Beim BVDVA-Kongress 2015 ließ die Branche ihre Muskeln spielen. Schneller und multimedialer – so lauten zwei Trends bei Arzneimittelversendern. Im Alltag verschwinden die Grenzen zwischen Online- und Vor-Ort-Vertrieb aber zunehmend. Beide Seiten lernen voneinander.
Versandapotheken legen im Nicht-Rx-Bereich weiter an Umsatz zu, berichtet Walter Pechmann, Gesundheitsexperte des Marktforschungsunternehmens GfK, beim BVDVA-Kongress 2015. So hat sich der Anteil bei Onlinern innerhalb des letzten Jahres von 18,1 auf 20,9 Prozent erhöht. Zeitgleich mussten Präsenzapotheken Einschnitte hinnehmen (81,9 versus 79,1 Prozent). Absolut betrachtet wuchs der Umsatz in beiden Bereichen zwischen 2013 und 2015 um 7.550 (Präsenzapotheken) beziehungsweise 1.990 Millionen Euro (Versandapotheken).
Dazu ein Blick auf Kaufentscheidungen: Kunden in Präsenzapotheken erwerben OTCs häufig aufgrund apothekerlicher Empfehlungen (22,7 Prozent aller Packungen), gefolgt von Tipps des Arztes oder des Heilpraktikers (14,4 Prozent). Bei Versendern spielen pharmazeutische Ratschläge keine nennenswerte Rolle (3,9 Prozent). Die Zufriedenheit hinsichtlich früherer Anwendungen ist jedoch bei allen Vertriebswegen ausschlaggebend (47,2 beziehungsweise 58,3 Prozent). Preise und Sonderauktionen (5,5 versus 12,6 Prozent) spielen eher eine untergeordnete Rolle. Für Vor-Ort-Apotheken gelten Patienten jenseits der 70 als wichtige Zielgruppe (34 Prozent aller Packungen). Im Versand haben Personen zwischen 50 und 59 die Nase vorn (23,6 Prozent). Doch ganz so klar ist die Sache nicht: Immer mehr Kunden kaufen stationär und online ein (2009: 40,3 Prozent; 2014: 47,8 Prozent). Sie nutzen Vorteile beider Systeme, auch im OTC-Bereich. Bestes Beispiel: Trotz rechtzeitig im Web erworbener Vorräte bescherte die Grippewelle 2014/2015 Inhabern vor Ort deutlich höhere Umsatzwerte. Rx-Präparate spielen derzeit kaum eine Rolle – was nicht nur an fehlenden Boni, sondern auch an Lieferzeiten liegt: relevant vor allem bei der Akutversorgung.
Dieses Defizit haben Versender längst erkannt. Ihre Antwort: „Same Day“-Lieferungen, bekannt vom Groß- und Einzelhandel diverser Branchen. Ein Testballon ist in Berlin gestartet. Anders als beim klassischen Weg holen Fahrer das ärztliche Rezept im Original beim Kunden ab und liefern später Arzneimittel aus. Momentan gehen pro Tag etwa zwei Päckchen an Kunden, berichtet Hartmut Deiwick, kaufmännischer Geschäftsführer bei Aponeo. Trotzdem setzt die Branche große Erwartungen in ihr neues Servicekonzept. Werden im Zuge der elektronischen Gesundheitskarte wann auch immer digitale Rezepte eingeführt, entfällt ein Teil des aktuellen Aufwands. Doch schon heute haben Versender klar die besseren Karten. Während öffentliche Apotheken Approbierte oder PTA losschicken müssen, falls keine Beratung in der Offizin stattgefunden hat, liefert die Online-Konkurrenz mit nicht pharmazeutischem Personal aus: ein vom Gesetzgeber durchaus beabsichtigter Unterschied. Apropos Beratung: Hier setzt die Branche auf neue Tools. Bei DocMorris enden gerade Tests des „LiveBeraters“. User haben die Möglichkeit, über eine sichere Verbindung im heimischen Wohnzimmer oder am Arbeitsplatz mit Apothekern zu sprechen. Der nächste Paukenschlag: Um auch entlegene Gegenden mit Arzneimitteln zu versorgen, setzt ApoAir versuchsweise Drohnen ein. Ob sich das Geschäftsmodell in Deutschland durchsetzen wird, sei dahingestellt. In Krisengebieten könnten Patienten jedoch besser als bislang mit Medikamenten versorgt werden. Wo aus Sicherheitsgründen kein Hubschrauber fliegt, lassen sich unbemannte Flugobjekte dennoch verwenden.
Doch zurück zu heimischen Gegebenheiten. „Der Kunde von morgen möchte beides: Das stationäre Ladengeschäft, das zum Verweilen einlädt, und den Online-Shop“, resümiert IMS Health. Auf die Gesamtbevölkerung bezogen, sehen sich 52 Prozent aller Bürger als traditionelle Handelskäufer mit hohem Beratungswunsch, 31 Prozent als selektive Online-Shopper mit starkem Preisbewusstsein, und weitere 11 Prozent als begeisterte Web-Käufer, die Bequemlichkeit schätzen. Entsprechende Grenzen verschwinden zusehends. Der Grund: Multi-Channel-Konzepte verbinden beide Welten – im Guten wie im Schlechten. Verbraucher schätzen bei Online-Apotheken Einkäufe per Mausklick außerhalb der üblichen Öffnungszeiten. Informationen sind schnell verfügbar, und Preise lassen sich gut vergleichen. Dem gegenüber stehen vor allem Beratung und Produktverfügbarkeit vor Ort, nicht ohne Grund. Patienten informieren sich zunehmend online und folgen „digitalen Trampelpfaden“ über „Dr. Google“ hin zu Wikipedia, Youtube, Facebook und Twitter. Apotheker müssen damit rechnen, dass Kunden mit Halbwissen Medikamente bestellen. Bestes Beispiel: IMS Health hat bei Erkältungskrankheiten herausgefunden, dass die Abgabe von OTCs mit Wikipedia-Einträgen korreliert. In Präsenzapotheken fragen Approbierte und PTA kritisch nach – im Online-Segment reicht es aus, eine Telefonnummer anzugeben.