Psychologen konnten in Untersuchungen aufgrund der gemessenen Hirnaktivität vorhersagen, ob sich eine Person eher uneigennützig und prosozial oder egoistisch verhält. Die Erkenntnise lieferte das computergestützte „Diktatorspiel“.
Forscher um den Studienleiter Johannes Rodrigues luden 40 Personen (50 % davon weiblich), die zuvor in einer Online-Befragung entweder als hoch oder niedrig altruistisch identifiziert worden waren, zu einer Untersuchung ins Labor ein. Die Probanden waren Studierende, durchschnittlich 23 Jahre alt und verfügten über ein monatliches Einkommen von 300 bis 900 Euro. Die Untersuchung bestand aus zwei Phasen. In der ersten Phase spielten die Probanden das „Diktatorspiel“: Als „Diktator“ mussten sie in mehreren Durchgängen einen Betrag von 8 Cent zwischen sich und jeweils einem Empfänger aufteilen. Sie konnten zwischen fünf Aufteilungen ihres Angebots wählen (8:0; 6:2; 4:4; 2:6; oder 0:8). Vor jedem der insgesamt 180 Durchgänge erhielten sie die Information, wie hoch das monatliche Einkommen des Empfängers war (200, 600 oder 1.000 Euro) und ob ihre Entscheidung anonym blieb oder von anderen Teilnehmern beobachtet wurde. In der zweiten Phase sollten sie dann die Fairness der Angebote von anderen (vermeintlichen; de facto per Computerprogramm ausgewählte Antworten) „Diktatoren“ beurteilen. Dazu mussten sie in mehreren Durchgängen das Spiel der anderen „Diktatoren“ beobachten und angeben, wie fair sie deren jeweilige Angebote fanden. In der ganzen Zeit wurde die Hirnaktivität der Probanden mittels Elektroenzephalogramm (EEG) aufgezeichnet.
Die Analysen der Hirnaktivität zeigen: Anhand einer bestimmten Hirnaktivität, der mittfrontalen Thetaband Aktivität, die sich direkt nach der Information über den jeweiligen Empfänger (Einkommen, Anonymität der Situation) zeigte, konnte das nachfolgende Angebot eines Probanden vorhergesagt werden. Je höher diese Thetaband-Aktivität ausfiel, umso eher trafen diese Personen eine faire Entscheidung. Bei Personen, die die fairste Verteilung (4:4) vornahmen, zeigte sich die höchste Gehirnaktivität in diesem Bereich. Dieser Effekt traf allerdings nur auf die Gruppe der Personen zu, die im Vorfeld als hoch altruistisch klassifiziert wurden. Bei niedrig altruistischen Personen zeigte sich die höchste mittfrontale Thetaband-Aktivität vor dem eigenen unfairsten Angebot, bei dem der ganze Betrag selbst einbehalten wurde.
Die Analysen der Verhaltensdaten zeigen: Personen, die im Vorfeld der Untersuchung als altruistisch eingestuft worden waren, gaben insgesamt mehr Geld als wenig altruistische Personen. Auf höhere Bedürftigkeit eines Empfängers (niedriges Einkommen) wurde, unabhängig davon, ob der Gebende altruistisch war oder nicht, mit höheren Angeboten reagiert. Die Anonymität der Situation hatte unterschiedliche Auswirkungen auf die Angebotshöhe: Niedrig altruistische „Diktatoren“ gaben mehr Geld, wenn sie beobachtet wurden. Bei hoch altruistischen „Diktatoren“ verhielt es sich genau umgekehrt: Sie gaben mehr Geld, wenn sie nicht beobachtet wurden.
Niedrig und hoch altruistische Personen unterschieden sich in der ersten Phase des Experimentes darin, wie viel Geld sie den Empfängern zukommen ließen. In der zweiten Phase jedoch zeigte sich zwischen ihnen kein Unterschied mehr. Sie schätzten die Fairness der Angebote anderer „Diktatoren“ gleich ein: Je geringer das Einkommen des Empfängers, umso eher wurden Verteilungen, die den „Diktator“ begünstigten, als unfair eingeschätzt. „Unsere physiologischen Ergebnisse sind explorativer Natur, aber gleichzeitig vielversprechend“, sagt Johannes Rodrigues. „Wir konnten zeigen, dass anhand der mittfrontalen Thetaband-Aktivität zusammen mit Informationen über Altruismus, Einkommen und Anonymität die Entscheidungen der ‚Diktatoren‘ vorhergesagt werden konnten, bevor sie getroffen wurden. Dieses der Entscheidung vorgelagerte Signal im Thetaband sollte weiter untersucht werden, insbesondere in Bezug auf seine Rolle in ökonomischen Entscheidungen im Speziellen, sowie in Entscheidungskontexten allgemein.“ Originalpublikation: A neural signature of fairness in altruism: A game of theta? Johannes Rodrigues et al.; Social Neuroscience, doi: 10.1080/17470919.2014.977401; 2015