Sie ist wieder auf dem Vormarsch: Weltweit nimmt die Zahl der Syphilis-Infektionen zu. Worauf Urologen in der Praxis achten sollten und wie die Therapie gelingt.
Die Syphilis hat nicht nur historische Bedeutung mit vielen prominenten Erkrankten, sondern erlebt auch seit Jahren wieder eine Renaissance: So hat die Erkrankung 2019 erneut einen Höchststand mit 7.889 gemeldeten Fällen in Deutschland erreicht.
Daher hier ein kleiner Abriss zur Geschlechtskrankheit:
Der Erreger ist eine Spirochäte, also ein spiralförmig gewundenes gramnegatives Bakterium, Treponema pallidum ssp pallidum. Es kann sich um seine Längsachse drehen und beugen und ist obligat pathogen. Die Generationszeit ist mit 30 Stunden sehr lang. Es hat nur wenige Oberflächenantigene, somit eine geringe Antigenität und wird daher auch als Tarnkappenerreger bezeichnet. Nach dem Eindringen wird es sehr schnell über das Blut in verschiedene Organe verteilt. Dies und das langsame Wachstum des Erregers begünstigen die Immunevasion.
Kultur von Treponema pallidum
Durch die Verengung des Gefäßlumens der kleinen Arterien ergibt sich eine Endarteriitis und Periarteriitis, die für viele pathologischen Veränderungen verantwortlich ist. Die Granulome im Tertiärstadium bilden sich durch T-Zell-abhängige Immunreaktionen. In ihnen finden sich nur noch wenige lebende Treponemen.
Einziges Erregerreservoir ist der Mensch. Außerhalb des Körpers überlebt der Erreger nur kurz, in gekühlten Blutkonserven waren nach 5 Tagen noch Treponemen nachweisbar.
Ansteckung findet am häufigsten durch direkte sexuelle Kontakte statt, wobei der Erreger durch Mikroläsionen der Schleimhaut oder Haut eindringt. Bei einem oralen Ulkus reicht Küssen für eine Ansteckung aus. Übertragungen durch kontaminierte Nadeln oder andere Gegenstände sind selten. Blutkonserven werden getestet, sodass hier in den letzten Jahren keine Infektionen bekannt wurden. Eine diaplazentare Übertragung von Mutter auf das ungeborene Kind ist möglich – bei frischer Infektion sogar hochwahrscheinlich. Eine Screening-Untersuchung ist für alle Schwangeren vorgesehen, daher kommt es in Deutschland nur noch vereinzelt zur angeborenen Syphilis (Lues connata).
Die frische Erkrankung ist hochkontagiös, einige wenige Treponemen reichen aus, um einem Primäraffekt zu induzieren. Im 2. Erkrankungsstadium ist sie noch immer infektiös, das 3. Erkrankungsstadium gilt als nicht mehr ansteckend. Die Inkubationszeit bis zum Auftreten der Primärläsion beträgt im Durchschnitt 3 Wochen, kann aber zwischen 10 und 90 Tagen liegen.
Das Auftreten der „Lustseuche“ ab Ende des 15. Jahrhunderts wird nach einer häufig genannten Theorie mit Kolumbus Rückkehr aus Amerika in Zusammenhang gebracht. Die Erkrankung wurde oft mit dem Namen einer anderen, meist unbeliebten, Nation beschrieben (Mal de Naples, French Pox, Spanske Pocken) und fand eine weite Verbreitung in Europa. Allerdings war bis ins 19. Jahrhundert nicht klar, dass es sich bei Gonorrhoe und Syphilis um zwei verschiedene Entitäten handelte.
Bis Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts war weltweit ein deutlicher Rückgang der Infektionen zu verzeichnen, seitdem kommt es wieder zu einem deutlichen Anstieg. Während lediglich 6 Prozent der Erkrankten Frauen sind, die die Erkrankung häufig heterosexuell erwerben, sind die meisten männlichen Erkrankten Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Hohe Inzidenzen treten vor allem in Ballungsgebieten auf, die meisten Infektionen werden im Inland erworben. Die Koinzidenz mit HIV ist hoch, bei MSM bis 50 Prozent. Als Gründe hierfür wird die Präexpositionsprophylaxe (PreP) gegen HIV genannt, die das Risikoverhalten ändert, aber auch für eine bessere Diagnostik der Syphilis sorgt. Zudem sorgen auch vermehrte Online-Partnersuchen für eine ansteigende Zahl der Sexualpartner und Risikokontakte.
