Rostock gilt als Vorzeige-Stadt in der Pandemie: Keine andere deutsche Stadt hat durchschnittlich einen so niedrigen Inzidenzwert. Was läuft hier anders?
Rostock ist eine der wenigen Städte in Deutschland, deren Sieben-Tage-Inzidenz konstant unter dem kritischen Wert von 50 bleibt. Aktuell liegt der Wert bei 43,0 im Stadtkreis. Bereits seit Beginn der Pandemie ist die Stadt außergewöhnlich erfolgreich darin, die Infektionszahlen in Schach zu halten. Auffällig ist auch: Während des zweiten Lockdowns hat sich die Sieben-Tage-Inzidenz von Rostock verdreifacht, statt zu sinken. Was läuft in Rostock anders als in anderen Städten? Der Bürgermeister Claus Ruhe Madsen, gebürtiger Däne und ehemaliger Handelskammerpräsident, erklärt in einem Podcast von Capital und n-tv, warum er von einer effizienten Kontaktverfolgung mehr hält als von einem rigorosen Lockdown. Seine besondere Corona-Strategie im Überblick:
Bürgermeister Claus Ruhe Madsen, Foto: Kristina Becker - photovisionen Die Stadt hat Maßnahmen ergriffen, noch bevor es Landes- oder Bundes-Vorgaben dazu gab. „Wir waren sehr schnell und deswegen relativ zügig in der ersten Welle Corona-frei“, sagt Bürgermeister Madsen. „Es ist ein großer Unterschied, ob man Karneval oder Starkbier-Feste noch feiert und denkt, das kann immer noch eingestellt werden.“ Außerdem wurde zügig eine Masken-Pflicht im öffentlichen Raum eingeführt. Neben Appellen an die Bevölkerung wurde auch kontrolliert, ob sich die Einwohner tatsächlich an die Regeln halten. „Wir haben sehr, sehr viel Arbeit geleistet, dort zu stehen, wo wir heute stehen“, so Madsen.
Madsen hat in seiner Stadt intensiv auf mögliche Infektionen getestet – auch entgegen der offiziellen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI). „Gerade am Anfang durften sie ja nur jemanden testen, wenn er im Skiurlaub war oder Kontakt hatte oder bereits schwere Symptome“, so Madsen. „Wir haben bei Rettungspersonal, Feuerwehr, Polizisten und auch Mitarbeitern der Verwaltung getestet.“ In Zusammenarbeit mit einer regionalen Firma konnte er in Rostock eine sehr hohe Zahl an Testungen ermöglichen. Dabei stieß er auf großen Widerstand aus der Landes- und Bundespolitik. Er habe sogar ein Schreiben vom Ministerium bekommen mit der Bitte, mit dem zusätzlichen Testen aufzuhören. „Uns dann aufzufordern, das einzustellen, fand ich wirklich nicht gut. Wir müssen einen Schritt voraus sein […]. Wir sitzen mit den meisten meiner Mitarbeiter fast jeden Abend bis 22 Uhr und überlegen, was wir heute noch tun können.“
Rostock auf der Corona-Karte (blau markiert), Stand 04.02.2021. Quelle: Robert Koch-Institut COVID-19-Dashboard
Madsen ist überzeugt: Konsequentes Handeln in der Pandemie ist wichtig, auch wenn die Werte niedrig sind. Er hat gleich zu Beginn Mitarbeiter der Gewerbeaufsicht aufs Gesundheitsamt umschulen lassen. Auch mit diesem Vorhaben stieß er auf Kritik: „Vor allem zwischen der ersten und zweiten Welle sagte man mir: Claus, wir brauchen keine weiteren Leute im Gesundheitsamt. Die sitzen hier nur rum.“ Aber für Madsen war entscheidend, dass rechtzeitig genug Leute ausgebildet werden, wenn die Zahlen noch niedrig sind und nicht erst dann, wenn die Lage eskaliert. So konnten nach seinen Angaben Infektionsketten in Rostock bisher immer problemlos verfolgt werden, was zu weniger Ansteckungen führen kann.
Während des Lockdowns hatte sich die Sieben-Tage-Inzidenz in Rostock verdreifacht. Für diese paradoxe Entwicklung hat Madsen eine Erklärung, die das Konzept an sich infrage stellt. Denn die Menschen feiern auch im Lockdown weiter gemeinsam, essen und trinken in Gesellschaft. Ist das aber offiziell verboten, kann die Nachverfolgung schwierig werden: „Wer sich im Privaten infiziert, sagt beim Gesundheitsamt ja nicht: Ich war mit 40 anderen zusammen, und zählt seine Kumpels auf. Dann hat er keine Freunde mehr. Also sagt er: Ich habe keine Ahnung, wo das her ist. Und wir kommen nicht mehr in die Kontaktverfolgung“, sagt Madsen. Öffne man dagegen Restaurants und Geschäfte unter bestimmten Hygieneauflagen, ließe sich über Kontaktlisten immer nachvollziehen, wer mit wem dort war und wann. „Und wenn jemand sich infiziert, dann haben wir die Liste, können sofort die Kontakte ermitteln und haben eine Chance, das Ganze einzudämmen.“ So könnten auch Geschäfte weiterhin geöffnet bleiben und hätten weit bessere wirtschaftliche Aussichten.
Madsen zieht einen direkten Vergleich mit der Impfplanung in Dänemark – und fordert damit mehr Pragmatismus in der deutschen Impfstrategie. Jeder Däne sei in eine von 12 Gruppen eingeteilt worden und wisse so schon jetzt, wann sein Impftermin kommen wird. „Dänemark vermeldet dann auch den Erfolg, der Bürgern Hoffnung gibt: ‚Jetzt sind wir bei Stufe 2 angelangt’ und man weiß – oh, ich bin in 3, ich bin bald dran oder ich bin in 4 oder 6, wie auch immer. Jeder hat einen digitalen Zugang und sitzt nicht stundenlang in irgendwelchen Telefonschleifen.“ Das Rostocker Impfzentrum sei sofort fertiggestellt und auch auf den mobilen Einsatz der Mitarbeiter vorbereitet worden. Madsen habe sich bei der Planung am Kuchenbacken orientiert. „Sie kaufen ein, was Sie benötigen und stellen sich das bereit. Wenn Eier fehlen, dann warten Sie, dass endlich mal der Eiermann kommt. Aber alles andere haben Sie doch schon fertig.“ Deswegen sei schon früh der Kontakt zu Pflege- und Altenheimen hergestellt und ein eigener Impfplan erstellt worden. Daran konnten sich alle Beteiligten ortientieren, sobald es eine Impfung gab. „Wir hatten, glaube ich, schon vor wenigen Tagen alle Altersheime durch und auch an die zwei Prozent unserer Bürgerinnen und Bürger geimpft“, so Madsen.
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