Rechtsexperten sagen: Die derzeit geltende Verordnung zur Impfpriorisierung ist verfassungswidrig. Es fehle eine gesetzliche Grundlage. Kommt jetzt ein neues Impfgesetz?
Die Bundesregierung wird scharf für ihre Corona-Impfverordnung (CoronaImpfV) kritisiert. Die derzeit geltende Verordnung sei „rechtswidrig“, so der Vorwurf von Staatsrechtlern und Ethikern. Grund dafür: Es fehle ein Gesetz, das Verteilungskriterien regelt. Die FDP-Fraktion will mit einem Gesetzentwurf eine rechtliche Grundlage für die anstehenden Massenimpfungen schaffen.
Darüber wurde am Mittwoch (13. Januar) bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss zur Impfstrategie diskutiert. Zahlreiche Sachverständige aus den Bereichen Recht und Ethik gaben ihre Stellungnahmen ab. Besonders bemängelt wurde die in der Verordnung festgelegte Impfpriorisierung. Hierfür fehle eine „verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage“, so die Juristin Prof. Anna Leisner-Egensperger, eine der hinzugezogenen Sachverständigen.
Hintergrund ist, dass die festgelegte Reihenfolge nur per Verordnung erlassen wurde – der Bundestag blieb bei der Entscheidung außen vor. „Diese Vorschriften sind daher rechtswidrig und damit nichtig”, argumentiert Leisner-Egensperger, sie „dürfen von den Behörden nicht angewendet werden und müssen von den Bürgern nicht beachtet werden." Es drohe ein weiterer Vertrauensverlust der ohnehin verunsicherten Bürger in die Politik, schreibt Theologe Prof. Peter Dabrock, der lange Mitglied im Deutschen Ethikrat war.
Auch der Rechtswissenschaftler Prof. Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg ist mit der Situation alles andere als zufrieden. Für ihn ist klar: Der Parlamentsvorbehalt untersagt dem Gesetzgeber, sich bei wesentlichen Entscheidungen – insbesondere bei solchen mit Grundrechtsbezug – seiner Verantwortung durch Delegation zu entledigen. Bei der Reihenfolge der Schutzimpfungen gehe es um eine Zuteilung von Lebenschancen. Deswegen müsse der Gesetzgeber die Entscheidungen darüber, wer mit welcher Priorität Anspruch auf die Schutzimpfungen habe, selbst treffen.
Die CDU verteidigt sich: Spahns Verordnung stütze sich auf das dritte Pandemiegesetz, es gehe der Koalition um einen „gangbaren Weg“, mit dem Impfungen rasch erfolgen könnten. Man wollte vor dem Impfstart Ende Dezember keine Zeit für ein langwieriges Gesetzesverfahren verlieren.
Zuvor hatten FDP, Grüne und Linke im Bundestag kritisiert, eine Rechtsverordnung für eine derart schwerwiegende Entscheidung wie die Impfpriorisierung dürfe nicht allein durch eine Verordnung des Gesundheitsministers geregelt werden. Die FDP-Fraktion hat dem Bundestag bereits im Dezember den Gesetzentwurf zu Impfpriorisierungen vorgelegt. Es wurde mit den Stimmen von Union und SPD jedoch an den Gesundheitsausschuss verwiesen.
Inhaltlich orientiert sich der Gesetzentwurf –genau wie die geltende Verordnung – an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI). Im Unterschied zur CoronaImpfV sind die Priorisierungsstufen aber enger, in 5-Jahres-Altersstufen statt in 10-Jahres-Alterstufen.
Im Vergleich zur Verordnung wurde grundlegend nicht viel geändert. Es geht vielmehr darum Priorisierungsregelungen verfassungskonform in ein Gesetz zu packen. Ziel sei laut Partei „das Vertrauen und die Akzeptanz der Bevölkerung zu stärken“. Neu sind aber Strafbarkeits-Regelungen: Wer gegen Bezahlung eine Person impfe oder ihr Impfstoff beschaffe, bevor sie laut Priorisierungsliste dazu berechtigt sei, macht sich strafbar. In einem solchen Fall drohe eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe.
Wie kommt der Gesetzentwurf bei den Experten an? Grundsätzlich wird gelobt, dass eine Fraktion überhaupt einen Gesetzentwurf vorlegt. Für Dabrock nimmt die FDP damit sogar „eine Vorreiterrolle“ ein. Kingreen empfiehlt, den Gesetzentwurf weiterzuverfolgen. Im Detail sind aber nicht alle mit dem Entwurf einverstanden. Vor allem in der Kritik: Mit den Strafbarkeits-Regeln würde das Gesetz die Impfakzeptanz nicht erhöhen – wie es das Anliegen der FDP ist – sondern vielmehr gefährden, so Leisner-Egensperger.
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