Achtung, die Klinik kann stark variieren! Nicht alle Infektionen führen zu einem symptomatischen Verlauf, trotzdem kann es zu einer chronischen Erkrankung kommen, die verschiedenste Organsysteme betreffen kann. Eine Spontanheilung bei unbehandelten Erkrankten ist möglich.
Die Klinik wird unterteilt in die symptomatischen Stadien: Primäre Syphilis (Lues I), Sekundäre Syphilis (Lues II) und die Tertiäre Syphilis (Lues III), außerdem gibt es die Neurosyphilis (Quartäre Syphilis, Lues IV) und die connatale Syphilis. Die asymptomatischen Phasen werden Latenzphasen genannt.
Zusätzlich gibt es die – auch für die Therapie wichtige – Einteilung in die Frühsyphilis bzw. früh latente Syphilis. Diese gilt bis ein Jahr nach der Infektion. In diese Zeit fällt das Primärstadium und das Sekundärstadium.
Nach einem Jahr wird die Erkrankung als Spätsyphilis bezeichnet und beinhaltet die Spätlatenz, das Tertiärstadium und die Neurosyphilis, sofern die Erkrankung nicht ausheilt.
Primäre Syphilis: An der Eintrittsstelle des Erregers entsteht nach ca. 3 Wochen (10–90 Tage) zunächst eine kleine Papel, die sich im Verlauf zu einem schmerzlosen Ulkus mit Randwall entwickelt (Primäraffekt, Ulkus durum, harter Schanker). Der zugehörige Lymphknoten vergrößert sich ebenfalls schmerzlos, ist aber beweglich und schmilzt nicht ein. Beides zusammen bildet den Primärkomplex. Cave: Das Ulkus ist hochinfektiös. Oft entwickelt es sich auf der Glans penis, dem Sulcus coronarius oder den Labien der Frau, aber je nach Sexualpraktiken kann es auch an den Lippen, in Mund und Rachen oder Anus und Rektum entstehen und dort auch Schmerzen verursachen. Nach 4–6 Wochen kommt es zu einer spontanen Abheilung. Dieser typische Primäraffekt entsteht jedoch nicht immer, das Ulkus kann auch superinfiziert sein oder mehrere kleinere Ulzera können entstehen.
Sekundäre Syphilis: Diese Phase entsteht durch die hämatogene und lymphogene Aussaat des Erregers. Zu diesem Zeitpunkt weist noch ein Teil der Patienten einen Primäraffekt auf, andererseits können sich einige der Patienten gar nicht mehr an einen solchen erinnern. Es kann zu Entzündungsreaktionen verschiedener Organe kommen, z. B. einer Immunkomplex-Glomerulonephritis. Die Hauterscheinungen werden auch als „syphilitischer Affe“ bezeichnet, da die Erkrankung andere Hauterkrankungen „nachäffen“ kann.
4–12 Wochen nach der Infektion kommt es öfter zu Allgemeinsymptomen wie Fieber, Gelenk- und Muskelschmerzen und Müdigkeit. Zumeist besteht eine harte Schwellung vieler Lymphknoten. Typisch wäre das Auftreten eines stammbetonten, kaum zu erkennenden, masernähnlichen, fein-makulösen Exanthems ohne Juckreiz und ein Exanthem der Handinnenflächen und Fußsohlen. Meist klingen die Exantheme nach 2–3 Wochen ab. Es kann zu einem oder mehreren Rezidiven der Hauterscheinungen kommen und sich dabei das Aussehen ändern. Einmal betroffene Hautstellen bleiben aber bei den Rezidiven verschont. Vor allem bei letzterem kommen auch Lichenoide oder konfluierende, papulöse Hauterscheinungen vor. Condylomata lata sind eher im Bereich des Perineums und der intertriginösen Bereiche zu finden. Sie sind, vor allem wenn sie nässen, hochinfektiös.
Die Alopecia specifica areolaris bezeichnet einen mottenfraßartigen Haarausfall, der im Bartbereich mit himbeerartigen Papillomen vergesellschaftet ist. Das berühmte „Halsband der Venus“ beschreibt zurückbleibende Depigmentierungen im Bereich des seitlichen Halses. In der Mundhöhle kann es zu Plaques kommen, die sowohl dunkelrot als auch weiß erscheinen können. Eine Angina specifica ist möglich. Nach bis zu 2 Jahren heilen die Hauterscheinungen üblicherweise ab.
