Auf einer Pressekonferenz stellte der Deutsche Ethikrat heute Ad-hoc-Empfehlungen zu den Rechten Geimpfter vor. Der Faktor Infektiosität spielte eine zentrale Rolle. Die Ergebnisse im Überblick.
Seit einem Jahr bestehen gewisse Grundrechtseinschränkungen aufgrund des Infektionsschutzgesetzes zur Pandemiebekämpfung. Es geht darum, Ansteckungen zu vermeiden, Todesfälle zu verhindern und Langzeitschäden erst gar nicht möglich zu machen. Nun gibt es schneller als erwartet drei zugelassene Impfstoffe, leider aber zu wenig davon. Die beiden mRNA-Impfstoffe bieten nach der zweiten Impfung eine hohe Sicherheit von nahezu 95 Prozent, der Vektor-Impfstoff liegt etwas darunter. Nach wie vor ist unklar, inwieweit Geimpfte das Virus noch übertragen können. Es gibt erste Daten, dass der Impfstoff von AstraZeneca® die Virusübertragung deutlich reduziert (DocCheck berichtete). Bei den beiden mRNA-Impfstoffen erwarte man Ergebnisse, so der Deutsche Ethikrat, noch im März dieses Jahres.
Prof. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, betonte, es könne im Moment keine Aufhebung der Einschränkungen für Geimpfte geben, da bisher nicht sicher sei, ob von ihnen trotz Impfung eine Infektionsgefahr ausginge. Eine indirekte Rücknahme der eingeschränkten Freiheitsrechte komme aus diesem Grund im Moment nicht in Betracht, auch wenn das Thema augenblicklich heiß diskutiert werde. Man müsse die wissenschaftlichen Auswertungen noch abwarten, es fehle an der medizinischen Basis, damit Geimpfte auf Vorsichtsmaßnahmen verzichten könnten.
Es werde aber mit zunehmender Durchimpfung eine nachlassende Überlastung des Gesundheitssystems geben. Genau diese Überlastung zu vermeiden, rechtfertige die Einschränkungen bisher. „Wir warten auf die Auswirkungen der Durchimpfung“, so die Vorsitzende. Weiterhin konnte bei weitem noch nicht allen Impfwilligen ein Angebot gemacht werden. Kontaktbeschränkungen sollten an das Infektionsgeschehen angepasst bleiben und vorsichtig reduziert werden. Die Einschränkungen seien gerechtfertigt und verhältnismäßig.
Der stellvertretende Vorsitzende, Prof. Volker Lipp, macht deutlich, dass sich auch private Firmen an die staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen halten müssen. Solange es weder Großveranstaltungen oder Restaurantöffnungen gebe, könnten private Unternehmen auch keine Veranstaltungen für Geimpfte anbieten. Die Transmissions-Wahrscheinlichkeit Geimpfter ist auch hier der ausschlaggebende Gesichtspunkt.
Private Unternehmen, wie Fluggesellschaften, Busunternehmen oder Veranstaltungsträger, müssen sich zunächst an die staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen halten, bevor sie von ihrem privaten Vertragsrecht gebrauch machen könnten. Basale Angebote sollen für alle erhalten bleiben, wie etwa die Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Lipp nannte auch ein Extrembeispiel, wie das einzige Lebensmittelgeschäft in weitem Umkreis auf dem Land. Der Besitzer könne Nichtgeimpften zwar den Zutritt verweigern, müsse aber eine Grundversorgung anbieten, beispielsweise mit Einkaufspaketen außerhalb der Geschäftsräume. Da private Anbieter grundsätzlich Vertragsfreiheit haben, könnte es Beschränkungen nur geben, wenn es um die Erhaltung der basalen Gleichberechtigung der Teilhaber ginge.
Was die starken Kontakteinschränkungen der Pflegeeinrichtungen betreffe, solle es schnellst möglich verantwortbare und dem Infektionsgeschehen angepasste Reduzierungen geben.
Im Augenblick ist nicht klar, welcher Impfstoff in welchem Ausmaß vor einer möglichen Transmission des Virus schützt. Unklar ist auch, inwiefern Impfwillige sich bei der momentanen Impfstoffknappheit für ein bestimmtes Produkt in Zukunft entscheiden können. Was geschieht nun, wenn man ungewollt einen Impfstoff mit höherer Transmissionsrate erhalten hat oder sich das erst im Nachhinein herausstellt? „Das ist wie Pudding an die Wand genagelt“, so Buyx. „Als Medizinerin bin ich ein Freund davon, dass man Dinge in diesem Bereich selbst aussuchen kann, das geht aber im Moment nicht.“
Das verkompliziere die ethische Abschätzung und man müsse weiter auf diesen Punkt schauen. Eine zu erwartende Impfpflicht sehe sie in Zukunft nicht unbedingt, eher Alternativen wie etwa Tests. Den Begriff „Privilegien“ möchte die Vorsitzende aus der Debatte heraushalten, da er die Diskussion nur aufheizen und polarisieren würde. Auf die Frage, ob man die Testpflicht für Reiserückkehrer aus Risikogebiete bei Geimpften zurücknehmen könnte, kamen wiederum die ausstehenden Ergebnisse einer weiterhin möglichen Infektiosität ins Spiel. Darauf könne man nur verzichten, wenn von Geimpften keine Übertragungsgefahr mehr ausginge.
In der gestrigen Ausgabe farbebekennen der ARD äußerte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel genauso wie der Ethikrat heute in folgendem Punkt: Solange eine mögliche Virusübertragung Geimpfter auf nicht geimpfte Menschen wissenschaftlich nicht widerlegt ist und nicht jeder Impfwillige ein Angebot erhalten hat, kann es keine Zurücknahme von Einschränkungen geben.
Die Kanzlerin schaute aber weiter in die Zukunft und kommentiert ein Szenario, in dem alle ein Impfangebot erhalten haben und Einzelne es abgelehnt hätten, folgendermaßen: „Ok, wer das nicht möchte, der kann vielleicht auch bestimmte Dinge nicht machen.”
Über 2 Millionen Menschen wurden in Deutschland bereits mit einem mRNA-Impfstoff geimpft. Die Verträglichkeit war ausgesprochen gut, der Infektionsschutz ist sehr hoch, die Transmissionsrate aber noch unklar. Jeder, der möchte, wird im Laufe des Jahres voraussichtlich ein Impfangebot erhalten. Einige werden aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können.
Schwangere haben ein deutlich höheres Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19 Infektion, mütterliches und kindliches Leben sind dabei höher gefährdet als in der Normalbevölkerung (mehr zur Corona-Impfung in Schwangerschaft und Stillzeit). Im Moment gibt es noch keine Zulassung für diese Gruppe. Wenn alle ein Impfangebot bekommen haben, ist es eine Frage der Verantwortung, inwiefern vulnerable Gruppen, die nicht geimpft werden können, geschützt werden müssen.
Sobald die theoretische Transmissionsrate Geimpfter wissenschaftlich geklärt ist, wird sich zeigen, wer dann bestimmte Dinge machen kann oder auch nicht – aus Verantwortung für Andere.
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