Spahn hat zugeschlagen: Bald schon sollen bestimmte COVID-19-Patienten mit Antikörper-Medikamenten behandelt werden. Die Idee ist gut. Doch gilt das auch für die Umsetzung?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist Medienberichten zufolge bei den Antikörper-Medikamenten gegen COVID-19 auf Einkaufstour gegangen. Es geht um REGN-COV2, den Antikörper-Cocktail aus Casirivimab und Imdevimab des Herstellers Regeneron sowie LY-CoV555 (Bamlavinimab) des Pharmakonzerns Eli Lilly.
Der Bund hat demnach 200.000 Dosen für 400 Millionen Euro bestellt, 2.000 Euro das Stück. „Sie wirken wie eine passive Impfung. Die Gabe dieser Antikörper kann Risikopatienten in der Frühphase helfen, dass ein schwerer Verlauf verhindert wird“, wird der Bundesgesundheitsminister zitiert.
REGN-COV2 ist eine vom Biotech-Unternehmen Regeneron entwickelte Kombination aus zwei monoklonalen Antikörpern (REGN10933 und REGN10987). Vergangenen November erhielten sowohl REGN-COV2 als auch LY-CoV555 die FDA-Notfallzulassung zur COVID-19-Behandlung. In beiden Fällen ist der Wirkstoff einmalig zu verabreichen.
Zwar gibt es bisher keine Zulassung der Europäischen Arzneimittelkommission (EMA), doch vom Paul-Ehrlich-Institut gibt es ein klares Go. Laut Ministerium „lässt das ermittelte Sicherheitsprofil eine Anwendung nach individueller Nutzen/Risiko-Einschätzung in Deutschland grundsätzlich zu, um der Entwicklung schwerer Verläufe und Hospitalisierung bestimmter Risikogruppen in Ermangelung von geeigneten zugelassenen Therapiemöglichkeiten entgegenzuwirken“, wie der Tagesspiegel schreibt.
Die positive Einschätzung erstaunt auf den ersten Blick. Denn tatsächlich wurden mehrere Antikörperstudien wegen Ineffektivität abgebrochen. Dabei ging es allerdings meist um schwer kranke Patienten in fortgeschrittenen Stadien. Hier, so die Hypothese, nimmt die Erkrankung auch ohne das Virus seinen Lauf, und entsprechend wenig hilfreich sind antivirale Antikörper. In frühen Stadien, in denen es noch gelingen kann, das Virus abzufangen, sind die Daten dagegen deutlich besser, das sehen außer dem PEI auch viele Experten so – nicht nur wegen der Antikörperdaten, sondern auch auf Basis von Daten zu Rekonvaleszentenplasma, das einen ähnlichen Wirkansatz hat.
Die frühe Verabreichung von hochtitrigem Rekonvaleszenzplasma gegen SARS-CoV-2 an leicht erkrankte, ältere Erwachsene kann einer aktuellen Studie zufolge das Fortschreiten von COVID-19 reduzieren. Gegenüber Doccheck formulierte es der Leiter des ARDS- und ECMO- Zentrums Köln-Merheim, Christian Karagiannidis, vergangene Woche so: „Entscheidend ist, dass es so früh wie möglich gegeben wird. Das gilt wahrscheinlich analog auch für die synthetischen Antikörpertherapien.“ Auch in den USA werden die Antikörper-Cocktails von der FDA in der frühen Therapie, und nur dort, positiv bewertet.
Die Antikörpertherapien sollen laut Zeit und anderen Medien ab kommender Woche an deutsche Universitätskliniken geliefert werden. Die Frage ist, ob das Medikament auch dort ankommt, wo es seinen Nutzen entfaltet, bei den Hochrisikopatienten in eher früheren Stadien. Auf der Intensivstation könnte es für den Antikörper-Shot – es handelt sich um eine Einmaltherapie – vielleicht schon zu spät sein. Der bessere Zeitpunkt dürfte beim klinischen Erstkontakt sein, spätestens in der Notaufnahme.
Denkbar wäre auch, Patienten mit positivem Testergebnis und Symptomen in Hochrisikoumgebungen, insbesondere Pflegeheimen, zu behandeln. Dort laufen nur normalerweise keine Universitätsmediziner herum. Hausärzte schon eher. Ein direkter Zugriff auf die Antikörpertherapie für sie zum Zwecke der Behandlung hausärztlicher Hochrisikopatienten klingt dementsprechend zwar vernünftig – mit 200.000 Dosen kommt man vermutlich aber nicht weit.
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Bildquelle: ÉMILE SÉGUIN, unsplash