Forscher haben einen neuen Mechanismus zur Entstehung der altersbedingten trockenen Makuladegeneration aufgeklärt. Schuld sollen im Genom vorhandene mobile genetische Elemente sein.
Die altersbedingte trockene Makuladegeneration (AMD) ist eine Augenerkrankung, die zum Verlust des Sehvermögens führt und an der ca. 7,4 Millionen Menschen in Deutschland leiden. Forscher des Paul-Ehrlich-Instituts haben in einem internationalen Forschungsverbund einen grundlegenden Mechanismus aufgeklärt, der über die Aktivierung im Genom vorhandener mobiler genetischer Elemente (Retrotransposons) dazu führen kann, dass bei trockener AMD Zellen in der Netzhaut des Auges absterben. Eine ebenfalls durchgeführte Metanalyse von Behandlungsdaten mit Medikamenten, die diesen Mechanismus unterbinden, untermauert dies. Über die Ergebnisse berichtet PNAS.
Forscher um Prof. G. Schumann, Abteilung Medizinische Biotechnologie des Paul-Ehrlich-Instituts, haben in einem internationalen Forschungsverbund den Mechanismus aufgeklärt, der ursächlich für geographische Atrophie bei trockener AMD verantwortlich ist. Hierbei sterben die für die Sehfähigkeit essenziellen Zellen des retinalen Pigmentepithels (RPE) ab, was zur Erblindung führen kann.
Wie das Forscherteam zeigen konnte, reichert sich bei der trockenen Makuladegeneration im Zytoplasma der RPE-Zellen die DNA transponierbarer Alu-Elemente an. Transponierbare Elemente sind bewegliche DNA-Abschnitte, die sich im Genom individueller Zellen ausbreiten können.
Links: Gesundes retinales Pigmentepithel (RPE); rechts: RPE, in dem Alu-RNA exprimiert wurde. Hier ist die Zerstörung der aneinandergrenzenden zellulären Membranstrukturen sichtbar. Quelle: J. Ambati / University of Virginia School of MedicineAnreicherung der Alu-DNA erfolgt durch das Umschreiben von Alu-RNA in Alu-DNA im Zytoplasma dieser Zellen durch Proteine der LINE1-Elemente, einer weiteren Gruppe von transponierbaren Elementen. Die angereicherte Alu-DNA schädigt die Zellen, die schließlich absterben – es ist plausibel, dass es so zur geographischen Atrophie kommt, der Spätform der altersbedingten Makuladegeneration.
Auch wie dieses Umschreiben geschieht, konnten die Wissenschaftler aufklären. Die Ergebnisse zeigen zudem erstmalig, dass Alu-RNA aufgrund ihres besonderen Aufbaus im Zytoplasma der RPE-Zellen durch Enzyme dieser Wirtszelle in DNA umgeschrieben werden kann. Es gibt keine Hinweise, dass diese DNA in den Zellkern gelangt und dort das Zellgenom modifiziert.
Aufgrund dieser neuen Erkenntnis, dass die Aktivität transponierbarer Elemente mit dem Prozess des Umschreibens der Alu-RNA in DNA für den Verlust des Sehvermögens bei trockener AMD verantwortlich sein können, gerieten bekannte Medikamente als mögliche Therapieoptionen in den Blick, die normalerweise zur Behandlung von Patienten mit HIV-Infektionen eingesetzt werden.
Diese Arzneimittel hemmen die reverse Transkriptase und damit das Enzym, das RNA in DNA umschreibt. Tatsächlich hemmen diese als Nukleosidische-Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI) bezeichneten Arzneimittel auch die Aktivität der Reversen Transkriptase, die für die oben beschriebenen Prozesse verantwortlich ist.
Dass diese Arzneimittel ein vielversprechender Therapieansatz sein könnten, zeigt die Auswertung von vier Datenbanken unterschiedlicher US-amerikanischer Krankenversicherungen, in die mehr als 100 Millionen Patienten über einen Zeitraum von 20 Jahren eingeschlossen waren. Innerhalb der Gruppe der mit NRTIs behandelten Personen erkrankten 40 % weniger an trockener AMD als Personen ohne NRTI-Behandlung.
Vorbereitungen für erste klinische Prüfungen zur Anwendung von NRTIs bzw. ihrer verträglicheren, als Kamuvudine bekannten Derivate wurden bereits initiiert.
Der Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Carla Oliveira, unsplash