QT-Verlängerungen sind gefährlich und werden oft übersehen. Ein mobiles EKG-System soll dabei helfen, mehr Risikokandidaten herauszufischen.
Verlängerungen der QT-Zeit bzw. des QT-Intervalls im Standard-EKG auf 550 Millisekunden oder mehr gelten als wichtiger Risikofaktor für einen plötzlichen Herztod. Sie können erblich oder durch eine ganze Reihe an unterschiedlichen Medikamenten bedingt sein. „Klassiker“ unter den die QT-Zeit verlängernden Medikamenten sind Chinolone, Makrolide und andere Antibiotika, außerdem diverse Antidepressiva, nahezu alle Antiarrhythmika, aber auch häufig eingesetzte Substanzen wie Furosemid, Hydrochlorothiazid, Pantoprazol, Ranolazin und Ivabradin.
Neben Genen und Medikamenten können auch systemische Erkrankungen die QT-Zeit verlängern. Dies scheint auch für COVID-19 zu gelten, hier ist das letzte Wort aber noch nicht gesprochen. Zumindest wurden im COVID-19-Kontext QT-Verlängerungen in Fallberichten wie diesem hier beschrieben, die sich eher nicht auf die eingesetzten Medikation zurückführen ließen.
Definitionsgemäß wird der Beginn von „verlängerter QT-Zeit“ meist auf 550 Millisekunden festgelegt. Bei medikamentöser QTc-Zeit-Verlängerung wird häufig empfohlen, ein QT-verlängerndes Medikament dann abzusetzen, wenn die QTc-Zeit um mehr als 50 Millisekunden zunimmt oder absolut über eine Grenze von 500 Millisekunden steigt.
Im Umkehrschluss heißt das, dass bestimmte Medikamente bei einer QTc-Zeit von schon vorher 500 Millisekunden oder mehr gar nicht erst angesetzt werden sollten, insbesondere dann nicht, wenn es Alternativen gibt. In der Praxis ist das oft schwer umsetzbar, im Wesentlichen deswegen, weil die QTc-Zeit – der Abstand vom Beginn der Q-Zacke bis zum Ende der T-Welle – zu selten gemessen bzw. im Verlauf kontrolliert wird.
Hier setzen Experten um den Kardiogenetiker Dr. Michael Ackerman von der Mayo Clinic an, die in der Zeitschrift Circulation über einen Maschinenlernalgorithmus berichten, der anhand eines mobil aufgezeichneten 6-Kanal-EKGs die QTc-Zeit ermittelt und damit dem EKG-Monitoring völlig neue Dimensionen eröffnet. Seitens der zugrundeliegenden Algorithmen kooperiert Ackerman mit dem Mayo-KI-Team um Zachi Attia, das in den letzten Jahren schon mehrfach bahnbrechende Forschung zur KI-gestützten Auswertung von Routine-EKGs geleistet hat.
Das Problem an der maschinellen QTc-Zeit-Messung ist, dass sie präzise sein muss, um nützlich zu sein. Mit den oft verwackelten 1-Kanal-EKGs, die eine Smartwatch liefert, geht das nicht. Die Mayo-Ärzte nutzen deswegen ein separates Device eines unbestrittenen Marktführers im Bereich der Mobil-EKGs, des US-Unternehmens AliveCor. Dessen Kardia Mobile 6L ist eine Art Smartphone-kompatibler Metallstreifen. Er weist auf der Vorderseite zwei Elektroden für die beiden Daumen oder Zeigefinger auf und auf der Rückseite eine dritte Elektrode, die zum Beispiel aufs Knie gelegt werden kann. So lässt sich ein qualitativ hochwertiges 6-Kanal-EKG per Smartphone ableiten.
Das war aber erst der zweite Schritt. Am Anfang stand die Entwicklung eines Algorithmus für die automatische Bestimmung der QT-Zeit. Für Training, Testung und erste Validierung ihres „QT-meter“ nutzten die Wissenschaftler über 1,6 Millionen 12-Kanal-EKGs von einer halben Million Patienten. Nachdem das so weit war, kam die prospektive Evaluation bei knapp 700 konsekutiven Patienten, die sich in der Sprechstunde der Mayo Clinic vorstellten und von denen rund die Hälfte ein kongenitales Long-QT-Syndrom hatte.
Von diesen Patienten wurde jeweils ein mobiles EKG mit 6 Kanälen aufgezeichnet und die QTc-Zeit dann mit dem „QT-meter“-Algorithmus ermittelt. Außerdem wurde zur selben Zeit bzw. maximal fünf Minuten versetzt ein 12-Kanal-EKG aufgezeichnet. Letzteres wurde als Goldstandard doppelt ausgewertet, von einem in der QTc-Zeit-Bestimmung erfahrenen Rhythmologen und von einem Labor mit diesbezüglich spezieller Expertise.
Im Ergebnis zeigte sich, dass auch dann ein hoher Anteil der Patienten mit QTc-Verlängerung von dem Algorithmus erkannt wird, wenn er auf Basis eines mobilen 6-Kanal-EKGs und nicht auf Basis eines stationären 12-Kanal-EKG arbeitet. Die diagnostische ‚area under the curve‘ für die mobile, KI-gestützte Messung im Vergleich zur Goldstandard Expertenmessung betrug 0,97. Das entsprach in Bezug auf die Detektion einer QTc-Zeit von 500 Millisekunden oder mehr einer Sensitivität von 80 Prozent und einer Spezifität von 94 Prozent.
Die Sensitivität dürfte noch etwas besser werden, zumindest war das bisher die Erfahrung bei anderen, von derselben Arbeitsgruppe entwickelten EKG-Algorithmen. Der Kardiologie-Chef der Mayo Clinic, Prof. Paul Friedman, jedenfalls ist angetan: „Diese Anwendung ist massiv skalierbar, weil sie mit einem Smartphone verknüpft ist. Und sie kann Leben retten, indem sie einer Person mitteilt, dass eine bestimmte Medikation problematisch sein kann, noch bevor die erste Tablette eingenommen wird.“ Bisher ist das EKG-System von AliveCor für die Diagnostik von Vorhofflimmern sowie für das Erkennen von Bradykardien und Tachykardien durch die FDA zugelassen.
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