Synthetische Cannabinoide als Beimengung scheinen bundesweit auf dem Vormarsch zu sein. Deutschen Laboren zufolge herrscht ein hohes Risiko für schwere Nebenwirkungen und Vergiftungen.
Die EMCDDA (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction) warnte schon im November 2020, dass beschlagnahmtes Haschisch und Marihuana, aber auch E-Liquids und präparierte Papiere, mit synthetischen Wirkstoffen wie MDMB-4en-PINACA, 5F-MDMB-PICA oder 4-fluoro MDMB-BUTINACA versetzt waren – Nachweise, die sich aktuell häufen und Anlass zur Sorge geben.
„Der Konsument wird die veränderte Zusammensetzung nicht sofort wahrnehmen, da die beigemischten Wirkstoffe die Cannabiswirkung imitieren. Dieses Unwissen kann lebensgefährliche Folgen haben“, warnt Dr. Lars Wilhelm, Leiter der Toxikologie im LADR Zentrallabor Dr. Kramer & Kollegen in Geesthacht.
Die Ursache für das Auftreten von Vergiftungen liegt in den pharmakologischen Eigenschaften der Substanzen. Der eigentliche Cannabiswirkstoff ∆9-THC aktiviert Signalwege in den Nervenzellen, mit der entsprechenden, rauschhaften Wirkung. Synthetische Cannabinoide wie das MDMB-4en-PINACA wirken auf vergleichbare Weise, allerdings deutlich intensiver und länger anhaltend. So kann es zu unerwünschten Nebenwirkungen wie Psychosen, z.T. mit schweren Krampfanfällen, rascher Ohnmacht, Herzrasen, Bluthochdruck oder aggressivem, gewalttätigem Verhalten kommen. Auch starkes Craving (Verlangen nachzulegen) kann auftreten.
Die ungleichmäßige Verteilung des Wirkstoffs in der Droge erschwert die Dosierung und erhöht zusätzlich die Gefahr von Überdosierungen. „Sollte man nach dem Konsum von Cannabisprodukten ungewohnte oder besonders heftige Wirkungen feststellen, sollte man deshalb nicht zögern, einen Notarzt zu rufen“, rät Dr. Wilhelm. „Vermutlich werden sich viele scheuen, das zu tun, weil ihr Konsum dann auffliegt, aber unter Umständen kann das lebensrettend sein.“
MDMB-4en-PINACA ist seit 2017 in Europa im Umlauf. Der Fachbereich Toxikologie des LADR hat die Substanz im August 2019 erstmals in einer Stoffprobe identifiziert. „Seitdem spüren wir MDMB-4en-PINACA routinemäßig in unseren Analysen im Urin und seit Oktober 2020 auch im Kapillarblut auf“, sagt Dr. Lars Wilhelm. Im Jahr 2020 registrierten die Toxikologen im LADR Zentrallaboreine deutlich steigende Anzahl an positiven Ergebnissen.Im Oktober stellten sie nahezu eine Verdreifachung fest. Dieser Trend hat sich bis zum Jahresende 2020 fortgesetzt, wie die Abbildung zeigt.
Positive Proben für den Analyten MDMB-4en-PINACA aus Urin und Kapillarblut für den Zeitraum Januar bis Dezember 2020 (N=248); eigene unveröffentlichte Daten des LADR Zentrallabors Dr. Kramer & Kollegen
„Ein Grund, warum synthetische Cannabinoide vermehrt auftreten, liegt sicher darin, dass auf diese Weise minderwertige Cannabisprodukte vermeintlich aufgewertet werden können“, erklärt Dr. Wilhelm. Das heißt, sie wirken wie gewohnt oder stärker, allerdings um den Preis, dass sie noch heftigere Nebenwirkungen haben.“ Laut Wilhelm gibt es inzwischen erste Hinweise, dass auch sehr junge und unerfahrene Konsumenten diese Substanzen angeboten bekommen. Die Erfahrungen, die die Experten im LADR derzeit machen, decken sich mit denen aus dem Drug Checking (kurz: staatliche oder halbstaatliche Stellen mit dem Auftrag zur Testung der Zusammensetzung von Drogen), dem Arbeitskreis „Analytik der Suchtstoffe“ der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie sowie mit Berichten in diversen Internet-Foren.
Der Nachweis der synthetischen Cannabinoide ist sehr aufwendig. Das Testen vor Ort, das sogenannte Point-of-Care-Testing(POCT), ist daher nicht möglich. „Bei LADR setzen wir chromatographische Methoden mit massenspektrometrischer Detektion ein“, unterstreicht Dr. Wilhelm die Herausforderungen in der Diagnostik und sieht genau darin eine potenzielle Gefahr: „Da der Nachweis sehr anspruchsvoll ist, droht eine schleichende Weiterverbreitung dieser gefährlichen Substanzen. Umso wichtiger ist die Aufklärung, gerader junger Konsumenten, über die möglichen Gefahren.“
Dringend abraten kann der Experte in jedem Fall vor dem wissentlichen Konsum der synthetischen Substanzen. Denn MDMB-4en-PINACAetwa kommt verschiedenen Berichten zufolge auch in weißer oder gelblich-brauner Pulverform auf den Markt, vermutlich unter dem Straßennamen „Heavy Weight“. Synthetische Cannabinoide würden demnach häufig inhaliert, in dem man sie entweder auf Materialien aufbringt und diese raucht oder indem man sie in Flüssigkeit löst und verdampft. „Davon kann man nur dringend abraten“, warnt Dr. Wilhelm.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Laborverbunds Dr. Kramer & Kollegen (LADR).
Bildquelle: Add Weed, unsplash