Seit Jahren gibt es Streit darüber, ob Notfallsanitäter heilkundliche Maßnahmen durchführen dürfen. Ein neues Gesetz soll Klarheit schaffen. Und sorgt für Jubel – und Skepsis.
Wieviel Heilkunde dürfen Notfallsanitäter bei ihrer Arbeit übernehmen? Diese Frage sorgte lange für Unsicherheit und Streit. Jetzt wurde vorest eine Lösung gefunden. Mit der Änderung des Notfallsanitätergesetzes ist es Notfallsanitätern künftig erlaubt, heilkundliche Maßnahmen eigenverantwortlich durchzuführen, bis ein Notarzt eintrifft. Das gilt bei Lebensgefahr des Patienten oder wenn wesentliche Folgeschäden drohen. Der Bundestag hat das Gesetz am 28. Januar 2021 mit den Stimmen der Unionsfraktionen, der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke geändert. Die Neuerungen sind Teil des MTA-Reformgesetzes.
Notfallsanitäter steckten bei ihrer Arbeit bisher häufig in der Zwickmühle. Oft sind sie mit dem Rettungswagen vor dem Notarzt am Einsatzort. Bis der Arzt da ist, müssen sie in lebensgefährlichen Situationen invasive heilkundliche Maßnahmen ergreifen oder auch Notfallmedikamente verabreichen, um Patienten zu retten.
Das Problem: Die Notfallsanitäter risikierten dabei, sich strafbar zu machen. Denn wird der Notfallsanitäter in einem solchen Fall tätig, erfüllte er Janosch Dahmen, Notarzt und Grünen-Abgeordneter im Bundestag bislang den Straftatbestand des Heilpraktikergesetzes, indem er gegen den Heilkundevorbehalt verstieß. Danach sind ausschließlich Ärzte befugt, selbstständig Maßnahmen der Heilkunde durchzuführen. Wurde der Notfallsanitäter aber nicht tätig, erfüllte er den Tatbestand der Körperverletzung durch Unterlassen. „Notfallsanitäter mussten sich im Zweifel auf eine rechtliche Regel (Anmerk. d. Redaktion: gemeint ist der rechtfertigende Notstand) im Strafgesetzbuch berufen, um Menschen in Not richtig helfen zu können“, so Janosch Dahmen, Notfallmediziner und Grünen-Abgeordneter im Bundestag, „ein unhaltbarer Zustand.“
So standen Notfallsanitäter im Arbeitsalltag ständig im Konflikt zwischen Verpflichtung und Verbot. „Auch wenn es nur wenige Strafprozesse gegen Rettungsdienstmitarbeiter gibt, gab es in der Vergangenheit regelmäßig arbeitsrechtliche Probleme“, sagt Tobias Sambale, er ist Notfallsanitäter in Schleswig-Holstein. Seine Berufsgruppe forderte deswegen schon seit Jahren eine Regelung, die für mehr rechtliche Sicherheit in ihrem beruflichen Alltag sorgt.
Die zuvor bemängelte Rechtssicherheit ist in Fällen der Lebensgefahr nun gegeben. Der neue Paragraf 2a des Gesetzes erlaubt den Notfallsanitätern die „eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen“, auch wenn es um invasive Maßnahmen geht. Das war bislang nur in rechtlicher Grauzone möglich, wenn der Notarzt noch nicht da war, aber Menschen intensiv versorgt werden mussten. „Das ist für den DBRD und den gesamten Rettungsdienst ein Riesenerfolg“, so Marco K. König vom DBRD (Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V).
Quelle: Innenministerium Rheinland-Pfalz
Aber es gibt auch Kritik. Für Fälle, in denen keine Lebensgefahr droht, gebe es bislang keine Verbesserungen, so Dahmen. Zum Beispiel dürften Notfallsanitäter auch nach der neuen Gesetzeslage Patienten mit starken Schmerzen keine Opiate verabreichen, bis ein Arzt eingetroffen ist. „Trotz dieses guten Entwurfes: Der Bund muss das BTM-Gesetz ändern, damit auch Opiate von Notfallsanitätern im Einsatz rechtssicher angewandt werden können.“ Außerdem müsse der Bund das Heilpraktikergesetz ändern, damit Notfallsanitäter auch außerhalb der Lebensgefahr im Einsatz eine spezifisch klar umgrenzte Heilkundebefugnis haben.
Auf der Seite der Ärzte gibt es Befürworter, aber auch Skepsis. Manche Mediziner befürchten schon seit längerem eine Verlagerung ärztlicher Kompetenzen auf andere Professionen. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) sprach sich bereits 2019 gegen die eigenständige Durchführung von invasiven Maßnahmen durch Notfallsanitäter aus. „Eine Substitution ärztlicher Leistung gerade im Kontext einer Notfallsituation wird von uns zum Wohle und zum Schutz der erkrankten und verletzten Patienten abgelehnt“, heißt es in einer Stellungnahme.
„Viele Vertreter der Ärzteschaft haben sehr gute Argumente für ihre Notfallsanitäter Tobias Sambale Foto: © Tobias SambaleSkepsis“, sagt Notfallsanitäter Sambale. Immerhin müsse es am Ende immer um die Qualität der Patientenversorgung gehen. „Hier müssen die nicht-ärztlichen Berufe auch weiterhin beweisen, dass sie mit dieser Verantwortung umgehen können.“ Es sei deswegen wichtig, entsprechende weiterführende gesetzliche Regelungen, etwa in Form eines Heilkundegesetzes, nicht übers Knie zu brechen. Aber die zukünftige medizinische Versorgung einer alternden Bevölkerung sei eben nur durch die Übertragung bestimmter Aufgabenbereiche möglich.
Kritiker befürchten nun, dass ein Stein ins Rollen gerät und in Zukunft noch weitere Berufsgruppen heilkundliche Maßnahmen ausüben dürfen. Die CSU-Abgeordnete Emmi Zeulner versichert gegenüber dem Ärzteblatt: Die Regelung sei ausschließlich für Notfallsanitäter gedacht. Für andere Berufe wie etwa Anästhesiepfleger gelte dies ausdrücklich nicht.
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