Eine Tumorgenomanalyse ist kein Garant dafür, dass Ärzte eine wirksame Therapie finden. Primärtumor und Metastasen können sich auf molekularbiologischer Ebene unterscheiden. Mini-Tumore aus dem Labor könnten voraussagen, ob Krebsmedikamente bei Patienten wirken.
Personalisierte Therapien mit obligatorischen Gentests sind eine der wichtigsten onkologischen Strategien. In diesem Bereich wurden laut Angaben des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa) aktuell 53 Pharmaka zugelassen, von denen sich viele gegen maligne Erkrankungen richten. Allerdings können sich Primärtumor und Metastasen molekularbiologisch voneinander unterscheiden. Der Krebsinformationsdienst am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg warnt: „Es ist nach einer Tumorgenomanalyse nicht garantiert, dass Ärzte eine wirksame Therapie (...) finden“. Bessere Testverfahren könnten diese Lücke schließen.
Christophe Le Tourneau, Forscher am französischen Institut Curie, schlug schon vor zwei Jahren Alarm. Er verglich genombasierte, individualisierte Therapien mit leitliniengerechten, aber nicht molekularbiologisch ausgewählten Behandlungen. „Die Verwendung von molekular ausgerichteten Wirkstoffen außerhalb ihrer Indikationen verbessert das progressionsfreie Überleben im Vergleich zur Behandlung nach Wahl des Arztes bei stark vorbehandelten Patienten mit Krebs nicht“, fasst Le Tourneau zusammen. Dazu etwas wissenschaftlicher Hintergrund. Von humanem Gewebe abgeleitete Organoide haben sich in letzter Zeit zu robusten präklinischen Modellen entwickelt. Ihr Potenzial, klinische Ergebnisse bei Patienten vorherzusagen, blieb jedoch unklar. Organoide sind kleine, dreidimensionale Zellhaufen, die sich im Labor aus Biopsien anzüchten lassen. Georgios Vlachogiannis vom Institute of Cancer Research, London, hat jetzt den Mehrwert einer Organoid-Datenbank untersucht, um Therapieerfolge vorauszusagen. Material bekam der Forscher von Patienten mit metastasiertem Magen-Darm-Krebs, die zuvor in klinischen Studien der Phase I oder II aufgenommen worden waren. Vlachogiannis fand folgendes heraus: Die aus diesem Material in-vitro angezüchteten Organoide zeigten vom Genotyp, aber auch vom Phänotyp her, große Ähnlichkeiten mit den Tumoren im Körper. Die Organoide reagierten ähnlich auf Krebs-Medikamente wie die Ursprungs-Tumoren. Deshalb sieht der Forscher große Potenziale im Verfahren, um experimentelle Arzneistoffe vorab zu testen. An großen Substanzbibliotheken mangelt es nicht, an guten Testverfahren aber schon.
„Es können erstmals klinische Ergebnisse mit den Studien an den Zellkulturen verglichen werden“, kommentiert Prof. Dr. Reinhold Schäfer vom Charité Comprehensive Cancer Center der Charité-Universitätsmedizin Berlin das Verfahren. „Daraus ergibt sich eine recht gute Korrelation zwischen in-vitro-Testung und dem klinischen Verlauf.“ Methodisch kritisiert er den kurzen Beobachtungszeitraum aus Vlachogiannis´Studie zwischen 2014 und 2017. Auch fehlen Informationen zu eventuellen Resistenzen der Organoide. Hinsichtlich der praktischen Umsetzbarkeit sieht Schäfer einige Schwächen. Er verweist auf die schlechte Zugänglichkeit mancher Tumore, um Gewebe für Organoid-Kulturen zu gewinnen. Unklar sei außerdem, ob Vlachogiannis’ Daten auch bei Tumoren nach einer Chemotherapie relevant seien. Schäfers Fazit: „In Zukunft müssen mehr Tumoren und Modelle prospektiv in klinischen Studien verglichen werden.“ Aktuell bewertet er Organoid-Kulturen als „sinnvolle Ergänzung der Genom- und Transkriptom-Untersuchungen bei Tumoren“. Er rechnet mit Kosten von „mehreren tausend Euro“ pro Kopf.