Viel Rauch um Cannabis sativa: Forscher ermittelten, dass ärztlich verordneter Medizinalhanf den illegalen Konsum nicht – wie oft befürchtet – ankurbelt. Es bleiben aber offene Fragen, etwa zu möglichen Indikationen. Politiker machen sich für Kostenübernahmen durch GKVen stark.
Hierzulande existiert Sativex® als einziges Fertigarzneimittel auf Basis von Cannabis sativa. Bereits im Juni 2012 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Sativex® bei Multipler Sklerose einen geringfügigen Zusatznutzen gegenüber Vergleichstherapien bescheinigt – mit der Auflage, innerhalb von drei Jahren neue Daten vorzulegen. Mit dem Präparat sind große Hoffnungen verbunden. Momentan beschränkt sich alles auf die symptomatische Therapie von mittelschweren und schweren MS-Spastiken, falls andere Möglichkeiten ohne Erfolg geblieben sind: die einzige Indikation mit Kostenübernahme durch gesetzliche Krankenkassen. Bei anderen Erkrankungen oder bei Medizinalhanf sieht es düster aus.
„Die Bundesärztekammer hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Therapie mit cannabinoidhaltigen Arzneimitteln für bestimmte Patienten sinnvoll sein kann“, so BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery. Ältere Veröffentlichungen deuten auf einen Mehrwert bei Appetitlosigkeit, Übelkeit oder neuropathischen Schmerzen hin. Patienten mit dem Tourette-Syndrom profitieren ebenfalls von Delta-9-Tetrahydrocannabinol. Montgomery wünscht sich deshalb, eine Expertengruppe einzusetzen, um Empfehlungen zur zulassungsüberschreitenden Anwendung von Cannabis-Präparaten zu erarbeiten. Damit könnten Cannabis-Extrakte für weitere Hersteller interessant werden und die derzeitige Monopolstellung von Almirall Hermal beenden. Doch genau hier liegt das Problem: Weitere Daten gibt es nicht – weder zu MS, noch zu sonstigen Indikationen. Angesichts der prekären Situation haben G-BA-Vertreter beschlossen, die ursprüngliche Frist bis zum 1. Juni 2016 zu verlängern. Ihre Auflagen: Bis dahin muss wenigstens ein Patient an neuen Studien teilnehmen. In der Zwischenzeit bleibt es bei Erstattungsbeträgen deutlich unter dem Niveau der ersten zwölf Monate seit Markteinführung. Verlaufen entsprechende Untersuchungen negativ, kann der G-BA Sativex® jeglichen Zusatznutzen gegenüber Vergleichstherapien absprechen. Dann wären Krankenkassen nicht mehr verpflichtet, entsprechende Kosten zu übernehmen. Bei Medizinalhanf sieht die Sache nicht besser aus: Keine Daten, keine Kostenübernahme.
Dahinter verbirgt sich außerdem ein Politikum: Soll Cannabis sativa zur medizinischen Anwendung legalisiert werden oder nicht? Kritiker befürchten auch in den USA einen steigenden Konsum jenseits medizinischer Indikationen – zu Unrecht, wie Deborah S. Hasin, New York, jetzt berichtet. Zusammen mit Kollegen hat die Forscherin Daten von mehr als einer Million Schülern zwischen 13 bis 18 Jahren ausgewertet. Den Zeitraum, sprich 1991 bis 2014, wählte sie so, dass gesetzliche Änderungen mit erfasst wurden: Mittlerweile haben 21 Bundesstaaten Cannabis sativa in medizinischem Kontext legalisiert. Trotzdem änderte sich der Konsum nach Einführung gesetzlicher Novellen nicht. Hasin zufolge gab es jedoch vor der Legalisierung Unterschiede. In restriktiven Bundesstaaten lag der Marihuana-Konsum unter Teenagern bei 13,3 Prozent – verglichen mit 15,9 Prozent in Gegenden mit liberaler Politik. Darauf hatten neue Regelwerke, die Medizinalhanf legalisierten, allerdings keinen Einfluss.
Bei Politikern ist das Signal jedenfalls angekommen. „Wir sollten verstärkt dazu übergehen, für Patienten mit chronischen Schmerzen Cannabisprodukte bereitzustellen. Sie sollten in jeder Apotheke zu haben sein“, so SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Und weiter: „Die Produkte müssen zugelassen, sicher und verträglich sein, so wie jedes andere Medikament auch.“ Marlene Mortler (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung, plant noch in diesem Jahr ein Gesetz, um Cannabispräparate möglichst vielen Patienten zugänglich zu machen – als Kassenleistung, wohlgemerkt. Damit wären juristische Zwistigkeiten vom Tisch: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lehnt ab, dass Patienten Cannabis für den Eigengebrauch bei diversen Krankheiten anbauen – und hat vor dem Kölner Verwaltungsgericht eine Schlappe hinnehmen müssen. Mittlerweile läuft die Berufung. Apotheker und Ärzte teilen Bedenken des Instituts; sie argumentieren vor allem mit der schwankenden Qualität heimischer Hanfzuchten. „Bei einem ‚Eigenanbau im Wintergarten‘ ist die Einhaltung der hohen Qualitätsstandards, die aus Gründen der Arzneimittelsicherheit an Arzneimittel anzulegen sind, nicht gewährleistet“, sagt Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer. „An Cannabis-Blüten müssten vom Anbau bis zur Anwendung die gleichen Qualitätsstandards wie für alle anderen Arzneimittel angelegt werden.“ Derartige Bekenntnisse helfen Patienten momentan nicht weiter. Ihnen bleibt nur, auf Änderungen im Leistungskatalog von GKVen zu warten.