Tertiäre Syphilis: Wird die Syphilis nicht behandelt oder heilt nicht spontan aus, kann es nach einer jahrelangen Latenzphase zu folgenden Organmanifestationen kommen:
Neurosyphilis: Zwar treten bei 15–40 Prozent der unbehandelten Patienten Treponemen im Liquor auf, aber es entwickelt nur ein geringer Anteil der Patienten eine späte Neurosyphilis. Lange Zeit war das Auftreten sehr selten, erlangt aber durch die häufigen gleichzeitigen HIV-Infektionen wieder mehr Bedeutung. Es gibt mehrere Subtypen:
Die Tabes dorsalis ist Folge der Hinterstrangdegeneration des Rückenmarkes. Typisch sind einschießende Schmerzen in Unterbauch und Beine mit Sensibilitätsverlusten.
Lues maligna: Es liegt ein schwerer Verlauf mit deutlicheren Allgemeinsymptomen, ulzerierenden und nekrotisierenden Hauterscheinungen und verkürzter Latenzzeit bis zum Tertiärstadium vor (oft bei schlechterer Immunabwehrlage, z. B. Koinfektion mit HIV).
Lues connata: Infiziert sich die Mutter während der Schwangerschaft, so wird die Infektion auf das Kind übertragen. Unbehandelt kommt es in einem Drittel der Fälle zu einem Abort, einer Totgeburt, Tod in der Perinatalphase oder Frühgeburt. Mit längerem Verlauf der Erkrankung der Mutter sinkt die Übertragungshäufigkeit auf das Kind.
Bei der Lues connata präcox (Neugeborene, Säuglinge) sind die meisten Kinder bei der Geburt noch unauffällig, dann treten Rhinitis, ähnliche Hauteffloreszenzen wie beim Erwachsenen, pathologische Frakturen, aber auch hepatische Symptome auf. Meningitiszeichen erscheinen meist zwischen dem 3. und 6. Lebensmonat. Achtung: Die Kinder sind hoch-kontagiös. Kinder mit einer Lues connata tarda können die Hutchinson-Trias aufweisen (Sattelnase, interstitielle Keratitis mit Erblindungsgefahr und eingekerbten Tonnenzähnen). Zusätzlich kann es zur Entwicklung von Säbelschienbeinen, Hirnnervenausfällen, Taubheit, Hydrozephalus oder Krämpfen kommen.
Aus einem fraglichen Primäraffekt kann man natürlich auch heute noch die Dunkelfeldmikroskopie mit der Direktmikroskopie der lebenden Erreger durchführen. Sensitiver ist allerdings ein PCR-Abstrich, dies gilt insbesondere bei Abstrichen aus Oropharynx und Rektum.
Allerdings erfolgt die Diagnose der Syphilis in der Regel serologisch. Ein Ausgangsbefund ist auch zur Therapiekontrolle wichtig, ebenso wie die Unterscheidung, ob es sich um eine frische Infektion oder um eine alte, therapierte Syphilis mit einer Seronarbe handelt. Da die Labore unterschiedliche Testverfahren vorhalten, sollten Kontrolluntersuchungen immer im gleichen Labor erfolgen. Eine Abgrenzung zu den nichtvenerischen Trepomatosen (z. B. Frambösie, Pinta) ist schlecht möglich.
Hier kann man 2 Gruppen unterscheiden:
Der 19S-IgM-FTA-ABS-Test weist nur die IgM-Antikörper nach und hat eine sehr hohe Spezifität. Außerdem sind EIA und ELISA-Tests als Alternativen auf dem Markt.
Ist der Suchtest und ein Bestätigungstest positiv, müssen Titerbestimmungen der Cardiolipinantikörper und ein IgM-Antikörpertest erfolgen. Sind diese ebenfalls positiv und hat bisher keine Therapie stattgefunden, muss behandelt werden. Die Cadiolipinantikörpertiter und IgM-Antikörpertiter sinken unterschiedlich schnell nach effektiver Therapie, auch abhängig davon, wie lange die Infektion schon bestand, bis die Therapie eingeleitet wurde. Sie werden nach Monaten bis Jahren wieder negativ, während der TPHA-/TPPA-Titer positiv bleibt.
Im weiteren Verlauf ist eine serologische Unterscheidung, ob eine Reinfektion oder eine Reaktivierung vorliegt, nicht möglich. Beide zeigen einen Anstieg des TPHA-/TPPA-Titers und des Cardiolipintiters um mindestens 2 Stufen. Allerdings ist die Antikörperkinetik bei den IgM-Antikörper sehr variabel, diese können fehlen oder der Titer sehr hoch sein. Wichtig ist, dass ein negativer IgM-Test eine spätlatente Syphilis nicht ausschließt.
