöhten Aufmerksamkeit der Ärzte für dieses Leiden zu tun haben.
Immer noch ist die Datenbank des PEI ein wirksames Mittel, um möglichen unbeabsichtigten und bisher nicht dokumentierten Nebenwirkungen neu entwickelter Impfstoffe auf die Spur zu kommen. Allerdings ist sie kein Werkzeug, um die tatsächlichen Häufigkeiten solcher Nachwirkungen zu beschreiben. Dazu ist die Melderate zu ungenau und die Zahl der verimpften Vakzindosen nicht exakt genug zu bestimmen. Dennoch kann sie ein erster Alarmknopf sein, um dann auch nach der Impfstoff-Zulassung bei Bedarf weitere Fall-Kontroll- oder Kohortenstudien einzuleiten. Schon bei der Zulassung muss deswegen der Hersteller einen Impf-Management-Plan erstellen, welche Personengruppen weiter untersucht werden sollten, die besonders sensibel auf Herausforderungen für ihr Immunsystem reagieren. Das sind beispielsweise Säuglinge, immundefiziente Patienten oder Schwangere. Weitere Analysen über die Dauer des Impfschutzes und mögliche Booster-Impfungen sind ebenfalls im Impfmanagement-Plan gefordert.
Wenn es sich dagegen um lokale Schwellungen, Rötungen, leichtes Fieber und Kopf- oder Gliederschmerzen handelt, sind das eher Konsequenzen einer erwünschten Reaktion des Immunsystems auf den vermeintlichen Mikrobenangriff. Bei Säuglingen kann sich diese natürliche Reaktion bis zu einem Fieberkrampf steigern. Fieberkrämpfe kommen aber auch ohne Impfung bei rund drei Prozent aller Kleinkinder vor. Eine Diphterie-Pertussis-Tetanus-Impfung steigert das Risiko am Tag der Impfung um das sechsfache, eine Masern-Mumps-Röteln-Impfung in den zwei Wochen nach der Injektion um das knapp dreifache. Fast immer bleiben aber solche Fieberkrämpfe ohne Folgen. Eine Impfung gegen Rotaviren erhöht minimal (1: 20.000 - 1:60.000) das Risiko für eine Intussuszeption des Darms. Natürlicherweise kommt dieses Syndrom bei sechs pro zehntausend Säuglingen vor. Auf der anderen Seite verhindert die Impfung 400 bis 1.700 schwere Durchfallepisoden pro 100.000 Geimpften innerhalb von zwei Jahren. Anaphylaktische Reaktionen sind inzwischen sehr selten und treten im Durchschnitt nur mehr im Verhältnis von 1:1 Mio Impfdosen auf. Bei den Anträgen auf Schmerzensgeld nach Impfungen stehen Verletzungen der Schulter ganz weit oben. In den USA muss das Opfer keine Anstrengungen mehr machen, um einen kausalen Zusammenhang zwischen Impfung und seinen Oberarmbeschwerden aufzuzeigen. Ein zeitlicher Zusammenhang reicht aus. Allerdings liegt die Ursache in diesem Fall nicht beim Wirkstoff, sondern bei einem Fehler des Arztes. Sticht er zu hoch ein, kann die Nadel den Deltamuskel durchdringen und im Schultergelenk sowohl einen traumatisch bedingten Schaden als auch eine starke Immunreaktion hervorrufen, die Bindegewebe und Schleimbeutel schädigt und damit die Funktion des Gelenks beeinträchtigt.
Welche Folgen es haben kann, wenn der Einsatz eines Impfstoffs nicht ausreichend kontrolliert wird, zeigt sich in diesen Tagen auf den Philippinen. Seit 2016 wurden dort mit dem Impfstoff 830.000 Kinder gegen Dengue geimpft. Der bevölkerungsreiche Staat wurde damit zum Vorreiter für ein neu entwickeltes Vakzin von Sanofi. Erst nach umfangreichen Analysen bekannte die Pharmafirma, dass es ein erhöhtes Risiko für „Dengue-naive“ Kinder gäbe. Insgesamt gebe es laut Gesundheitsministerium bei drei von vierzehn gemeldeten und untersuchten Todesfällen einen kausalen Zusammenhang. Sanofi gestand ein, dass das Vakzin die Krankheit verschlimmern könne, wenn die Geimpften zuvor noch nie Kontakt mit dem Virus gehabt hätten. Die Impfkampagne wurde im Dezember von der Regierung gestoppt, Sanofi jedoch lehnt eine Rückerstattung der verkauften und nicht genutzten Vakzin-Chargen ab. Im Raum stehen auch mehrere Drohungen, die Firma für den entstandenen Schaden zu verklagen. Eine weitere wohl noch schlimmere Folge ist die Verunsicherung der Eltern, die zu einer deutlich verringerten Impfbereitschaft gegen andere gefährliche Infektionskrankheiten führte. Unter 60 Prozent Immunisierung in den letzten Monaten stehen einer Impfquote von 80-85 Prozent in den letzten Jahren gegenüber. Vor einigen Tagen meldeten die philippinischen Gesundheitsbehörden vier Masernepidemien seit Dezember 2017, obwohl die Krankheit vor 10 Jahren ausgerottet schien. Inzwischen starben mindestens vier Kinder an der gefährlichen Infektion. Enrique Domingo vom Gesundheitsministerium schätzte die Lage folgendermaßen ein: „Solange wir die Masern kontrollieren können, bleiben die Sterblichkeitsziffern sehr niedrig. Jedoch gibt es bei uns Polio, Diphterie oder Keuchheusten, die kräftezehrender und tödlicher sind.“