Beim Verdacht auf eine Neurosyphilis reicht zumeist die Blutserologie. Ist diese negativ, liegt keine Neurosyphilis vor. Ist die Blutserologie positiv, müssen zur Bestätigung der Neurosyphilis gleichzeitig Serum- und Liquorproben zur Diagnostik entnommen werden. Bei Patienten mit einer HIV-Koinfektion und einer Immundefizienz liegen jedoch gehäuft Liquorveränderungen vor, sodass dann auch ohne eine neurologische Symptomatik eine Liquordiagnostik empfohlen wird.
Tipp: Hat man den vagen Verdacht auf eine Syphilis oder möchte diese ausschließen, so reicht normalerweise die Angabe „Lues-Suchtest“ auf der Überweisung, bei klinisch komplexeren Sachverhalten sollte man diese auch beschreiben oder mit dem Labormediziner bereden. Bei Titerkontrollen empfiehlt es sich, diese immer im selben Labor durchführen zu lassen.
Aber auch bei einer schlecht heilende Wunde (z. B. nach Zirkumzision) mit histologisch beschriebener granulomatöser Entzündung sollte mal an eine Syphilis denken lassen.
Die Therapie der Wahl ist Penicillin, der Wirkspiegel muss, wegen der langen Generationszeit des Erregers, über mindestens 10 Tage kontinuierlich erhalten bleiben. Es gilt für den ansonsten gesunden Erwachsenen ohne Neurosyphilis:
Alternativtherapien bei Penicillinallergie oder in Spezialfällen (Schwangerschaft, Kinder, Neurosyphilis) finden sich im Leitfaden der DSTIG oder der AWMF-Leitlinie.
Achtung: Unter einem massiven Zerfall der Treponemen kann es zu einer Jarisch-Herxheimer-Reaktion kommen. Daher kann zur Prophylaxe Prednisolon 1mg/kg KG p. o. eine Stunde vor der Penicillintherapie eingenommen werden.
Die 1. Kontrolle sollte 3–4 Wochen nach Therapiebeginn erfolgen, gleichzeitig mit der klinischen Kontrolle vorhandener Effloreszenzen. Es kann unter der Therapie zunächst noch zu einem Titeranstieg kommen, diese Werte dienen daher als Ausgangswerte. Bestimmt werden sollten quantitativ die Cardiolipinantikörper (VDRL-/RPR-Test) und die IgM-Antikörper (19S-IgM-FTA-ABS-Test/IgM EIA), um den Therapieerfolg zu erkennen. Zusätzlich sollte auch ein Treponemen-Gesamttiter (TPHA/TPPA) bestimmt werden. Dieser lässt zwar keinen direkten Rückschluss auf den Therapieerfolg zu, meist ist aber ein kontinuierlicher Abfall über Jahre oder eine Titerpersistenz zu erkennen. Kommt es dann im Verlauf zu einem Anstieg über mindestens 2 Stufen, so ist von einer Reinfektion oder einem Infektionsrezidiv auszugehen.
Weitere Titerkontrollen sollen 3, 6, 9 und 12 Monate nach Therapiebeginn erfolgen. Bei Therapie der Frühsyphilis ist ein Titerabfall über mindestens 2 Stufen innerhalb weniger Monate bis zu einem Jahr zu erwarten, bei Therapie späterer Stufen kann der Abfall länger dauern.
Die Erkrankung ist nichtnamentlich meldepflichtig (§ 7 Abs. 3 IfSG). Üblicherweise meldet sich das Labor mit dem Meldezettel und der Kliniker ergänzt noch weitere Angaben.
Bei Frühsyphilis sollten alle Sexualpartner der letzten 3 Monate, bei frühlatenter oder Sekundärsyphilis die Partner der letzten 12 Monate informiert werden. Lokal gehäufte Ausbreitungen können mit dem Gesundheitsamt und/oder dem RKI besprochen werden.
Inzwischen gibt es auch niederschwellige Angebote für Tests, die zugeschickt werden, Zu Hause entnommen und zurückgesandt werden können. Es gibt auch Schnelltests als POC-Tests, die als Zusatzangebote für ansonsten nicht erreichbare Patienten genutzt werden können. Ist der Patient aber in der Praxis, sollte die sensitivere Labordiagnostik durchgeführt werden.
Wichtig erscheint mir: Denkt an die Syphilis und fragt ohne Vorbehalte und unvoreingenommen eure Patienten nach Symptomen und ob sie einer Diagnostik zustimmen.
Bildquelle: Dima Pechurin, Unsplash